Kinder und Jugendliche

Infektiologen und Hygieniker pochen auf neuen Corona-Steuerungsmechanismus

Die 7-Tage-Inzidenz der gemeldeten Corona-Neuinfektionszahlen innerhalb einer Woche ist aus Sicht einer Expertengruppe untauglich. Sie betonen zudem, dass Kinder keine Treiber des Infektionsgeschehens seien.

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Zwei Kinder spielen in einem Kindergarten auf dem Fußboden.

Gemeinsam spielen im Kindergarten ist für die Entwicklung von Kindern wichtig.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Potsdam. Die derzeit genutzte 7-Tage-Inzidenz der gemeldeten Corona-Neuinfektionszahlen innerhalb einer Woche bei 100.000 Einwohnern ist aus Sicht der Deutschen Gesellschaften für Pädiatrische Infektiologie und für Krankenhaushygiene als Steuerungsmechanismus untauglich. „Ein neuer Index muss transparent und belastbar politische Entscheidungen begründen können“, schreiben beide Gesellschaften in einer Mitteilung. Daten der Überlastung des Gesundheitssystems mit Nennung von Zahlen zur Hospitalisierung, zur Belegung der Intensivbetten und zu Todesfällen müssten in einen solchen Index eingehen.

Der weitere Betrieb von Gemeinschaftseinrichtungen von Kindern und Jugendlichen in Corona-Zeiten sollte zudem oberste Priorität haben, fordern die beiden Gesellschaften. Die AHA+L-Regeln hätten sich dabei als effektiv erwiesen. Es gelte daher, nicht neue Konzepte zu entwickeln, sondern die vorhandenen noch konsequenter umzusetzen. Ergänzt werden sollten sie durch eine gezielte Überwachung bei regional stark erhöhten Melderaten mittels wöchentlicher Poole- oder Selbsttestungen der Lehrer sowie die Testung kranker oder in Quarantäne befindlicher Kindern etwa an Tag 5.

„Kinder sind keine Treiber der Pandemie!“

Die beiden Gesellschaften erneuern in diesem Zusammenhang ihre Position, dass Kinder in diesen Einrichtungen keine Treiber der Pandemie seien. Sie sehen sich dabei in Einklang mit Positionen der WHO, der europäischen Seuchenbehörde ECDC und den Centers for Disease Control and Prevention in den USA (CDC). Epidemiologisch folgten die Infektionen bei Kindern dem Infektionsgeschehen bei Erwachsenen, nicht umgekehrt.

Die Effektivität von Kita- und Schulschließungen zur Senkung von COVID-19-Todesfällen in den Risikogruppen der Alten und Pflegebedürftigen sei zudem nicht belegt. Die Experten widersprechen außerdem der Annahme einer erhöhten Ansteckungsgefahr oder Transmission von Kindern bei den neuen Coronavirus-Varianten.

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Auf der anderen Seite seien in der Vergangenheit die weitreichenden Folgen der Schließung von Kitas und Schulen zu wenig berücksichtigt worden, kritisieren die beiden Gesellschaften. Für Kinder und Jugendliche seien diese Einrichtungen systemrelevant. Es mehrten sich die Untersuchungsdaten zum gravierenden Ausmaß der Schäden. „Schulschließungen können nur das letzte Mittel sein“, heißt es daher weiter. Jedwede Einschränkung ihrer Grundrechte, die Kindern und Jugendlichen fremdnützig auferlegt werde, bedürfe einer ethischen Abwägung und müsse wissenschaftlich konkret belegbar sein.

Bildungs- und Bindungslücken drohen

Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sieht mit Besorgnis, die Situation der Kinder in der anhaltenden Pandemie. „Wir sehen zunehmend körperliche und seelische Belastungen und Ängste“, zitiert sie die „F.A.S“. Man könne nicht davon ausgehen, dass junge Menschen das alles einfach so wegsteckten. Und man dürfe auch nicht erwarten, dass sie nach Corona einfach wieder „funktionierten“, als wäre nichts gewesen.

Zu befürchten seien neben Bildungslücken auch zunehmend “Bindungslücken“ durch einen merklichen Grad an Vereinsamung. Die „F.A.S“ verweist in diesem Zusammenhang auf eine Auswertung von 68 Studien aus 19 Ländern ausgewertet, die eine psychische Belastung durch die Pandemie bestätigt habe. Demnach sind junge Menschen derzeit besonders gefährdet, Ängste und Depressionen zu entwickeln.

Ähnlich äußert sich der Leiter der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie Tobias Renner. Nach seinen bisherigen Erfarhungen haben psychische Störungen mit schwerem Verlauf seit dem vergangenen Sommer erheblich zugenommen. Dies brauche mehr Aufmerksamkeit. „Aktuell zählen wir bei uns einen enormen Anstieg des Versorgungsbedarfs“, sagt Renner. Der Austausch mit Kollegen anderer Einrichtungen habe zum selben Ergebnis geführt. Besonders viele junge Menschen kämen mit akuter Magersucht (Anorexia) und Zwangsstörungen.

Allerdings gibt es auch andere Aussagen von Experten, die die Situation weniger dramatisch einschätzen. Michael Kölch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, sieht zum Beispiel keine Hinweise darauf, dass die Kontaktbeschränkungen der psychischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen generell und dauerhaft schadeten. Er warnt im Beitrag der „F.A.S“ daher vor pauschalen Prognosen. es können sogar sein, dass durch die Erfahrung, die ein Kind gemeistert hat, dessen Persönlichkeit am Ende gestärkt werde. Besonders die Heranwachsenden seien „extrem anpassungsfähig“. (run mit dpa Material)

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