Kommentar zum Notdienst-Streit in Nordrhein

Kurzsichtige Vorwürfe

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

In der Debatte um die Reform des ärztlichen Notdienstes in der KV Nordrhein haben manche Ärzte einen riskanten Kurs eingeschlagen. Sie polemisieren gegen den Notdienst, weil die meisten Patienten dort ohnehin nichts zu suchen hätten.

Klar gehört nicht jeder Patient, der zu den sprechstundenfreien Zeiten zum Notdienst kommt, tatsächlich dorthin, zumindest aus medizinischer Sicht. Aber subjektiv halten sich die meisten für einen Notfall. Aus Lust und Laune geht kaum jemand in die Notdienstpraxen. Zudem warnen Mediziner mit Recht vor Selbstdiagnosen.

Wenn es um die Unterstützung ihrer Belange geht, versuchen die Ärzte gern, ihre Patienten zu mobilisieren. Da ist es kurzsichtig, ihnen jetzt pauschal vorzuwerfen, das System nur auszunutzen.

Hinzu kommt: Wenn der vertragsärztliche Notdienst wirklich in großen Teilen überflüssig ist, könnten Kassen und Politik auf die Idee kommen, ihn an die Krankenhäuser zu verlagern.

Damit ginge den niedergelassenen Ärzten auch das Notdiensthonorar verloren - in Nordrhein waren es im Jahr 2011 immerhin 44,5 Millionen Euro.

Mit ihrer Argumentation haben diese Ärzte nicht nur die Interessen ihrer Patienten aus den Augen verloren, sondern auch die vieler Kollegen.

Lesen Sie dazu auch: Nordrhein: Notdienstreform bringt Ärzte auf die Palme

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Kommentare
Dr. jens wasserberg 15.02.201315:36 Uhr

Das System muss zukunftsfest gemacht werden

Sehr geehrte Frau Schlingensiepen,

woher nehmen Sie die Erkenntnis, dass meine Aussage pauschaliert ? Haben Sie selber am Notdienst teilgenommen ? Kennen Sie Umfragen zu diesem Thema oder besitzen Sie Kenntnisse über die im Notdienst vorrangig erbrachten ICD-Diagnosen ? Wie erklären Sie sich die extremen regionalen Unterschiede in der Inanspruchnahme, wenn nicht in einer unmedizinischen Komponente ?
Man mag über die Prozentzahlen streitet, aber die Problematik, dass der fehlerhafte Gebrauch des Notdienstes mittlerweile die notwendigen Inanspruchnahmen deutlich übersteigt, ist Konsens bei denen, die diese Arbeit leisten.
Sie mögen diese Analyse missverstehen als böswillige Unterstellung an die Patienten, dass diese das quasi aus niederen Motiven täten. Das tun sie selbstverständlich nicht. Es ist ihnen vielmehr unkritisch in den letzten Jahren beigebracht worden und sie sind in den allermeisten Fällen von der Dringlichkeit ihrer Inanspruchnahme überzeugt. Da dem aber immer öfters aus medizinischer Sicht nicht so ist, muss ein Umdenken erfolgen, wenn man die medizinische Versorgung in Deutschland zukunftsfest machen will.
Dazu gehört auch die für einige schmerzhafte Wahrheit, dass es nicht weiter Alles zu jeder Zeit unbegrenzt geben kann. Wer das fordert, der sorgt dafür, dass die wirklich Kranken immer länger auf eine angemessene Behandlung warten müssen.
Selbst die Frage, ob es in einer Zeit, wo es immer weniger Ärzte in der Grundversorgung geben wird, sinnvoll ist, die Arbeitszeit dieser Ärzte durch teilweise lange Fahrten zum Patienten zu verbrauchen, als dass diese Patienten zunächst regelhaft ( bis auf wenige immobile Ausnahmen ) zu den Ärzten in entsprechend ausgestattete Praxen gebracht werden, wird in fast allen Ländern der Erde anders gesehen als in Deutschland. Denkverbote werden uns aber nicht helfen, die demographischen Probleme zu lösen.
Aus meiner Sicht jedenfalls hat sich die VV der KVNO diesem Thema ernsthaft gewidmet und mit einem ansonsten eher unüblichen Konsens den Weg zu einer übergreifenden Lösung geebnet. Wäre dabei viel Polemik jenseits der üblichen ''Folklore einer Debatte'' im Spiel gewesen, wäre es wohl nicht zu diesem Ergebnis gekommen.

