COVID-19 in der Schule
Lockdown für Kinder: „Auf Sicht fahren bleibt wichtig“
Wie effektiv sind Schul- und Kita-Schließungen in der COVID-19-Pandemie tatsächlich? Pädiater sehen die Maßnahme eher kritisch.
Veröffentlicht:Düsseldorf. Über den Sinn von Schul- und Kita-Schließungen in der COVID-19-Pandemie wird auch unter Pädiatern intensiv diskutiert. Das Risiko für Kinder, durch SARS-CoV-2 zu erkranken, ist deutlich niedriger als bei Erwachsenen.
Nach aktuellen Daten handelt es sich bei etwa zehn Prozent der COVID-19-Fälle um Kinder und Jugendliche, wobei diese in den meisten Fällen nicht schwer erkranken, sagte Professor Monika Gappa aus Düsseldorf bei einem Webinar zu dem Thema.
Risiko am ehesten für Säuglinge
Bei den Kindern hätten eher Säuglinge und Kleinkinder ein Risiko für einen schweren Verlauf. Selbst die meisten Kinder mit chronischen Erkrankungen können und sollten ihrer Meinung nach Schulen und Kitas besuchen. Nur bei schwerer Immundefizienz oder zum Beispiel bei fortgeschrittenen Lungenerkrankungen müsse dies im Einzelfall abgewogen werden.
Schulen und Kindereinrichtungen könnten nicht als Treiber der Corona-Pandemie gelten, erläuterte Professor Christiane Lex von der Universitätsmedizin Göttingen. Andererseits konnte in Studien nach Schulschließungen ein deutlicher Rückgang von Krankheitsausbrüchen beobachtet werden. Als später im Jahr 2020 der Unterricht in geteilten Klassen praktiziert worden war, blieb die Zahl der Ausbrüche auf niedrigem Niveau.
Mehrere Studien durchgeführt
Lex verwies auf eine prospektive Studie aus Österreich. Ende September bis Anfang Oktober 2020 waren dort 10.400 Schüler und Lehrer getestet worden. 0,39 Prozent waren SARS-CoV-2-positiv. In einer weiteren Testrunde in der zweiten Novemberwoche 2020 bei 3700 Schülern und Lehrern waren 1,44 Prozent positiv. Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen Lehrern und Schülern oder zwischen den Schulformen.
Auffällig war aber, dass Schulen mit vielen Kindern aus stark sozial benachteiligten Familien deutlich überproportional von Infektionen betroffen waren: Die Infektionsraten lagen 2,0- bis 3,5-fach über dem Durchschnitt.
Eine Studie aus Baden-Württemberg bestätigt, dass die Transmissionsraten in Schulen im Vergleich zu anderen Orten sehr gering sind – bei 557 Indexfällen und 2300 untersuchten Personen hätten sich lediglich 0,5 Prozent Coronainfektionen ergeben, erklärte die Göttinger Kinder- und Jugendärztin.
Bestätigt werde dies durch eine Untersuchung des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main mit 87 Indexfällen in 67 Schulen sowie Tests bei über 2300 Schülern und 600 Lehrern. An Grundschulen ergaben sich demnach bei Erwachsenen Übertragungsraten von 0,8 Prozent, bei Kindern von 1,8 Prozent. Ähnlich sah es an weiterführenden Schulen aus. In Berufsschulen wurden Übertragungsraten von 1,5 Prozent (Erwachsene) und 4,8 Prozent ( Schüler) gemessen.
An Berufsschulen mehr Infektionen als an Grundschulen
Insgesamt sei es schwierig, aus einzelnen Studien konkrete Konsequenzen abzuleiten, meint Lex. Deutlich wird aber, dass SARS-CoV-2-Infektionen an Berufsschulen doppelt so häufig weitergegeben werden als an Grundschulen. Mit kleinen Kindern lassen sich Hygieneregeln offenbar eher und konsistenter durchsetzen als bei älteren oder erwachsenen Schülern.
Auch die Situation in Kindertageseinrichtungen lässt sich nicht einfach bewerten. Einerseits erkranken infizierte Kinder nur selten schwer, andererseits hat etwa jede zehnte Kita mindestens einen Infektionsfall pro Woche, wie aus der Corona-Kita-Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und des Robert Koch-Instituts (RKI) hervorgeht.
Dennoch haben viele Kitas mit teilweise offenen oder ausschließlich offenen Gruppenstrukturen oftmals keinen Wechsel zu festen Gruppenstrukturen vorgenommen. Womöglich lässt sich dies nicht immer einfach umsetzen.
Konstante Schul- und Kita-Gruppen
Unter welchen Bedingungen also könnten Kinder wieder die Schulen und Kitas besuchen? „Wichtig erscheinen mir konstante Schul- und Kita-Gruppen“, sagte Lex. Sie sprach sich außerdem für versetzte Bring- und Abholzeiten aus. Eltern sollten Kontakte untereinander vermeiden.
Hinzu kommen die Abfrage von Krankheitssymptomen und gegebenenfalls SARS-CoV-2-Testungen. Abgesehen von den üblichen Hygienemaßnahmen seien Fahrdienste überlegenswert, um überfüllte Busse und Straßenbahnen zu meiden. Der Effekt von Lüftungsanlagen wird in manchen Einrichtungen derzeit erprobt.
Dr. Folke Brinkmann vom Universitätsklinikum Ruhr-Universität Bochum verwies auf mathematische Modellierungen, wonach Schulschließungen eher geringe Auswirkungen auf die Infektionsrate haben. Allerdings gebe es auch hierbei widersprüchliche Erkenntnisse: In einer Analyse von 42.000 Interventionen in 226 Ländern mithilfe von vier verschiedenen mathematischen Modellen lag der Effekt der Schließung von Bildungseinrichtungen relativ weit vorne.
Ihr Fazit: Nicht zu jedem Zeitpunkt einer Epidemie sei in jedem Land und in jeder regionalen Struktur die Effektivität nichtmedikamentöser Interventionen auf die Infektionsrate vergleichbar. Interventionen müssten individuell gewählt und der Situation angepasst verändert werden. Brinkmann: „Auf Sicht fahren bleibt wichtig.“