Spielraum für Lockerungen verbraucht?
Lauterbach: Ohne Corona-Impfpflicht muss die Maske im Herbst bleiben
Nach dem Scheitern der allgemeinen Impfpflicht schwört Minister Karl Lauterbach die Bürger auf einen schweren Herbst ein. Dann werde aber voraussichtlich ein bivalenter Impfstoff zur Verfügung stehen. Ein Aus für die einrichtungsbezogene Impfpflicht drohe nicht.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Als „klare und bittere Niederlage für Impfpflichtbefürworter“ ordnete Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) am Freitag in der Bundespressekonferenz die Abstimmung im Bundestag ein. Nun werde Deutschland zum dritten Mal nicht optimal vorbereitet in eine neue Welle gehen. Es sei unwahrscheinlich, dass es im nächsten Herbst und Winter nicht wieder zu einem Anstieg der Infektionszahlen komme.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Bundestagsentscheidung kundtat, keinen neuen Anlauf in Richtung allgemeine Impfpflicht nehmen zu wollen, hielt Fraktionskollege Lauterbach die Türen offen. Er werde sich weiteren Gesprächen mit der Union nicht verweigern. Er sei aber skeptisch, dass dadurch etwas erreicht werden könne. „Wir haben viele Monate Angebote gemacht“, herausgekommen sei am Ende nichts.
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Ullmann: Keine Mehrheit für Corona-Impfpflicht
Klar gegen einen neuerlichen Versuch, eine gesetzliche Corona-Impfpflicht aufzulegen, sprach sich der FDP-Obmann im Bundestags-Gesundheitsausschuss, Professor Andrew Ullmann, aus. „Die Entscheidung ist gefallen“, sagte Ullmann der Ärzte Zeitung am Freitag. Die Abstimmung am Donnerstag habe „eins gezeigt: Der Bundestag ist in der Frage der Impfpflicht genauso zerrissen wie das Land.“ Im Parlament gebe es keine Mehrheit für eine Impfpflicht.
Der Sommer sei nun dazu zu nutzen, die Immunisierung in der Bevölkerung zu erhöhen, betonte Ullmann. Eine Beratungspflicht für Ungeimpfte halte er dabei weiterhin für einen gangbaren Weg. Dieser könne auch als Regierungsentwurf in den Bundestag eingebracht werden. „Schließlich war die Beratungspflicht im Gegensatz zur Impfpflicht nie Bestandteil der Gewissensentscheidung im Parlament“, sagte Ullmann.
Regierung will kreative Impfkampagne aufsetzen
Auch Lauterbach warb dafür, die Zeit bis zum Herbst zu nutzen, eine „kreative Kampagne“ fürs Impfen zu starten und kontinuierlich zu werben – auch für weitere Booster-Impfungen. Eine vierte Impfung sei vor allem für vorerkrankte Menschen wie etwa Patienten mit Herzinsuffizienz, Hypertonie, Diabetes, rheumatischen Erkrankungen oder chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen wichtig und werde auch zur Verfügung stehen. Er plädierte dafür, die STIKO-Empfehlungen „liberal“ zu interpretieren.
Deutschland habe bereits ausreichend Kontingente des „Wuhan-Impfstoffes“ bestellt. Auch Omikron-Vakzine seien in „ausreichender Menge“ gesichert. Moderna werde voraussichtlich einen bivalenten Impfstoff gegen die Wuhan-und Omikron-Variante bereitstellen können. „Im Herbst können wir auf jeden Fall impfen“, so Lauterbach.
Für die einrichtungsbezogene Impfpflicht werde die Bundestagsentscheidung keine Konsequenzen haben. „Es droht nicht das Aus vor Gericht, das glaube ich nicht“, sagte der Minister. Hier gehe es schließlich um den Schutz vulnerabler Gruppen. Die Impfung sei in dem Bereich auch gut angenommen worden. Das erfreuliche Ergebnis sei, dass es in den Heimen keine überproportionale Sterberate mehr gebe.
Keine weiteren Lockerungen
Lauterbach kündigte an, dass es auf absehbare Zeit keinen Vorschlag mehr für eine Änderung von Quarantäne- oder Isolationsregeln geben werde. Der Spielraum für weitere Lockerungen sei „komplett verbraucht“. Spätestens am 23. September, wenn das Infektionsschutzgesetz auslaufe, müsse die Politik wieder ran. „Wir können ohne Impfpflicht nicht ohne Maskenpflicht in den Herbst reingehen“, sagte der Minister.
Unterdessen forderte am Freitag Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) Bundeskanzler Scholz auf, seine Absage an einen neuen Impfpflicht-Vorstoß zu überdenken. Scholz müsse „so schnell wie möglich“ sich mit den Parteien und dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz zusammensetzen und „eine mehrheitsfähige Lösung finden.“ Holetschek warnte: „Wir dürfen nicht unvorbereitet in den Herbst gehen.“
300 Tote am Tag „unerträglich“
Als „bitteres Signal“ für die Pflegekräfte und Ärzte in den Krankenhäusern bezeichnete die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Ablehnung der allgemeinen Impfpflicht. Sie bezweifelt, dass bis Herbst eine Trendwende bei der Impfbereitschaft erreicht wird.
Professor Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, betonte in der Bundespressekonferenz: „Wir dürfen nicht aufhören alles dafür zu tun, dass sich die Menschen impfen lassen. 200 bis 300 Tote pro Tag finde ich als Arzt nicht erträglich.“ (juk/hom)