Reform gefordert
Klinikärzte sehen Fallpauschalen-System am Ende
Das DRG-System steht weiter unter Beschuss: zu viele Fehlanreize, zu viele Verwerfungen. Nötig sei daher eine grundlegende Operation am System, fordern Krankenhausärzte beim Europäischen Gesundheitskongress.
Veröffentlicht:München. Ärzte drängen auf eine Reform der Krankenhausfinanzierung. „Wir müssen das Finanzierungssystem ganz neu aufstellen“, sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Dr. Susanne Johna, bei einer Online-Veranstaltung im Rahmen des 19. Europäischen Gesundheitskongresses am Montag.
Gut 15 Jahre nach Einführung der Fallpauschalen (DRG) stellten die Beteiligten fest, „die Nebenwirkungen überwiegen die Wirkungen“, so Johna. Handele es sich bei den DRG um ein Medikament, wäre dieses bereits vom Markt verschwunden.
„Beinahe ruinöser Verdrängungswettbewerb“
Die Fallpauschalen setzten falsche Anreize, kritisierte Johna. Die Folge sei ein „beinah schon ruinöser Verdrängungswettbewerb“ unter den Kliniken. Der gehe zulasten der Patienten. Deutschlands 1945 Krankenhäuser befänden sich „in einer komplett marktwirtschaftlichen Wettbewerbssituation“ – verbunden mit den entsprechenden Anreizen und Fehlanreizen „bis hin zu großzügiger Indikationsstellung“, betonte auch der Vorstandschef am Klinikum Nürnberg, Professor Achim Jockwig.
Nötig sei eine Finanzierungsarchitektur, die verstärkt Vorhaltepauschalen einbeziehe. „Wir müssen Vorhaltekosten refinanzieren für die Krankenhäuser, das tun wir nicht über das DRG-System“, so MB-Chefin Johna.
Der Ruf nach Vorhaltepauschalen kommt aktuell aus verschiedenen Richtungen. Die Idee: Fachabteilungen mit einem hohen Anteil nicht planbarer Patientenfälle und einer nur geringen Kapazitätsauslastung sollen in der Vergütung mit einem Vorhalteanteil berücksichtigt werden.
So soll auch verhindert werden, dass Kliniken auf rentable Operationen setzen, weniger lukrative Abteilungen dagegen ausbluten. Zuletzt hatte die Koalition Vorhaltepauschalen für die Abteilungen der Kinder- und Jugendmedizin auf den Weg gebracht.
Kritik an Bedarfsplanung
Jörg Manthey, Teamleiter Krankenhausstrategie bei der Techniker Krankenkasse, sagte, grundsätzlich sei man zur Reform bereit. Allerdings stelle er bei Gesprächen immer wieder fest, „dass wir eine unterschiedliche Definition von Vorhaltekosten haben“.
Hier brauche es ein Einvernehmen, „bevor man das System ändert“. Kritik übte Manthey an der aktuellen Krankenhausplanung. „Wir machen eine Rahmenplanung, wir haben Standorte und jeder macht, was er will – das geht auf keinen Fall mehr.“
Regionale Versorgungsplanung sei notwendig, daher sei es auch richtig, dass die Länder dafür verantwortlich zeichneten, betonte MB-Chefin Johna. „Aber sie planen ja derzeit nicht, sie bilden ein Ist ab und schreiben ihre Krankenhauspläne fort.“
Sinnvoll sei es, stationäre und ambulante Versorgung zu verknüpfen. „Das ist im Sinne der Patienten, die sich Versorgung aus einer Hand wünschen.“
Unikliniken als vierte Säule
Krankenhausplanung habe idealerweise „auf gleicher Grundlage“ stattzufinden, sagte Johna. Ratsam sei ein Konzept, bei dem die Krankenhäuser in die Bereiche „Grund-, Schwer- und Maximalversorgung“ unterteilt würden. Unikliniken sollten als vierte Säule daneben stehen.
Bei einer solchen Arbeitsteilung werde auch klarer, wer zuständig ist für welche Fälle. „Dann haben wir auch nicht mehr das Problem, dass in einem Haus etwas gemacht wird, was ein anderes besser kann. Das Krankenhaus kann sich ja auch finanzieren, wenn es den Fall abgibt.“
Das funktioniere aber nur, wenn Vorhaltekosten „ausreichend finanziert sind“, so Johna. Die aktuelle Corona-Krise könne sich als „Katalysator“ der Reform der Krankenhauslandschaft erweisen.
Kein Entweder-oder
Der Leiter des Instituts für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG), Dr. Christof Veit, betonte, sinnvolle Krankenhausstrukturen bauten sowohl auf Qualität als auch auf Wohnortnähe auf. Beides lasse sich durch das Zusammenspiel von „überregionalem Zentrum und kleiner Versorgungseinheit vor Ort“ realisieren. Das sei kein Entweder-oder.
Entscheidend sei vielmehr die Frage, „was machen die Zentren und was macht die Vor-Ort-Versorgung“. Beides sei von Relevanz für eine gute Versorgung, „aber nicht, indem beide dasselbe machen“, betonte Veit.