Geisterfahrer-Analogie

Juristin für Würdigung des COVID-Impfstatus bei Triage

Sanktionierung ist keine Aufgabe des Gesundheitswesens, sagt die Freiburger Juristin Professorin Tatjana Hörnle. Sie denkt dennoch darüber nach, wann der COVID-Impfstatus Triage-Kriterium sein könnte.

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Triage

Triage: Wer bekommt den Beatmungsplatz, wenn die Ressourcen knapp werden?

© Fabian Strauch / dpa

Freiburg/Hamburg. Die Rechtswissenschaftlerin Professorin Tatjana Hörnle spricht sich dafür aus, bei einer möglichen Triage in Krankenhäusern wegen COVID-19 den Impfstatus der Patienten mit zu berücksichtigen.

Eine Bevorzugung von geimpften Patienten lasse sich – gleiche Erfolgsaussichten einer Behandlung vorausgesetzt – darauf stützen, „dass eine entscheidungsfähige, volljährige Person wesentlich oder gar ausschließlich durch eigenes Verhalten ihre Notlage verursacht hat“, schreibt die Direktorin am Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in einem Essay für den „Verfassungsblog“. Über den Aufsatz berichtet auch das Magazin „Der Spiegel“.

In der Triage-Debatte sei es die vorherrschende Meinung, „dass das Vorverhalten von Patienten bei Behandlungsentscheidungen nicht zu berücksichtigen sei“, betonte Hörnle. Dies gelte jedoch nur für Normallagen, aber „nicht für den tragischen Extremfall“.

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Benachteiligung nur in „Extremlagen“

Es bleibe „legitim und rational, darauf zu verweisen, dass die Präferenz, Impfrisiken zu entgehen, es zwangsläufig mit sich bringt, das Restrisiko einer Erkrankung hinzunehmen“. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Entscheidung gegen eine COVID-19-Impfung für andere nachvollziehbar sei.

Hörnle verwendet als Analogie einen Geisterfahrer, „der auf der Autobahn absichtlich die falsche Fahrtrichtung eingeschlagen hat“ und durch eine Frontalkollision mehrere Menschen lebensgefährlich verletzt. Von den Rettern müssten alle lebensgefährlich Verletzten versorgt werden, „auch der Geisterfahrer, selbst wenn die Hintergründe der Kollision zweifelsfrei feststünden“.

Ein Unterlassen der Behandlung käme dann einer Sanktionierung gleich, die „aber unter keinen Umständen Aufgabe des öffentlichen Gesundheitswesens“ ist. Anders ist es laut Hörnle bei „Extremlagen“, wenn also die Behandlungskapazitäten begrenzt sind. Dann „sollte nicht die Versorgung des Geisterfahrers Priorität haben, sondern vorrangig die Unfallopfer aus dem anderen Fahrzeug behandelt werden“.

DIMR: Keine Diskriminierung durch Impfstatus

Die Frage, ob gegen SARS-CoV-2 Geimpfte bei einer intensivmedizinischen Behandlung bevorzugt werden können, ist ethisch stark umstritten. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hatte kürzlich erklärt, der Impfstatus dürfe bei einer Triage kein Kriterium sein.

„Man verliert seine Menschenrechte nicht deshalb, weil man sich unvernünftig oder unsolidarisch verhalten hat“, hieß es. Intensivmediziner erklärten, der Impfstatus könne allenfalls eine indirekte Bedeutung für Triage-Entscheidungen haben, etwa wenn Ungeimpfte eine schlechtere medizinische Prognose hätten. (KNA/nös)

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Kommentare
Dr. Manfred Stapff 27.12.202119:51 Uhr

In der Tat ist die Analogie zum Geisterfahrer mit Notfallversorgung unglücklich gewählt. Wie Kollege Schätzler erwähnt hat, fehlen in der wirklichen Welt die Informationen, um sie bei der Triage zu berücksichtigen.
Und in der wirklichen Welt konkurrieren in der Triage nicht nur COVID-Patienten sondern z.B. auch Onkologie-Patienten und nicht nur um Intensiv- sondern generell um Krankenhausbetten.
Soll zum Beispiel tatsächlich ein Leukämie-Patient, der eine dringende stationäre Therapie benötigt, zurückstehen hinter jemandem, der wissentlich und willentlich auf die Impfung verzichtet und damit seine Erkrankung selbst verursacht hat? Einerseits diskutiert man über eine allgemeine Impfpflicht, andererseits würde man aber den Ungeimpften den selben (oder sogar einen höheren?) Triage-Status anerkennen als anderen Patienten, die ihre Erkrankung nicht wissentlich herbeigeführt haben. Das ist keine Frage der Menschenrechte, sondern der Verantwortung jedes einzelnen für die eigene Gesundheit.