Ob es dieser ''Folklore'' wirklich bedarf, ist allerdings eine legitime andere Frage.

Mit freundlichen Grüßen,

Jens Wasserberg

Ilse Schlingensiepen 15.02.201313:06 Uhr

Es geht um den Stil

Sehr geehrter Herr Dr. Wasserberg,

den Missbrauch des Notdienstes durch eine „kleine Gruppe der Patientenschaft” bestreite ich nicht. In der VV haben Sie aber gesagt, „80 bis 90 Prozent aller Notdienstinanspruchnahmen sind völlig überflüssig”. Gegen diese Pauschalisierung richtet sich meine Kritik.

Die Charakterisierung der Debatte als teilweise polemisch bezog sich auf die Art der Diskussion, nicht die Argumente selbst. Von einer sachlichen Atmosphäre habe ich zumindest am Mittwoch wenig gespürt. Wenn Formulierungen wie „Lügen werden hier elegant vorgetragen” oder die Bezeichnung der in der VV vertretenen Klinikärzte als „5. Kolonne”, die die niedergelassenen Ärzte nur aushorchen will, für Sie keine Polemik sind, dann haben wir sicherlich ein unterschiedliches Verständnis von diesem Begriff.

Ilse Schlingensiepen

Dr. jens wasserberg 15.02.201308:06 Uhr

Es geht um das Wie und nicht um das Ob

Der sog. Notdienst wird zum großen Teil missbraucht für Befindlichkeitsstörungen und Bagatellerkrankungen. Wer das leugnet hat keinen Einblick in die Realitäten. Dieser Missbrauch muss in Zeiten von einem bereits absehbaren und unumkehrbaren Ärztemangel thematisiert werden, damit das System nicht kollabiert. In keinem Land der Welt gibt es eine ähnliche Struktur wie in Deutschland, in dem der Patient keinerlei Verantwortung für die verursachten Kosten trägt.
Zusätzlich hat der Vorstand der KVNO eine Systematik intentiert, die bereits in anderen KVen wegen explodierender Kosten wieder eingestellt wurde. Diesen Hinweis und die Sorge darum, dass dies auch in Nordrhein so kommen könnte, als Polemik darzustellen, geht am Thema vorbei. Die Satzung der KVNO besagt, dass die VV es ist, die über den Notdienst bestimmt und eben nicht die Verwaltung ohne diejenigen, die den Dienst denn dann machen müssen. Es gibt eine Fülle konstruktiver Vorschläge zur Notdienständerung, nur musste der Vorsiszende der KVNO leider gezwungen werden, diese in die Notdienständerung angemessen einfließen zu lassen.
Die Krankenhäuser haben diselben personellen Probleme, so dass eine Verlagerung an die ohnehin schlecht besetzten Kliniken illusorisch ist. Und was haben die Ärzte von einem Honorar, von dem sie einen zweistelligen Anteil alleine für die Verwaltungsoverheadkosten ausgeben dürfen ? Wer all diese Einwürfe als billige Polemik bezeichnet, der hat vielleicht nicht den Kern der Problematik verstanden. Es geht um das Wie und nicht um das Ob. Den letzten Alleingang der KVNO dürfen die Kollegen noch heute durch ihre bundesweit niedrigsten Kopffallwerte bezahlen, so dass das Vertrauen auf die Unfehlbarkeit der Verwaltung nicht unendlich sein sollte.
Gerne tragen die ''Polemiker'' zu einer sachorientierten Diskussion auch in Ihrer Zeitung bei, zumal diese ''Polemiker'' eine Mehrheit in der VV davon überzeugen konnte, dass es in dieser Frage notwendig ist, fundiert die Sachprobleme anzusprechen und sein Heil nicht in der persönlichen Desavouierung der Gegenseite zu suchen.
Im übrigen liegt es sehr wohl im Interesse unserer Patienten, wenn wir Ärzte den Systemmissbrauch durch einen kleine Gruppe der Patientenschaft eindämmen. Denn in einem vollbudgetierten System hat der wirklich bedürftige und kranke Patient alles Recht der Welt, dass man seine Interessen vor dem reinen Eigennutzstreben einiger weniger
Patienten schützt.
Jedenfalls ist eine kritiklose Erfüllung noch der unsinnigsten Patientenwünsche ohne medizinische Notwendigkeit keine Lösung und nicht im Sinne unserer Patienten, für die wir uns einsetzen.

Dr. med. Jens Wasserberg
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