Verfassungsrichter

Möglichkeiten der Sterbehilfe ausgelotet

Das Sterbehilfegesetz auf dem Prüfstand: Am zweiten Verhandlungstag zeigen die Fragen der Verfassungsrichter, dass es zu den Klagen gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe keine leichte Entscheidung geben kann.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelte zwei Tage lang über Klagen gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, das seit 2015 gilt.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelte zwei Tage lang über Klagen gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, das seit 2015 gilt.

© dpa

KARLSRUHE. Zum Auftakt des zweiten Verhandlungstags am Bundesverfassungsgericht hat einer der klagenden Palliativmediziner die praktischen Probleme mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe geschildert.

Der neue Paragraf 217 im Strafgesetzbuch behindere das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, sagte Dietmar Beck aus Stuttgart am Mittwoch in Karlsruhe.

Er kenne einzelne Kollegen, die Mittel zum Sterben zur Verfügung stellten. Die meisten seien aber verunsichert. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)

Persönliche Worte der Richter

Beck erzählte den Richtern von einer Über-80-Jährigen mit Depressionen, die nach einem gescheiterten Suizidversuch erblindet war. Das Ethikkonzil des Krankenhauses habe ihr schließlich das Sterbefasten ermöglicht, also den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken.

Das habe sich allerdings über drei Monate hingezogen, in dieser Zeit habe sie täglich um eine tödliche Spritze gebeten. Er wünsche sich die Freiheit, diese letzte Option zu haben.

„Leiden gehört immer dazu zum Tod“, entgegnete Winfried Hardinghaus vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband. Es könne aber ertragen werden. Er berichtete von einem Mann mit Prostatakrebs und schmerzhaften Metastasen, der von ihm ein tödliches Medikament haben wollte.

In Gesprächen habe er ihn überzeugen können, sich auf eine palliative Sedierung einzulassen. „Anfänglich Suizidbeihilfe gewünscht, später in Würde gestorben“, sagte er.

Skepsis spürbar

Bei den Richtern des Zweiten Senats war die Skepsis spürbar. Wenn er diese dramatischen Fälle höre, könne er sich vorstellen, dass es auch Menschen gibt, die sich so viel Kraft nicht zutrauen, sagte Johannes Masing. Das Verbot bedeute letztlich, dass der Einzelne kämpfen müsse.

„Ich habe selbst Eltern, die kürzlich gestorben sind“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Er wisse deshalb, dass man so einen Prozess auch sehr hinauszögern könne. Er warf die Frage auf, ob es vorstellbar sei, in bestimmten Fällen mit den entsprechenden Sicherungsmechanismen ärztlich begleiteten Suizid zu ermöglichen.

Seit Ende 2015 steht die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Dagegen klagen in Karlsruhe schwerkranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfe-Vereine. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Thema eine zweitägige mündliche Verhandlung angesetzt.

Ernsthafte Auseinandersetzung

Die Auseinandersetzung der Richter mit dem Thema wird vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Palliativ Stiftung, Dr. Thomas Sitte, als ausgesprochen beeindruckend empfunden. Die Verfassungsrichter seien sehr gut informiert und loteten alle Nuancen des Wunsches nach Selbsttötung aus.

Sie wollten von den Sachverständigen und Klägern genau wissen, wer sein Leben nicht mehr als würdig und lebenswert empfinde und was der Wunsch von Menschen zu bedeuten habe, die nicht mehr leben wollten, berichtet Sitte im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.

So eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema habe er bislang nur ein einziges Mal erlebt – bei einer Anhörung zur Palliativmedizin im Vatikan.

Urteil in einigen Monaten

Er sei auch überrascht gewesen, sein eigenes Wissen in vielen Stellungnahmen so klar bestätigt zu sehen.

  • Dazu gehöre die Erkenntnis, dass die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung die Zahl der Selbsttötungen erhöhen werde,
  • dass sie die Zahl der Brutalsuizide nicht senken werde,
  • dass eine große Auswahl an Selbsttötungsmitteln, auch mit Arzneimitteln, schon jetzt ohne Weiteres verfügbar sei,
  • dass kein Arzt, der verantwortungsvoll und kunstgerecht Patienten versorge, in seinen Behandlungsmöglichkeiten durch den Paragraf 217 Strafgesetzbuch eingeschränkt werde.
  • Auch habe er gelernt, dass es keine Pflicht gebe zu leben und auch keine, sich behandeln zu lassen. Es gebe ein Recht auf Suizid, aber kein Recht auf eine leichte Umsetzung der Selbsttötung, so Sitte.
  • Nach der zweitägigen mündlichen Verhandlung hat der Palliativmediziner allerdings den Eindruck, dass noch viel Aufklärung zu diesem Thema notwendig ist.
  • Das Urteil wird in mehreren Monaten verkündet. (mit Material von dpa)
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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 17.04.201917:09 Uhr

Exit oder kein Exit, das ist hier die Frage?

Mein 91-jähriger multimorbider Patient A. S., der trotz seiner schweren Kriegsverletzung das Leben lange genießen und viele Reisen mit seinem Enkel nach Südafrika unternehmen konnte, fragte mich beim letzten Hausbesuch auf der Pflegestation ganz verhalten nach einer Atemtherapie: Er wolle lernen, mit eigenem Willen seinen Atem selbst so lange anhalten zu können, dass sein Leben damit beendet würde. Wir haben dann darüber gesprochen, dass dies leider nicht funktioniert. Der biologisch einprogrammierte Überlebens-Atemantrieb ist so stark, dass er sogar beim Ertrinkenden unter Wasser paradox zum Tod führt.

Wäre hier theoretisch ein ärztlich assistierter Suizid indiziert? Ich persönlich meine, Nein! Mein Patient hat keine Schmerzen, er muss nicht leiden, sein sozialer und familiärer Nahbereich ist weitgehend intakt.

Wenn ich mir allerdings vorstelle, mein Patient würde unter den Einfluss ehrenamtlicher, vereinsmäßig organisierter, professioneller oder gar kommerzieller Sterbehilfe-Organisationen geraten, wie labil und manipulierbar wäre er dann?

Er könnte für seinen Plan des aktiven Atem-Anhaltens Unterstützung dahingehend bekommen, dass Sterbehilfe-Organisationen sein Bedürfnis aufgreifen, ihn als zahlendes Mitglied anwerben und ihm "helfen" möchten?

Doch damit gewinnt das Ganze eine gewisse Eigendynamik: Mein Patient könnte sich vielleicht gar nicht mehr aus den Gedankenkreisen um Tod, Sterben, Erlösung, Abschied nehmen befreien. Er würde Signale seiner Familie, seines Enkels gar nicht mehr wahrnehmen, um vielleicht noch einmal sagen zu können "Ich beginne nun die Reise, die mich zum Sonnenuntergang meines Lebens führt, in der Gewissheit, dass über meinem Land [Amerika] immer wieder ein strahlender Morgen heraufdämmern wird" (Ronald Reagan, 40. US-Präsident, am 5.11.1994 im 84 Lebensjahr).

Meine 44-jährige medizinische Laufbahn von 1975-2019 hat mich gelehrt, wie schwierig es ist stellvertretend für mental und Bewusstseins-mäßig eingeschränkte, seelisch be- und einge-trübte Patienten die richtigen medizinischen Entscheidungen zu treffen. Eine aktive, assistierende Entscheidungsfindung über Leben und Tod, Exit oder nicht Exit, kann auch ins Überhebliche, Menschen-verachtende abgleiten. Sie führt mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen als der humanen Humanmedizin Verpflichtete zu einer äußerst schwierigen Gratwanderung.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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