Dr. Thomas Georg Schätzler 27.12.202112:18 Uhr

Intensivmedizinisch-infektionsepidemiologisch pseudo-begründete Triage?

Bis zu den Haarspitzen satt habe ich Medizin-/Versorgungs-Bildungsferne, die unprofessionell, ohne persönliche Kenntnisse und Erfahrungen intensivmedizinischer Hintergründe, Verhältnisse, Qualitätssicherungen und Entscheidungshorizonte über Wohl und Wehe von Personal und Patienten auf Intensivstationen (ICU) naiv-empiristisch, ex cathedra entscheiden wollen.

Bei der Rechtswissenschaftlerin Frau Prof. Tatjana Hörnle (vgl. CV Nationale Leopoldina-Akademie der Wissenschaften) sehe ich im Curriculum Vitae: Sie "ist Rechtswissenschaftlerin und Rechtsphilosophin. Sie erforscht vor allem ethische und gesellschaftliche Fragen im Bereich des Strafrechts. Dazu gehören Kriminalisierungstheorien, Straftheorien und strafrechtliche Wertungen, im Kontext des deutschen Rechts und in transnationaler Perspektive. Sie ist Expertin für Sexualstrafrecht und forscht zur Philosophie der Menschenwürde" keinerlei Voraussetzungen, sich ausgerechnet zum Thema Triage qualifiziert und nachhaltig zu äußern. Zu spezieller infektions- und impf-epidemiologischen Expertise finde ich ebenfalls keine Anhaltspunkte.

Von daher geht Ihre Analogie zum Geisterfahrer mit Notfallversorgung und irrelevanter Impfanamnese total fehl: Wer "auf der Autobahn absichtlich die falsche Fahrtrichtung eingeschlagen hat" und durch eine Frontalkollision mehrere Menschen lebensgefährlich verletzt. Von den Rettern müssten alle lebensgefährlich Verletzten versorgt werden, „auch der Geisterfahrer, selbst wenn die Hintergründe der Kollision zweifelsfrei feststünden“.

Fragen an die Strafrechtlerin/Rechtsphilosophin: Seit wann stehen Hintergründe einer Geisterfahrer-Kollision bereits auf der ICU fest oder sind Bestandteil/Konsequenz der Notfall-Anamnese? Genauso gut könnte man analog zu geimpft/ungeimpft postulieren, unangschnallte Unfallopfer/Schädel-Hirn-Traumatisierte (SHT) ohne Schutzhelm würden klinisch schlechter versorgt, als Angeschnallte/Schutzhelmträger?

MfG, Dr. med. Schätzler,

Dr. Michael Pfeifer antwortete am 27.12.202119:02 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Schätzler,

haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihre diesen Beitrag inhaltlich mit nichts zutreffender zu bewertenden Worte; ich bin gerade zu schockiert, wie - auch unter Verfassungsjiuristen - hier die körperliche Unversehrtheit und das Leben Ungeimpfter zur Disposition und zum Abschuss frei gegeben werden sollen; mir fehlen die Worte; eine diesen Gehalt beschreibende Diskussion findet sich meines Wissens nach allein im Rahmen des finalen Rettungsschusses; in welcher Gesellschaft leben wir eigentlich noch, wenn Grundrechte zu amorphen, frei schwebenden, allein dem Mainstream unterworfenen Parametern degradiert werden, jenseits ihrer objektiven, verfassungsrechtlich verankerten Werteordnung und losgelöst vom Gehalt, um den die Väter und MÜtter des Grundgesetzes gekämpft haben; aber nun haben wir wohl die Diskussion, ob jeder Extremsportler und Limonadentrinker von der Krankenversicherung befreit eigen verantwortlich selbst haftet.... was für ein finaler Todesschuss für die Demokratie... und ich habe mal gelernt, eine Demokratie müsste das aushalten ....

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