Proteste in den USA
Oberstes US-Gericht erwägt, Abtreibungsrecht zu kippen
In den USA droht das Ende des liberalen Abtreibungsrechts – darauf deutet ein durchgestochenes Dokument des Obersten Gerichts hin. Es lässt tiefe Einblicke in die Gedankenwelt der konservativen Richtermehrheit zu.
Veröffentlicht:Washington. Aus Protest gegen befürchtete weitreichende Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung in den USA sind in mehreren Städten des Landes Menschen auf die Straße gegangen. Vizepräsidentin Kamala Harris rief dazu auf, für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Im Bundesstaat Oklahoma unterzeichnete der republikanische Gouverneur derweil ein Gesetz zur drastischen Verschärfung der Abtreibungsregelungen.
Am Montagabend hatte das Magazin „Politico“ den Entwurf einer Urteilsbegründung des Obersten US-Gerichts veröffentlicht, wonach das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt werden soll. Das Dokument löste in der Regierung des demokratischen US-Präsidenten Joe Biden und in liberalen Teilen der Bevölkerung heftige Empörung aus.
Der Supreme Court bestätigte zwar die Authentizität des Entwurfs, betonte aber, dass es sich weder um die finale Entscheidung noch um die endgültige Position irgendeines Richters handele.
Konservative Politiker versuchen seit langem, das als „Roe versus Wade“ bekannte Grundsatzurteil des Supreme Court von 1973 zu kippen. Darin leitete das Gericht damals das Recht auf Abtreibung aus der Verfassung ab. Bidens Vorgänger Donald Trump konnte während seiner Amtszeit drei Richter am Supreme Court platzieren, weswegen momentan sechs der neun Richter als konservativ gelten.
„Das Urteil muss aufgehoben werden“
In dem Entwurf für die Urteilsbegründung, der vom 10. Februar datiert, schreibt der konservative Richter Samuel Alito: „Wir sind der Meinung, das Roe v. Wade aufgehoben werden muss.“ Weder sei das Recht auf Abtreibung in der Verfassung irgendwo erwähnt, noch sei der Verweis auf den 14. Zusatzartikel, auf den die Richter in dem damaligen Urteil verweisen, stichhaltig.
Die dort erwähnten Rechte müssten, so heißt es in einer früheren Gerichtsentscheidung, „tief verwurzelt sein in Geschichte und Tradition des Landes“. Das Recht auf Abtreibung, so Alito, „fällt nicht in diese Kategorie“. Das 1973 ergangene Urteil sei von Anfang an „grob falsch“ und seine Begründung „schwach“ gewesen, heißt es in dem 98-seitigen Urteilsentwurf. Es sei nun an der Zeit, die Verfassung zu schützen und den Streit über Abtreibung zurück in die Hände der gewählten Repräsentanten zu geben.
Mit einer endgültigen Entscheidung des Gerichts wird in den nächsten zwei Monaten gerechnet. Es wurde zudem eine Untersuchung eingeleitet, um herauszufinden, wie der Entwurf an die Öffentlichkeit gelang. „Dies war ein einzigartiger und ungeheuerlicher Vertrauensbruch, der einen Affront gegen den Gerichtshof und die hier arbeitenden Staatsdiener darstellt“, kritisierte der Vorsitzende Richter John Roberts.
„Lasst uns mit allem, was wir haben, kämpfen“
Vizepräsidentin Harris kritisierte auf einer Konferenz in Washington den Entwurf der Urteilsbegründung der Richter. „Wie können sie es wagen, zu versuchen, Frauen ihre Rechte und Freiheiten zu verweigern“, sagte sie. Die Rechte der Frauen in den USA würden angegriffen. „Lasst uns mit allem, was wir haben, kämpfen“, forderte sie.
Inmitten der hitzigen Debatte unterzeichnete Oklahomas Gouverneur Kevin Stitt ein Gesetz zur drastischen Verschärfung der Regelungen in dem Bundesstaat. Der Republikaner schrieb am Dienstag auf Twitter zur Begründung, die vier Millionen Menschen in seinem Bundesstaat seien mit großer Mehrheit für den Schutz des ungeborenen Lebens.
Das „Herzschlag-Gesetz“ Oklahomas ähnelt einer hoch umstrittenen Regelung aus dem Bundesstaat Texas. Es verbietet Schwangerschaftsabbrüche, sobald ein Arzt bei einem Embryo oder Fötus den Herzschlag feststellen kann. Das kann bereits nach rund sechs Wochen sein, wenn manche Frauen noch nicht wissen, dass sie schwanger sind. Das Gesetz erlaubt auch Zivilklagen gegen Personen, die Abtreibungen vornehmen oder Frauen dabei wissentlich unterstützen.
Bis zu zehn Jahre Haft für Abtreibung
Gouverneur Stitt hatte erst im vergangenen Monat ein Gesetz unterzeichnet, wonach eine Abtreibung in Oklahoma mit bis zu zehn Jahren Haft und einer Geldbuße von bis zu 100.000 US-Dollar (92.000 Euro) geahndet werden kann. Ausnahmen sollen nur gelten, wenn das Leben der werdenden Mutter aufgrund der Schwangerschaft akut in Gefahr ist. Die vorgesehenen Strafen drohen nicht den Schwangeren, sondern dem medizinischen Personal, das Abtreibungen vornimmt.
Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Abtreibungen erlaubt oder verbietet. Auf Grundlage des Roe v. Wade-Urteils aus dem Jahr 1953 sind Abtreibungen in den USA aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt – heute etwa bis zur 24. Woche. (dpa/fst)