Kommentar zur GKV-Finanzreserve

Ist Schäuble übergriffig?

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble greift nach den Finanzreserven der gesetzlichen Krankenkassen, indem er die Zuschüsse aus dem Bundeshalt in diesem Jahr um 3,5 und im nächsten Jahr um 2,5 Milliarden Euro kürzt.

Die Reduzierung des Zuschusses im Jahr 2015 war ursprünglich nicht geplant - doch angesichts einer auf 30,3 Milliarden Euro gewachsenen Finanzreserve im Gesundheitsfonds und bei den Kassen sieht Schäuble die Chance, die Neuverschuldung des Bundes noch schneller zurückzufahren.

Die Kassen empört das zutiefst. "Nicht akzeptabel", klagt Ulrike Elsner vom Verband der Ersatzkassen. Die Steuermittel benötigten die Kassen, um familienpolitische Leistungen wie die kostenfreie Mitversicherung von Familienangehörigen und anderen in einem Volumen von mehr als 20 Milliarden Euro zu finanzieren. "Beliebig" gehe der Gesetzgeber mit "versprochenen Steuerzuschüssen" um.

Wirklich?

Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber nicht beliebig, sondern sachgerecht und flexibel auf die Finanzsituation der GKV reagiert (hat). Zur Erinnerung: Im Krisenjahr 2009 hat der Gesetzgeber die konjunkturbedingten Einnahmenausfälle der GKV mit einem ad hoc um sechs Milliarden Euro erhöhten Bundeszuschuss abgepuffert und so vermieden, dass die Kassen in ein tiefes Defizit geraten sind. Es gehört zur Logik der staatlichen Ko-Finanzierung, dass sie stets jährlich aktualisiert wird. Und es gibt kein Recht der GKV, Kapitalvermögen zu bilden.

Und die familienpolitischen Leistungen der GKV, die mitunter auch als versicherungsfremde Leistungen bezeichnet werden? Den größten Posten bildet die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder. Mitte der 2000er Jahre ist politisch hinlänglich diskutiert worden, die Finanzierung der GKV auf ein Kopfpauschalensystem umzustellen und die sozialpolitisch motivierte Umverteilungsfunktion der GKV auf das Steuersystem zu verlagern.

Siehe dazu die Vorschläge der Herzog-Kommission und der Wirtschaftsweisen. Das waren Gelegenheiten, den Aufgabenkreis der Krankenkassen auf die solidarische Absicherung des Krankheitsrisikos zu beschränken und sie von "Fremdarbeit" zu entlasten.

Das Ende der Debatte ist bekannt: die Kopfpauschale ist tot, die letzten Reste davon werden im Lauf dieses Jahres beerdigt. Nicht zuletzt auch zum Wohlgefallen der Krankenkassen.

Das Lamento der Kassenfunktionäre ist auch deshalb zu relativieren, weil sie nicht selten Sprachrohr des schwächsten Glieds in der Kette sind. Die Finanzpolster sind nämlich unter den Kassen höchst ungleich verteilt. Und damit auch das Risiko, einen Zusatzbeitrag erheben zu müssen.

Im Übrigen: Die seit 2010 jedes Jahr erzielten Überschüsse und wachsenden Rücklagen haben ja nicht zu einer Leistungsoffensive der Krankenkassen geführt. Zwischen 2010 und 2012 wuchsen die Arzthonorare nur minimal. Die Arzneimittelausgaben wurden gesenkt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss errichtet hohe Hürden für neue Leistungen. Innovative Versorgungsformen hatten es gerade in den letzten vier Jahren schwer.

Diese Leistungsbilanz lässt es nicht gerechtfertigt erscheinen, dem GKV-System mehr als 30 Milliarden Euro Liquidität zu belassen. Es wäre nur ein bequemes Ruhepolster.

Lesen Sie dazu auch: Fette Finanzreserve: GKV-Sparschwein so dick wie noch nie

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 07.03.201414:30 Uhr

Der Bundesgesundheitsminister: Eher "Hanswurst" denn "Hansdampf in allen Gassen"?

Da muss ich doch energisch widersprechen, Herr Laschet! Ein Griff in die GKV-Kassen ist auch für den Bundesfinanzminister Dr. jur. Wolfgang Schäuble "ad usum proprium" obsolet und verfassungswidrig. Man stelle sich die Proteste vor, wenn in die Kassen der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die sich gerade von den "Geschenken" zu Lasten der nachwachsenden Generationen erholen muss, ebenso dreist zur Sanierung eines maroden Bundeshaushaltes hinein gegriffen würde?

Nein, der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds in Höhe von 14 Milliarden € in 2012 diente offiziell der "Mitfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben" der GKV: Beitragsfreiheit bis zum 18. Geburtstag, Ehepartner-Mitversicherung bzw. Ausgleich bei geringfügigen GKV-Beiträgen (prekäre Arbeitsverhältnisse, Minijobs, geringe Renten, ALG-I und ALG-II). Befreiungen von Verordnungsgebühren, Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen, sonstige familienpolitische Hilfen. Im Jahr 2013 auf 11,5, in 2014 auf 10,5 Milliarden € mit der fiskalpolitischen Heckenschere zurechtgestutzt, verkommt der Bundeszuschuss zum finanzpolitischen Spielball.

Im letzten Familienreport der damals noch schwarz-gelben Koalition von 2012 wurde von 16 Milliarden € jährlichem GKV-Finanzierungsbedarf allein für die kostenlose Mitversicherung von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr ausgegangen. Und von zusätzlichen 13 Milliarden € GKV-Leistungen für nicht erwerbstätige Ehegatten und den erweiterten Sozialausgleich. Diese 29 Milliarden € GKV-Ausgaben wurden in 2012 nur zu 14 Milliarden vom Bundeszuschuss refinanziert und immerhin zu 15 Milliarden € durch GKV-Beitragszahler/Arbeitgeber gestemmt. O h n e jeglichen GKV-Beitragsausgleich bleiben übrigens jedes Jahr die Folgen von Alkohol, Rauchen, Drogen, Sportverletzungen, Umweltschädigungen, (Verkehrs)-Unfällen, Naturkatastrophen und Großschadenereignissen, obgleich Bundesfinanzminister Schäuble bei den damit verbundenen umfangreichen Steuereinnahmen hemmungslos die Hand aufhält.

Jeder Bundesgesundheitsminister, ob er nun Dr. med. Philipp Rösler ("Fipsi") oder Daniel Bahr von der FDP hieß bzw. sich jetzt Hermann Gröhe von der CDU nennt, muss zwangsläufig den Wolfgang-Schäuble-Eignungstest durchlaufen. Die Austestung, ob eine mehr oder weniger rhetorische Protestbereitschaft besteht, permanente Kürzungen des GKV-Bundeszuschusses hinzunehmen, oder nicht. Die FDP-Minister sind damals nach rein verbalen Protesten eingeknickt. BGM Hermann Gröhe praktiziert affirmativen, vorauseilenden Gehorsam: Weil er noch nicht so recht begriffen hat, worum es bei der Kürzung des Bundeszuschusses an die GKV-Kassen eigentlich geht, macht er sich lieber zum Hanswurst und stimmt vorsichtshalber seinem Parteikollegen einfach zu.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
Vgl. auf "Schätzlers Schafott" zum Thema:
Gesundheitspolitik vs. Fiskalpolitik GKV-Bundeszuschuss? Ausgleichszahlung!
http://www.springermedizin.de/gkv-bundeszuschuss-ausgleichszahlung/4582378.html

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