BKK ProVita
Kassenbericht zu Impfschäden sorgt weiter für Ärger
Eine Krankenkasse behauptet, dass es viel mehr Nebenwirkungen der Corona-Impfungen gibt, als in der offiziellen Statistik auftauchen. Kritik kommt von mehreren Stellen.
Veröffentlicht:Heidelberg. Der Heidelberger Uni-Chefvirologe Hans-Georg Kräusslich ärgert sich über eine Meldung zu Impfschäden der Krankenkasse BKK ProVita. „Ich finde dieses Vorgehen ärgerlich, schlecht und schädlich. Es geht hier eben nicht um schwerwiegende Impfkomplikationen, sondern vermutlich um ganz normale Impfreaktionen, wobei die Kasse gerade nicht sagt, um welche“, sagte Kräusslich der „Rhein-Neckar-Zeitung“ am Samstag.
Die BKK ProVita hatte in einer Analyse behauptet, allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2021 seien 216.695 BKK-Versicherte wegen Nebenwirkungen durch Impfstoffe behandelt worden. Die Daten bezögen sich auf 10,9 Millionen Versicherte. Zum Vergleich: Bis Ende 2021 verzeichnete das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) auf Basis von 61,4 Millionen Geimpften lediglich 244.576 Nebenwirkungsmeldungen.
Peinliches Unwissen?
Kräusslich ist nicht der Einzige, der sich über die Analyse der BKK ärgert: „Peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht – was davon den Vorstand der BKK ProVita bewogen hat, vor angeblichen Alarmzahlen bei Impfkomplikationen zu warnen, weiß ich nicht. Die Schlussfolgerungen aus der Datenlage sind jedenfalls kompletter Unfug“, hatte bereits am Freitag Dr. Dirk Heinrich, der Bundesvorsitzende des Verbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund), das bekannt gewordene Schreiben der Krankenkasse BKK ProVita an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), kritisiert.
Die BKK ProVita vermische dabei zwei völlig unterschiedliche Bereiche: die ärztliche Diagnosenkodierung mit ICD-Schlüsseln und die Meldung an das PEI. Der ICD-Schlüssel U12.9, der zur Dokumentation empfohlen ist, soll etwa bei „Unerwünschten Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen, nicht näher bezeichnet“ angegeben werden. „Unerwünscht“ und „nicht näher bezeichnet“ umfasse jedoch die gesamte Bandbreite der erwartbaren, milden und vorübergehenden Folgen einer Impfung, zum Beispiel eine leichte Schwellung an der Einstichstelle oder erhöhte Temperatur durch die Immunantwort.
Von einer „Gefahr für das Leben von Menschen“, wie die Kasse sich ausgedrückt habe, könne dabei keine Rede sein. Die ICD-Schlüssel dienten vor allem dem Zweck der Dokumentation für die Abrechnung ärztlicher Leistungen.
Nicht alle Nebenwirkungen werden dem PEI gemeldet
Nur wenn es sich um einen Verdacht auf „über das übliche Maß hinausgehende“ Nebenwirkungen handele, seien Ärzte verpflichtet, diese an das PEI zu melden. „Das ist ein eklatanter Unterschied, den die Kasse hier unter den Tisch fallen lässt.
Genauso wie man die Zahl der Verdachtsfälle nicht einfach mit der Zahl der bestätigten Nebenwirkungen gleichsetzen kann“, so Heinrich. Diese „undifferenzierte Schwurbelei“ passe ganz offensichtlich in das Markenimage der Kasse, die mit Homöopathie und Osteopathie als Satzungsleistungen werbe und sich selbst als ,veggiefreundlichste Krankenkasse‘ tituliere. „Offenbar will man vor allem Werbung in der impfkritischen Klientel machen“, so Heinrich.
Schwierige Aufklärung
Die Tübinger Notärztin Lisa Federle hatte der Deutschen Presse-Agentur gesagt: „Um eine klare Datenanalyse, auch über die Kassen, kämpfe ich seit mehreren Monaten. Es kann nicht sein, dass wir aus Angst vor „Querdenkern“ davor zurückschrecken, die Nebenwirkungen von Impfungen in Bezug auf Corona in vollem Umfang zu erfassen.“ Damit sei eine genaue Aufklärung nicht möglich. Außerdem trage das in keiner Weise zum Vertrauen der Bevölkerung bei.
Jeder Arzt sei verpflichtet, vermutete Nebenwirkungen an das Gesundheitsamt zu melden, sagte Kräusslich. Das Paul-Ehrlich-Institut veröffentliche alle gemeldeten Nebenwirkungen. Der Bericht der BKK Provita könne eigentlich keine zusätzlichen schwerwiegenden Nebenwirkungen umfassen. „Man darf nicht einfach potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkungen behaupten, ohne in irgendeiner Form darzulegen, was man meint.“
Haben Ärzte wirklich wissentlich gegen Gesetze verstoßen?
Behauptungen in die Welt zu setzen und die Menschen zu verunsichern bezeichnete Kräusslich als verwerflich. „Und wenn die Kasse schwerwiegende, nicht gemeldete Nebenwirkungen unterstellt, sagt sie gleichzeitig, dass all die behandelnden Ärzte wissentlich gegen geltendes Gesetz verstoßen hätten.“
Um mögliche Nebenwirkungen von Impfstoffen noch besser zu analysieren, sollen die offiziellen Impfquoten in einer Studie mit Daten der Krankenkassen verknüpft werden. Die Studie solle „zeitnah“ starten, hatte das Paul-Ehrlich-Institut am Donnerstag mitgeteilt. (dpa/ger)