Stellungnahme
Mehrheit des Ethikrats für erweiterte Impfpflicht
Der Deutsche Ethikrat spricht sich mehrheitlich für Impfvorgaben über Gesundheits- und Pflegeberufe hinaus aus. Doch die Reichweite einer Impfpflicht erweist sich als Spaltpilz für das Gremium.
Veröffentlicht:Berlin. Die Frage einer Impfpflicht hat den Deutschen Ethikrat an den Rand seiner Konsensfähigkeiten geführt. Anfang Dezember hatten die Ministerpräsidenten der Länder das 24-köpfige Gremium um eine Einschätzung zu den ethischen Aspekten einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht gebeten.
In der am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme votieren 20 von 24 Mitgliedern für eine Ausweitung der Impfpflicht über die Gesundheits- und Pflegeberufe hinaus. Vier Ratsmitglieder wollten bereits diesen Grob-Konsens nicht mittragen. Doch die Art und Weise der Umsetzung dieser Verpflichtung spaltet den Ethikrat nochmals:
- Teilimpfpflicht für Risikogruppen: Sieben Mitglieder plädieren dafür, diese auf besonders gefährdete Gruppen zu beschränken, namentlich Ältere und Vorerkrankte. „Die Auswahl der einzubeziehenden Personen orientiert sich an dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitswesens, speziell der Intensivstationen, zu vermeiden“, heißt es in der 27-seitigen Stellungnahme. Dazu verweist diese Gruppe beispielsweise auf die Impflücke bei den über 60-Jährigen: Hier sind bis dato über drei Millionen Menschen nicht geimpft. Eine solche Teil-Impfpflicht erscheine verhältnismäßig und könne als ein Beitrag zur Gerechtigkeit und Solidarität verstanden werden. Denn vor der Zulassung von Impfstoffen hätten sich Jüngere durch die „Hinnahme teils massiver und langanhaltender Freiheitsbeschränkungen in hohem Maße solidarisch gegenüber stärker gefährdeten Personengruppen“ gezeigt, heißt es.
- Allgemeine Impfpflicht für alle Erwachsenen: 13 Ratsmitglieder sprechen sich für eine weitergehende, allgemeine Impfpflicht aus. Sie begründen dies mit dem Ziel einer „dauerhaft tragfähigen und gerechten Beherrschung der Pandemie“. Hierzu reiche eine risikostratifizierte Impfpflicht nicht aus: „Sie bleibt immer hinter den Wellen der Pandemie und erhöht die Gefahr einer ständigen Wiederkehr von Kontaktbeschränkungen aller Art“, unter der vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu leiden hätten. Skeptisch zeigen sich die Befürworter einer breiten Impfpflicht auch im Hinblick auf die Einteilung in Risikogruppen. Hier müssten neben dem Alter weitere Risikofaktoren berücksichtigt werden. Am Ende würden vom Gesetzgeber festgelegte Grenzziehungen immer „Elemente von Willkür aufweisen“.
Umfassendes Beratungsangebot nötig
Einig sind sich die 20 Ratsmitglieder, dass eine erweiterte Impfpflicht dringend flankiert werden müsse: etwa von einer flächendeckenden Impf-Infrastruktur und niedrigschwelligen Impfangeboten. Nötig sei zudem die Verknüpfung dieser gesetzlichen Vorgabe mit einem „umfassenden Beratungsangebot“.
Zweifellos handele es sich bei der Impfpflicht um einen „schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit, das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und die körperliche Selbstbestimmung“, konzediert die Mehrheit des Rats. Doch wenn sich künftig die Pandemie nicht durch mildere Instrumente unter Kontrolle bringen lasse, dann „müssten individuelle wie kollektive Freiheitsräume weiterhin eingeschränkt werden. Der Saldo zwischen der Rücksicht auf die individuelle Freiheit jener, die sich nicht impfen lassen möchten, und der Rücksicht auf die individuellen und kollektiven Freiheiten geimpfter Menschen werde zunehmend negativ“, heißt es zur Erläuterung dieser Position.
Umsetzungsfragen „nicht bagatellisieren“
Ausführlich widmet sich die Stellungnahme auch Fragen der praktischen Umsetzung einer Impfpflicht. Diese werfe rechtstechnische und verwaltungspraktische Fragen auf, „die nicht bagatellisiert werden dürfen“, mahnt die 20-köpfige Gruppe, die für eine Ausweitung der bisherigen einrichtungsbezogenen Impfpflicht plädiert.
Bei der Durchsetzung müsse der Gesetzgeber immer das Verhältnismäßigkeitsgebot beachten – schon bisher könnten etwa bei der Masernimpfpflicht Bußgelder verhängt werden. Doch die Durchsetzung unter Anwendung von körperlicher Gewalt („Zwangsimpfung“) sei „problematisch und sollte daher ausgeschlossen werden“.