Interview
Maag: Jetzt lerne ich, warum manches beim GBA Zeit braucht!
Seit Anfang Juli ist Karin Maag Unparteiisches Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses. Als Gesundheitspolitikerin hat sie im Bundestag Gesetze mit angestoßen, an deren Umsetzung in der Selbstverwaltung sie nun beteiligt ist. Ein Lernprozess, sagt sie selbst.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Sie sind als gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion vom großen zum „kleinen Gesetzgeber“ gewechselt. Wie fühlt sich das an? Wie eine Vollbremsung?
Karin Maag: Ich arbeite auch beim GBA weiter daran, unser Gesundheitssystems noch besser zu machen. Bisher war ich für den gesetzlichen Rahmen zuständig. Jetzt wird es konkreter. Ich finde es sehr spannend, dass ich jetzt am gleichen Thema, aber an anderer Stelle weiterarbeiten kann. Ich lerne, wo die Herausforderungen in der Umsetzung der Gesetze liegen. Ich kann mir viele Fragen beantworten, die ich als Teil des Gesetzgebers hatte, zum Beispiel, warum manches beim GBA Zeit braucht.
Wir meinten das so: In der jüngeren Vergangenheit hatten Sie Gesetzesprojekte in hoher Schlagzahl zu bearbeiten. Jetzt geht es doch etwas langsamer, oder?
Sie werden ahnen, dass der GBA auch bei vielen Projekten zuständig ist, die ich als Gesundheitspolitikerin sozusagen mit beauftragt habe. Von den Bänken kommt nun schon manchmal ein Lächeln, dass ich daran jetzt auf GBA-Seite mitarbeiten darf.
Karin Maag
- Aktuelle Position: Unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss; Vorsitzende der Unterausschüsse Qualitätssicherung, Ambulante spezialfachärztliche Versorgung und Disease Management Programme. Maag folgt Professor Elisabeth Pott, die Ende Februar aus persönlichen Gründen den GBA verlassen hat.
- Werdegang: Maag ist gelernte Juristin. Von 2009 bis 30. Juni 2021 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2017 gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion von CDU/CSU. Zuvor war sie Ministerialdirigentin im Landtag von BadenWürttemberg und Leiterin des Büros des Oberbürgermeisters der Stadt Stuttgart, Wolfgang Schuster (2003 bis 2007).
Die Machtfülle des GBA hat ihm den Spitznamen „kleiner Gesetzgeber“ eingebracht. Könnte der Bundestag die Arbeit der Selbstverwaltung überhaupt mit übernehmen?
Das wäre weder inhaltlich sinnvoll noch vom Arbeitsaufwand her zu bewältigen. Um die Aufgaben in gleicher Qualität zu meistern, müsste eine dem Gesundheitsministerium nachgeordnete neue Verwaltungsbehörde installiert werden. Und damit käme auch die Frage auf, wie unabhängig eine solche Behörde noch entscheiden könnte. Wenn es die Selbstverwaltung nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Da ist die Fachexpertise, da sind schlanke Strukturen, da ist viel Ehrenamt dabei. Das könnte weder der Bundestag, noch das Ministerium oder eine Fachbehörde leisten.
Aber die Mühlen können schon sehr langsam mahlen dort. Ging Ihnen das als Politikerin nicht auch einmal auf die Nerven?
Das gebe ich gerne zu.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Als es um die Biomarker-Tests für Brustkrebspatientinnen ging, die den Frauen helfen sollen, sich für oder gegen eine Chemotherapie zu entscheiden, hat mich die Dauer des Verfahrens von mehr als fünf Jahren gestört. Inzwischen gibt es vier Biomarker-Tests. Wenn man von außen auf solche Verfahren schaut, ohne die Fülle an Detailfragen und die umfangreiche Recherche im Blick zu haben, dann tut man sich schwer, solch langwierige Abläufe nachzuvollziehen. Das lerne ich gerade.
2019 drohte Gesundheitsminister Jens Spahn zur Beschleunigung der Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Fachaufsicht über den GBA. Damals ging es um die Behandlung von Frauen mit krankhaften Fettverteilungsstörungen auf Kassenkosten. Wo standen Sie damals?
Für die betroffenen Patientinnen war die Situation ein persönliches Drama, da die Liposuktion mit großen Hoffnungen verknüpft, die Studienlage aber schlecht war. Darum wurde Liposuktion nur in Ausnahmefällen bezahlt, und der GBA hatte eine Erprobungsstudie in Auftrag gegeben. Bei neuen Behandlungsverfahren wie der Liposuktion gilt es im Sinne der Betroffenen abzusichern, dass solche Eingriffe von gleichbleibender Qualität sind, dass nicht jeder Arzt solche Eingriffe vornehmen kann, dass es kein hohes Gefahrenpotenzial gibt. Hinter der gefundenen Lösung – eine Erprobungsstudie und ein befristeter Leistungseinschluss für besonders schwer betroffene Frauen - stehe ich.
