Kinderärzte heizt Debatte an
Neues Feuer für die Zuckersteuer
Die Kinderärzte machen sich für die Einführung einer Zuckersteuer stark: So könne verhindert werden, dass noch mehr Kinder und Jugendliche adipös werden. Aus der Politik kommen unterschiedliche Reaktionen auf die Forderung.
Veröffentlicht:Berlin. Der Streit um Sinn und Unsinn einer Zuckersteuer ist neu entfacht. Am Montag bekräftigte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) seine Forderung nach Einführung einer entsprechenden Abgabe auf süße Lebensmittel.
Auf diese Weise ließen sich Übergewicht und Adipositas bei jungen Menschen vorbeugen, sagte Verbandssprecher Dr. Hermann Josef Kahl am Montag der „Ärzte Zeitung“.
Erste Ergebnisse bis Ende März
Für den Herbst hat Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) eine Überprüfung der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie angekündigt.
Darin hatten sich Bundesregierung und Nahrungsmittelindustrie darauf geeinigt, bis 2025 mindestens 20 Prozent des bislang enthaltenen Zuckers aus Frühstückscerealien, 15 Prozent aus Limonaden und Tees sowie zehn Prozent aus Kinderjoghurts herauszunehmen. Bis Ende März 2020 sollen erste Ergebnisse vorliegen.
Erstmals sei es somit gelungen, „die Lebensmittelwirtschaft daran zu beteiligen, die genannten Nährstoffe zu reduzieren“, teilte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) der „Ärzte Zeitung“ am Montag mit.
Angesichts der Herausforderung von 47 Prozent übergewichtigen Frauen, 62 Prozent übergewichtigen Männern und 15 Prozent übergewichtiger Kinder sei das ein Meilenstein.
Kinderärzte kritisieren Industrie
„Die Industrie tut nichts“, sagte BVKJ-Sprecher Kahl. Eine Untersuchung des Robert Koch-Instituts zur Kindergesundheit (KIGGS) von 2014 bis 2017 unter über 15 000 Kindern zwischen drei und 17 Jahren hat ergeben, dass 15,4 Prozent übergewichtig und 5,9 Prozent sogar adipös sind.
Vor allem Kinder und Jugendliche aus prekären und bildungsfernen Verhältnissen gelten als betroffen. Für Kinder- und Jugendärzte ein Alarmsignal: „Wir fühlen uns auch für deren Gesundheit verantwortlich“, sagte Kahl. Die Zuckersteuer müsse kommen.
Die aktuell vorgestellte freiwillige Lebensmittelkennzeichnung (Nutri-Score) reiche nicht aus. In einer Stellungnahme zur Reduktionsstrategie hatte der Berufsverband bereits auf die Fernwirkungen der derzeitigen Politikstrategie verwiesen. Ein Erreichen der Ziele bis 2025 sei nicht ambitioniert genug. Bis dahin seien wieder unnötig viele Kinder und Jugendliche adipös geworden. „Das muss in jedem Fall verhindert werden“, heißt es in der Stellungnahme.
Studien belegten, dass eine Zuckerreduktion in Fünf-Prozent-Schritten pro Jahr binnen fünf Jahren erfolgreich sein könne. Deshalb müsse schneller gehandelt werden, so der BVJK.
SPD: Gesundheitsbewusste Ernährung wird Menschen schwer gemacht
SPD-Politiker sprangen den Kinderärzten bei. „An meiner Position zur Zuckersteuer auf zuckerhaltige Getränke hat sich nichts verändert: Ich halte sie – eingebettet in ein größeres Maßnahmenpaket zur Zuckerreduktion – für ein sehr sinnvolles Instrument“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, der „Ärzte Zeitung“. Wichtig sei zudem eine verpflichtende, verständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln. Eine an Kinder gerichtete Lebensmittel-Werbung gehöre verboten.
Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), sagte, es gehöre heute „leider zur Normalität, dass gerade Fertigprodukte und Getränke hohe Zuckeranteile enthalten“. Gesundheitsbewusste Ernährung werde den Menschen schwer gemacht.
Häufig suggerierten die Produkte, „gesund zu sein, sind aber eigentlich Zuckerbomben und tarnen die Süßungsmittel im Kleingedruckten“. Die höhere Besteuerung von Tabak und Alkopops habe gezeigt, dass sich damit der Konsum schnell und deutlich senken lasse. „Deshalb spreche ich mich für die Einführung einer Zuckersteuer aus.“ Langfristig seien die Umsatzsteuer-Regeln dahingehend zu überarbeiten, dass gesunde Lebensmittel niedriger zu besteuern seien.
Nur bessere Ernährungsbildung bringt Erfolge
Die verbraucherpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katharina Willkomm, nannte die Forderung der Kinderärzte nach einer Zuckersteuer nachvollziehbar. „Wenn aber der Wunsch der Vater der Gedanken ist, ignoriert man gerne die Fakten.“
Das Beispiel England tauge nicht, um den Erfolg der Abgabe zu belegen. Zwar würden dort seither weniger zuckerhaltige Getränke verkauft. Das liege vor allem daran, dass die Limonadenhersteller ihre Werbebudgets auf Light-Produkte ausgerichtet hätten „Insgesamt nimmt in England der Zuckerkonsum aber zu.“
Gesünder werde durch die Zuckersteuer niemand. Langfristig sorge nur bessere Ernährungsbildung für Erfolge. „Bereits in der Schule muss Kindern besser vermittelt werden, welche Ernährung gesund ist und bei welchen Lebensmitteln man nur gelegentlich zugreifen sollte.“
Im Frühjahr 2018 hatte der Deutsche Ärztetag bereits zahlreiche Entschließungen verabschiedet, die auf eine stärkere Gesundheitsprävention abzielen. Notwendig seien auch „geeignete gesetzgeberische Maßnahmen der Besteuerung und Lebensmittelkennzeichnung“, um den Verzehr ungesunder Lebensmittel insbesondere durch Kinder und Jugendliche zu reduzieren.
Die Delegierten hatten dabei auf Berechnungen der WHO verwiesen, wonach schon eine 20-prozentige Preiserhöhung auf zuckerhaltige Getränke zu einer 20-prozentigen Konsumreduktion führen könne.