Infektionsschutzgesetz

Marburger Bund klagt gegen umstrittene Triage-Regelung

Nicht praktikabel und falsch: Der Marburger Bund will gegen das Ende 2022 beschlossene Verbot der Ex-post-Triage Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen. Ausgang ungewiss.

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Blick in die Notfallstation.

Pandemiebedingte Triage: Extremsituation, die viele Klinikärztinnen und Klinikärzte auch an ethische Grenzen bringt.

© Fabian Strauch / dpa / picture alliance

Berlin. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) hebt ein fast vergessenes Thema wieder auf die Agenda: MB-Bundesvorsitzende Dr. Susanne Johna kündigte am Donnerstag vor Journalisten an, gegen das im November 2022 vom Bundestag beschlossene Verbot der Ex-post-Triage beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen zu wollen. „Wir wünschen uns definitiv, dass das Verbot der Ex-post-Triage gestrichen wird“, betonte Johna.

Die geplante Beschwerde der Gewerkschaft richtet sich gegen Verfahrensregelungen bei aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandener intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten. Näheres dazu regelt Paragraf 5c des Infektionsschutzgesetzes (IfSG).

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Was passiert bei knappen Intensivkapazitäten?

Mit dem Ausschluss der Ex-post-Triage gelte das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Kriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit bei begrenzten überlebenswichtigen Behandlungskapazitäten „nur eingeschränkt“, gab Johna zu bedenken. Das Verbot könne dazu führen, dass Menschen mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit stürben, weil sie keine intensivmedizinische Behandlung bekämen, die ein anderer Patient mit deutlich schlechteren Überlebenschancen habe.

Könnten in solchen „Extremsituationen“ keine Intensivkapazitäten frei gemacht werden, würden Patienten mit vergleichsweise guter Prognose, die vielleicht auch aufgrund nicht-infektiöser Erkrankungen passager beatmet werden müssen, versterben. „Das widerspricht unserem ärztlichen Ethos und dem Grundrecht der Berufsfreiheit“, so Johna.

Als Beispiel nannte sie einen Motorradfahrer, der nach einem Unfall künstlich beatmet werden muss und in der Notaufnahme eingeliefert wird. „Für den bedeutet das dann das Todesurteil, weil wir eben nicht überlegen können, haben wir auf der Intensivstation Patienten, die eine viel schlechtere akute Überlebenswahrscheinlichkeit haben.“ Der Marburger Bund sei daher der „festen Überzeugung, dass wir in Deutschland mit der Regelung, die wir da vorgenommen haben, nicht nur nicht die meisten Menschenleben retten, sondern klar Menschenleben verlieren werden“, erklärte Johna.

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„Verunsicherungen“ bei vielen Kolleginnen und Kollegen

Aus Diskussionen mit Mitgliedern, insbesondere Medizinerinnen und Mediziner auf Intensivstationen und in Notaufnahmen, wisse man zudem, dass der Ausschluss der Ex-post-Triage zu Verunsicherungen auch im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen geführt habe, berichtete Johna.

Das im Herbst 2022 novellierte Infektionsschutzgesetz, das auch die umstrittenen Triage-Regeln umfasst, sieht vor, dass die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit maßgeblich sein soll, welche Patienten im Falle eines Versorgungsengpasses auf Intensivstation bei der Behandlung den Vorzug erhalten soll.

Personalengpässe werden sich noch verschärfen

Hintergrund der Entscheidung des Bundestags war ein Beschluss des Verfassungsgerichts von 2021. Die Karlsruher Richter hatten damals erklärt, dass sich aus dem Grundgesetz für den Staat der Auftrag ergebe, Menschen mit Behinderung bei knappen Intensivkapazitäten vor Benachteiligung zu schützen. Der Gesetzgeber habe entsprechende Schutzvorkehrungen „unverzüglich“ zu treffen.

Die Entscheidung aus Karlsruhe fiel vor dem Hintergrund der Ende 2021 aufbrandenden vierten Coronavirus-Welle. Diese hatte etliche Intensivstationen an ihre Belastungsgrenzen gebracht. Teils mussten Patienten in andere Bundesländer verlegt werden.

MB-Chefin Johna betonte in diesem Zusammenhang, die „Hinterlegung“ von Intensivbetten mit ärztlichem und pflegerischem Personal werde in nächsten Jahren noch schwieriger. „Wir müssen leider davon ausgehen, dass sich das Problem verschärft, denn wir wissen ja, dass die Zahl der Klinikärztinnen und Klinikärzten durch das Ausscheiden der Babyboomer abnimmt.“ (hom)

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