Das Parlament ist dem Minister aber nicht in seiner Absicht gefolgt, die Lipödem-Operation per Rechtsverordnung zur Kassenleistung zu machen. Aus gutem Grund. Da hat sich meine Meinung seither nicht geändert. Es ist schon richtig, dass die Fachexpertise des GBA zusammen mit den Vorgaben des Parlaments und des SGB V die Basis für die Leistungsentscheidung ist.
Welche Entscheidungen, die Sie im Bundestag mit angestoßen haben, sind denn noch in der Umsetzungsphase beim GBA?
Da ist zum Beispiel der Komplex ambulante spezialfachärztliche Versorgung. Als diese Versorgungsform 2012 Gesetz wurde, war ich schon mit dabei. Und es kommen laufend neue Krankheiten dazu. Wir wollten das damals unter dem Stichwort „sektorenübergreifende Versorgung“ fördern. Was ich in meiner neuen Position lerne, ist, warum die ASV noch nicht so „fliegt“, wie ich mir das als Politikerin vorgestellt habe. Das ist aber etwas, woran ich gerne arbeite.
Ich schaue jetzt aus einer anderen Perspektive auf die Versorgung und suche weiterhin nach Lösungen, um sie besser zu machen. Ein weiteres Beispiel ist ganz aktuell kurz vor der Sommerpause das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz. Da ging es um Mindestmengen in der Krankenhausversorgung, die Zweitmeinung war auch Thema. Alles Dinge, die ich nun hier an anderer Stelle vorantreiben kann.
Warum wird die ASV als sehr stark krankenhauslastig und nicht als Beispiel für sektorenübergreifende Versorgung wahrgenommen? Wo könnte man die Brücke doch noch schlagen?
Bei der ASV geht es im Wesentlichen um seltene Erkrankungen und schwere Verlaufsformen, wofür man Spezialisten braucht. Es gibt interdisziplinäre Teams, in denen Klinikärzte und Niedergelassene zusammenarbeiten. Mein erster, noch nicht abschließender Eindruck ist, dass die Krankenhäuser organisatorisch und strukturell einen Vorsprung gegenüber den niedergelassenen Ärzten haben. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.
Mit der früheren gesetzlichen Regelung zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus, die seit 2012 schrittweise durch die ASV abgelöst wird, haben sie auch schon etwas länger Erfahrungen in der Versorgung von Menschen mit komplexen Krankheitsbildern. Angeführt wird zum Beispiel aber auch, dass in jeder KV-Region bei den zuständigen erweiterten Landesausschüssen das Anzeigeverfahren anders läuft. Probleme bereiten auch die Abrechnungsziffern beziehungsweise der Ausschluss bestimmter Ziffern. Wo der richtige Weg ist, kann ich noch nicht sagen. Dass man da aber noch einmal dran muss, das sehe ich schon.
Es gibt ein Projekt des Innovationsfonds, das die ASV evaluiert. Es läuft im Dezember aus. Passiert bis dahin überhaupt noch etwas?
Wir werden in diesem Jahr noch zwei neue ASV-Anforderungen beschließen: Zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sowie zu Tumoren des Gehirns und der peripheren Nerven. Das über den Innovationsfonds geförderte Projekt wird uns sicher generelle Hinweise geben, wo wir nacharbeiten müssen beziehungsweise können. Was man dabei nicht vergessen darf: Hinweise aus der Versorgungspraxis bekommen wir fortlaufend und sie werden nach Prüfung auch berücksichtigt. Das ist ein ganz normaler Weg zur Weiterentwicklung unserer Richtlinien, neben systematischen Evaluationen.
2015 haben Sie folgende Sätze geschrieben: „Qualität spielt künftig eine größere Rolle, wird stärker kontrolliert und ständig verbessert. Krankenhäuser, die dauerhaft schlechte Leistungen erbringen, dürfen diese nicht mehr anbieten.“ Wie aktuell ist dieser Satz heute?
Nach wie vor sehr aktuell. Die Qualitätssicherung gehört zu den Kernaufgaben des GBA. Hier haben wir verschiedene Instrumente – von strukturellen und personellen Anforderungen über Mindestmengen oder Zweitmeinungen bis hin zur Messung der Behandlungsergebnisse anhand bestimmter Indikatoren. So stellen wir sicher, dass die Qualität gleichbleibend hoch ist, dass die Indikationsstellung gerechtfertigt ist und dass man die medizinischen Standards einhält. Das ist im Krankenhaus wichtig. Das gilt gleichermaßen aber auch für die niedergelassenen Ärzte. Und für die sektorenübergreifenden Qualitätssicherungsverfahren, die auf den Behandlungsverlauf abstellen. Wir können so die komplette Behandlung eines Patienten in beiden Sektoren in den Blick nehmen. Daraus kann man vieles erkennen. Ich finde das einen der spannendsten Teile meiner Tätigkeit.
Professor Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des GBA, hat ja vor wenigen Tagen gesagt, Deutschland habe 700 Krankenhäuser zu viel. Welchen Einfluss hat die Qualitätssicherung im GBA auf Krankenhausstrukturen?
Grundsätzlich ist die Krankenhausplanung Ländersache. Bei der Qualitätssicherung geht es darum, eine gute medizinische Versorgung sicherzustellen bzw. den Leistungserbringern Hinweise auf Verbesserungsbedarfe zu geben. Wenn Häuser über einen längeren Zeitraum messbar schlechte Ergebnisse bringen, muss der Versorgungsauftrag selbstverständlich zur Disposition stehen – ob die Länder den Hinweisen folgen, liegt aber nicht in der Hand des GBA.
Wie ernst werden die Hinweise genommen?
Strukturveränderungen werden auch unter Krankenhausvertretern diskutiert, schon alleine wegen begrenzter Personalkapazitäten im pflegerischen wie ärztlichen Bereich. Eine politische Aufgabe ist es, das Gespräch mit den Ländern zu suchen, wie die Krankenhausplanung und die Versorgungssicherheit künftig neu gedacht werden können. Ich denke, auch der Landespolitik ist klar, dass nicht jedes Krankenhaus am Netz bleiben kann.
Klinikschließungen sind politisch unbeliebt, weil die Bürger oft nicht mitgehen.
Ja, das ist so, Überzeugungsarbeit ist hier sehr schwierig, muss aber geleistet werden. Am Beispiel der Versorgung von Frühchen kann man das wunderbar aufzeigen. Selbstverständlich ist es Eltern lieber, dass ihr Kind bestmöglich versorgt wird, in guten Händen ist und möglichst ohne Folgeschäden überlebt, als eine Besuchsmöglichkeit binnen einer halben Stunde Fahrzeit zu haben. Das wissen auch die Länder.
Es wird darum gehen, die Krankenhäuser, die nicht versorgungsrelevant sind, in gute ambulante Versorgungseinrichtungen umzuwandeln. Das können Ärzte- oder Pflegezentren sein. Bürgerinnen und Bürger sehen dann, dass sie nicht vergessen werden. Sie bekommen eine gute ambulante Versorgung für die weniger dramatischen Fälle. Und wenn es ernst ist, wissen sie, dass siein einem qualitativ hochwertigen Krankenhaus behandelt werden.
Kann Qualität auch über Vergütungsmechanismen – Pay for Performance - gesteuert werden?
Ich gehe davon aus, dass nach der Bundestagswahl das Thema der Vergütung in diese Richtung treiben wird. Hier gibt es auf unterschiedlichsten Ebenen in der Tat immer wieder Überlegungen. Der ursprüngliche Auftrag an den GBA, Indikatoren für Zu- und Abschläge für die Vergütung von Krankenhäusern zu entwickeln, ist jedoch aus guten Gründen durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wieder gestrichen worden.
Gestärkt wurde hingegen der Auftrag an den GBA, Qualitätsverträge zwischen Kliniken und Krankenkassen zu unterstützen, mit denen erprobt werden soll, ob sich die Qualität stationärer Behandlungsleistungen über Anreizsysteme weiter verbessern lässt.
Vergütungsthemen wie die einheitliche Vergütung von ambulant wie stationär zu erbringenden Leistungen sind in der laufenden Legislatur nicht weit gekommen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe dazu hat nur einen Zwischenbericht vorgelegt…
Ich war zusammen mit der SPD-Kollegin Sabine Dittmar Gast in dieser AG. Das war aus Sicht der Bundestagsabgeordneten nicht vergnügungssteuerpflichtig. Ich hatte den Eindruck, es geht eher darum, was der Bund zusätzlich bezahlen könnte. Da ging es weniger darum, dass wir sinnvolle Einheiten bilden und wie Leistungen dort dann einheitlich vergütet werden.
Sie sind ja beim GBA auch Vorsitzende des Unterausschusses Disease Management Programme. Was haben Sie damit vor?
Auch hier gibt es wieder einen Anknüpfungspunkt zu meiner früheren Tätigkeit. Es gibt einen gesetzlichen Auftrag an den GBA, ein DMP Adipositas aufzusetzen. Die bereits bestehenden DMP werden zudem regelmäßig überprüft und angepasst. Sonst verlieren sie ihren Sinn. Wenn man immer nach dem neuen medizinischen Standard behandeln will, muss man die DMP in regelmäßigen Abständen in die Hand nehmen und schauen, ob es neue Leitlinien oder anderweitige Erkenntnisse dazu gibt. Und es geht darum, dass wir routinemäßig digitale medizinische Anwendungen implementieren.
Man hört wenig von den DMP Depression und Chronischer Rückenschmerz. Laufen die ins Leere?
Wir haben die Anforderungen für die DMP erstellt, aber sie entfalten keine Wirkung, solange sie nicht umgesetzt werden, weil Krankenkassen und Ärzte die entsprechenden Verträge nicht schließen. Das ist ein Ärgernis. Und ich freue mich darüber, dass ich dem nun nachgehen kann, warum das so ist.
Was hält denn die Kassen davon ab, diese Verträge einzugehen?
Womöglich ist die Erstattung aus dem Risikostrukturausgleich zu gering.