Reform gefordert

Klinikärzte sehen Fallpauschalen-System am Ende

Das DRG-System steht weiter unter Beschuss: zu viele Fehlanreize, zu viele Verwerfungen. Nötig sei daher eine grundlegende Operation am System, fordern Krankenhausärzte beim Europäischen Gesundheitskongress.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Versorgung eines Corona-Patienten: Die aktuelle Pandemie zeigt, wie wichtig Vorhaltepauschalen wären.

Versorgung eines Corona-Patienten: Die aktuelle Pandemie zeigt, wie wichtig Vorhaltepauschalen wären.

© Peter Kneffel / dpa

München. Ärzte drängen auf eine Reform der Krankenhausfinanzierung. „Wir müssen das Finanzierungssystem ganz neu aufstellen“, sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Dr. Susanne Johna, bei einer Online-Veranstaltung im Rahmen des 19. Europäischen Gesundheitskongresses am Montag.

Gut 15 Jahre nach Einführung der Fallpauschalen (DRG) stellten die Beteiligten fest, „die Nebenwirkungen überwiegen die Wirkungen“, so Johna. Handele es sich bei den DRG um ein Medikament, wäre dieses bereits vom Markt verschwunden.

„Beinahe ruinöser Verdrängungswettbewerb“

Die Fallpauschalen setzten falsche Anreize, kritisierte Johna. Die Folge sei ein „beinah schon ruinöser Verdrängungswettbewerb“ unter den Kliniken. Der gehe zulasten der Patienten. Deutschlands 1945 Krankenhäuser befänden sich „in einer komplett marktwirtschaftlichen Wettbewerbssituation“ – verbunden mit den entsprechenden Anreizen und Fehlanreizen „bis hin zu großzügiger Indikationsstellung“, betonte auch der Vorstandschef am Klinikum Nürnberg, Professor Achim Jockwig.

Nötig sei eine Finanzierungsarchitektur, die verstärkt Vorhaltepauschalen einbeziehe. „Wir müssen Vorhaltekosten refinanzieren für die Krankenhäuser, das tun wir nicht über das DRG-System“, so MB-Chefin Johna.

Der Ruf nach Vorhaltepauschalen kommt aktuell aus verschiedenen Richtungen. Die Idee: Fachabteilungen mit einem hohen Anteil nicht planbarer Patientenfälle und einer nur geringen Kapazitätsauslastung sollen in der Vergütung mit einem Vorhalteanteil berücksichtigt werden.

So soll auch verhindert werden, dass Kliniken auf rentable Operationen setzen, weniger lukrative Abteilungen dagegen ausbluten. Zuletzt hatte die Koalition Vorhaltepauschalen für die Abteilungen der Kinder- und Jugendmedizin auf den Weg gebracht.

Kritik an Bedarfsplanung

Jörg Manthey, Teamleiter Krankenhausstrategie bei der Techniker Krankenkasse, sagte, grundsätzlich sei man zur Reform bereit. Allerdings stelle er bei Gesprächen immer wieder fest, „dass wir eine unterschiedliche Definition von Vorhaltekosten haben“.

Hier brauche es ein Einvernehmen, „bevor man das System ändert“. Kritik übte Manthey an der aktuellen Krankenhausplanung. „Wir machen eine Rahmenplanung, wir haben Standorte und jeder macht, was er will – das geht auf keinen Fall mehr.“

Regionale Versorgungsplanung sei notwendig, daher sei es auch richtig, dass die Länder dafür verantwortlich zeichneten, betonte MB-Chefin Johna. „Aber sie planen ja derzeit nicht, sie bilden ein Ist ab und schreiben ihre Krankenhauspläne fort.“

Sinnvoll sei es, stationäre und ambulante Versorgung zu verknüpfen. „Das ist im Sinne der Patienten, die sich Versorgung aus einer Hand wünschen.“

Unikliniken als vierte Säule

Krankenhausplanung habe idealerweise „auf gleicher Grundlage“ stattzufinden, sagte Johna. Ratsam sei ein Konzept, bei dem die Krankenhäuser in die Bereiche „Grund-, Schwer- und Maximalversorgung“ unterteilt würden. Unikliniken sollten als vierte Säule daneben stehen.

Bei einer solchen Arbeitsteilung werde auch klarer, wer zuständig ist für welche Fälle. „Dann haben wir auch nicht mehr das Problem, dass in einem Haus etwas gemacht wird, was ein anderes besser kann. Das Krankenhaus kann sich ja auch finanzieren, wenn es den Fall abgibt.“

Das funktioniere aber nur, wenn Vorhaltekosten „ausreichend finanziert sind“, so Johna. Die aktuelle Corona-Krise könne sich als „Katalysator“ der Reform der Krankenhauslandschaft erweisen.

Kein Entweder-oder

Der Leiter des Instituts für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG), Dr. Christof Veit, betonte, sinnvolle Krankenhausstrukturen bauten sowohl auf Qualität als auch auf Wohnortnähe auf. Beides lasse sich durch das Zusammenspiel von „überregionalem Zentrum und kleiner Versorgungseinheit vor Ort“ realisieren. Das sei kein Entweder-oder.

Entscheidend sei vielmehr die Frage, „was machen die Zentren und was macht die Vor-Ort-Versorgung“. Beides sei von Relevanz für eine gute Versorgung, „aber nicht, indem beide dasselbe machen“, betonte Veit.

Lesen sie auch
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Runde der letzten 9

Gießener Dermatologin steht im Finale von Miss Germany

Probleme in ambulanter Versorgung

SpiFa: „Keine einzige Baustelle des Gesundheitswesens beseitigt“

Das könnte Sie auch interessieren
Ein Roboter, der Akten wälzt? Künstliche Intelligenz kann bereits mit Leitlinien umgehen – jedenfalls wenn sie so gut strukturiert sind wie die der DEGAM.

© Iaroslav / stock.adobe.com

Digitalisierung in der Medizin

Kollegin Dr. ChatGPT? Wie Künstliche Intelligenz Ärzten helfen könnte

Digital und innovativ: Klinikum Siegen überzeugt von Fluency Direct

© Solventum Germany GmbH

Solventum Spracherkennung

Digital und innovativ: Klinikum Siegen überzeugt von Fluency Direct

Anzeige | 3M Healthcare Germany GmbH
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Kommentare
Insgesamt lässt sich auf jeden Fall sagen, dass die Kosten an vielen Stellen schneller gestiegen sind als der Orientierungswert.

© Leafart - stock.adobe.com

Praxismanagement

So bekommen Sie steigende Praxiskosten in den Griff

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: apoBank
In der Klinik Königshof in Krefeld werden Menschen mit psychischen Erkrankungen behandelt. Die digitale Terminvergabe über Doctolib senkt eine Hemmschwelle: Es fällt leichter, mit wenigen Klicks einen Termin zu buchen, als im direkten Gespräch am Telefon.

© St. Augustinus Gruppe

Unternehmensstrategie für Krankenhäuser

Patientenportal stärkt die Reichweite der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Patientenportale: Greifbarer Mehrwert für Klinik und Patienten

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung von Krankenhäusern

Patientenportale: Greifbarer Mehrwert für Klinik und Patienten

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!

Lesetipps
Im Vordergrund Savanne und eine Giraffe, im Hintergrund der Kilimandscharo.

© espiegle / stock.adobe.com

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger