Immer weniger pflegende Angehörige in Sachsen

"Ambulant vor stationär" - wie soll das in Sachsen mit Blick auf die Pflege in Zukunft funktionieren?

Von Thomas Trappe Veröffentlicht:
Professor Bernd Raffelhüschen stellt Studie zu Pflegekostenentwicklung vor.

Professor Bernd Raffelhüschen stellt Studie zu Pflegekostenentwicklung vor.

© dpa

DRESDEN (tt). In Sachsen werden in Zukunft unterdurchschnittlich wenige Pflegebedürftige von Angehörigen versorgt. Das ist ein Schluss der jetzt vorgestellten Studie "Alter, Rente, Grundsicherung" des Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg, in der Professor Bernd Raffelhüschen im Auftrag des Sächsischen Sozialministeriums die Pflegekostenentwicklung im Freistaat prognostiziert hat.

Grund für den Rückgang "informeller Pflegarrangements" sei, dass in Sachsen wie in ganz Ostdeutschland mehr Frauen erwerbstätig sind und, wie in ganz Deutschland, immer weniger lebenslange Partnerschaften bestehen.

Bis 2050 in Sachsen nur noch 23 Prozent pflegende Angehörige

Raffelhüschen geht davon aus, dass bis 2050 in Sachsen nur noch 23 Prozent aller zu Pflegenden zu Hause von Angehörigen versorgt werden, heute sind es noch 39 Prozent, im Bundesschnitt 45.

Schon jetzt, heißt es in der Analyse, ist die Auslastungsquote stationärer Pflegeeinrichtungen im Freistaat mit 95 Prozent überdurchschnittlich hoch. Bis 2050 steige der Bedarf im günstigsten Fall um etwa 60, im ungünstigsten Fall um 110 Prozent.

Erforderlich sei es deshalb, so Raffelhüschen, die ambulante Pflege zu stärken. "Ambulant vor stationär", sei die umzusetzende Devise, da nur so die Pflegekosten auf einem zumutbaren Niveau für den Landeshaushalt bleiben könnten.

Altersschnitt in Großstädten auch künftig am geringsten

Raffelhüschen prognostiziert in seiner Studie auch die Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen in Sachsen. In den Großstädten bleibt der Altersschnitt auch künftig im Vergleich am geringsten, steigen wird er in der Provinz.

Was allerdings auch heißt, so der Schluss, dass die jetzt noch relativ jungen Regionen sich den größten Herausforderungen gegenüber sehen: Sie müssen einen enormen Anstieg von Pflegebedürftigen verkraften, während die jetzt schon betroffenen Gegenden mehr oder weniger den Status Quo beibehalten. Den größten Anstieg der Pflegefälle wird es laut Raffelhüschen in Dresden geben.

Sozialministerin Christine Clauß (CDU) zeigte sich alarmiert durch die Studie. "Sachsen ist der deutsche Alterspionier", erklärte sie. "Wenn wir nicht gegensteuern, wird ein deutlicher Anstieg der kommunal aufzubringenden Leistungen für die Hilfe zur Pflege auf uns zukommen."

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Kommentare
Christina Manthey 30.09.201110:07 Uhr

Keine Ursachenforschung bei Betroffenen!

Im Sozialrecht in Sachsen tätige Anwälte würden bestreiten,dass die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten oder die dort weniger dauerhaften Partnerschaften Ursache der immer größeren Auslastung der Pflegeheime sind.

Tatsächlich offenbart der langjährige berufliche Kontakt zu pflegebedürftigen Menschen in Sachsen, dass die finanziellen Verhältnisse - maßgeblich beeinflusst durch das SGB XI mit seiner Leistungsgestaltung für häuslich Pflegende - dazu zwingen, pflegebedürftige Partner und Angehörige früher oder später in die stationäre Pflege zu geben. Wer als Pflegender selbst noch keine ALtersrente erhält, muss für seinen notwendigen Lebensunterhalt in der Regel einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, da der Pflegebedürftige selbst nur selten eine Erwerbsminderungs- oder Altersrente in einer für zwei Personen auskömmlichen Höhe bezieht. Die häusliche Pflege in der Pflegestufe II wird nach § 37 SGB XI z.B. mit monatlich 430 Euro vergolten. Das ist weniger als die Grundsicherung für Arbeitssuchende einschließlich Unterkunftskosten ("Hartz 4") abdeckt und damit weniger als das Existenzminimum. Der Pflegende kann wegen einer häuslichen Pflege des Partners oder Angehörigen in der Pflegestufe II im Umfang zwischen drei und fünf Stunden täglich keiner Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen nachgehen, seinen notwendigen Lebensunterhalt aber auch nicht allein aus dem Pflegegeld bestreiten. Weil die Haushalte im Osten aufgrund der Bedingungen in der DDR zumeist kein großes Vermögen haben aufbauen können, das während der langjährigen Pflege aufgezehrt werden kann, sind die Pflegenden über kurz oder lang gezwungen, die pflegebedürftigen Angehörigen in Heime zu geben, wo die Pflegeversicherung deutlich höhere Leistungen erbringt und wo vor allem der Sozialhilfeträger auf Antrag unproblematisch die nicht gedeckten Kosten übernimmt. Versucht hingegen der häuslich Pflegende, ergänzende Leistungen nach dem SGB II zu erhalten ("Hartz 4"), wird ihm seine fehlende Verfügbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt als Ausschlussgrund entgegengehalten. Lösbar wäre das Problem dadurch, dass der Gesetzgeber die häusliche Pflege durch Einzelpersonen (§ 77 SGB XI) für Verträge mit Verwandten und Verschwägerten öffnet, die dann bis zum Umfang der sonst für die professionelle Sachleistung bei häuslicher Pflege vorgesehenen Leistung eine Vergütung für die häusliche Pflege erhalten könnten (maximal 1.040 Euro bei Pflegestufe II). Das wäre für die Pflegeversicherung erheblich günstiger als stationäre Pflege und würde zugleich die von Krankheit und Behinderung betroffenen Haushalte aus der Armut führen. Eine Änderung scheint allerdings politisch nicht gewollt, und die Ursachen des Anstiegs stationär Pflegebedürftiger in Sachsen werden äußerst bereitwillig woanders gesucht!

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