Umstritten
Leopoldina will Embryonen für die Forschung
Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Leopoldina plädiert dafür, das Embryonenschutzgesetz zu liberalisieren. Damit machen sie sich nicht nur Freunde.
Veröffentlicht:Berlin. Die Wissenschaftsakademie Leopoldina und die Akademienunion fordern in einem Positionspapier das Aufbohren des Embryonenschutz-Gesetzes an einer zentralen Stelle. Sie empfehlen dem Gesetzgeber, die Forschung an humanen Embryonen zu ermöglichen. Dies ist bislang nach Paragraf 2 Absatz 1 ESchG verboten und strafbewehrt.
Sogenannte „überzählige“ Embryonen entstehen auch in Deutschland im Zuge reproduktionsmedizinischer Verfahren. Mit der gesetzlichen geschaffenen Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik seit 2011 entstünden viele dieser Embryonen, die „gerade wegen ihrer Disposition für eine schwerwiegende Erbkrankheit oder wegen einer schwerwiegenden Schädigung (...) nicht auf die vorgesehene Frau übertragen werden“, heißt es in der Stellungnahme „Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland“.
Gerade diese Embryonen wären aber im besonderen Maße geeignet, zur Erforschung der bei ihnen angelegten genetischen Disposition beizutragen, so die Autoren.
„Doppelmoral“ in den geltenden Regeln
Im geltenden Recht machen die Wissenschaftler „Doppelmoral“ und Wertungswidersprüche aus: So verbiete das ESchG, Stammzellen aus menschlichen Embryonen zu gewinnen, wohingegen das Stammzellgesetz den Import von im Ausland erzeugten embryonalen Stammzellen zulässt.
Deshalb wollen sich die Autoren auch nicht in der jahrelangen Debatte über unterschiedliche moralische Schutzansprüche des Embryos verkämpfen, sondern ziehen die Debatte auf eine höhere Ebene: Im demokratischen Staat gebe es nun einmal ein Nebeneinander unterschiedlicher ethischer Auffassungen. Von daher sei es sinnvoll, die Diskussion von der individualethischen Ebene auf die der politischen Ethik zu verlagern.
Hierbei sollte dann nicht die restriktivste Position zum Maßstab rechtlicher Regelungen gemacht werden – gemeint ist das Embryonenschutzgesetz –, sondern Betroffenen sollte ein eigener Entscheidungsspielraum eingeräumt werden.
Freigabe der Embryospende für die Forschung
Konkret schlagen die Autoren vor, Paaren die Embryonenspende für die Forschung zu erlauben. Eine unabhängige Beratung sollte dabei sicherstellen, dass die Betroffenen eine informierte Entscheidung treffen können, heißt es. Bislang erlaubt das Gesetz nur, dass „überzählige“ Embryonen an andere Paare mit Kinderwunsch abgegeben werden dürfen.
Es sei Regelungsaufgabe des Gesetzgebers, Forschungsfreiheit und Grenzen der Forschung in einen Ausgleich zu bringen. Maßstab dafür sei die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Wissenschaft und Forschung: „Nicht die Freiheit ist zu begründen, sondern das Verbot oder die Einschränkung.“ Die Rechtsordnung müsse begründen, warum das, was Wissenschaftler tun wollen, „in concreto illegitim ist“.
Es gebe im In- und Ausland Beispiele für Institutionen, die ethisch komplexe Forschungsfragen in interdisziplinär besetzten Gremien beurteilen – genannt werden die britische Human Fertilisation und Embryology Authority oder die deutsche Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES), in der seit 2002 Anträge auf Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen unter anderem im Hinblick auf die „Hochrangigkeit“ der Forschungsziele bewertet werden. Vergleichbar diesen Einrichtungen sollte auch die Forschung mit humanen Embryonen in Deutschland überprüft werden.
„Die gleichen Recken seit 20 Jahren“
Die Stellungnahme und ihre Entstehung ist beim früheren Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Professor Peter Dabrock, auf harsche Kritik gestoßen. Der an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrende Theologe stößt sich nicht nur an der Zusammensetzung der 15 Autoren: „Das sind die alten Recken, die seit 20 Jahren dasselbe fordern“, kritisierte Dabrock im Deutschlandfunk.
Zudem gehe es sich beim Thema Embryonenschutz nicht nur um naturwissenschaftliche Fragen, sondern auch geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Positionen hätten in die Stellungnahme einfließen müssen, mahnte Dabrock. Er nannte es ärgerlich, dass die Wissenschaftlergruppe, die im konkreten Fall „an der Grenze zur Weltanschauung argumentiert“, nicht die Vielfalt der Gesellschaft repräsentiert, die sie in der Stellungnahme selbst einfordere.
In der Unionsfraktion im Bundestag gibt es Stimmen, die in der nächsten Legislatur nach einer Überarbeitung des Embryonenschutzgesetzes rufen. Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Claudia Schmidtke, hatte im März angekündigt, man wolle nach der Wahl die bestehenden Regeln der Fortpflanzungsmedizin unter die Lupe nehmen. Ziel sei dann, unnötige rechtliche Hürden abzubauen, ohne sich ausschließlich am technisch Machbaren zu orientieren.