Festakt zum 20-Jährigen

Pflegeversicherung als Dauer-Reform

Vor 20 Jahren wurde die Pflegeversicherung Gesetz - nach langen politischen Kämpfen, die der Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm führte. Doch das war nur der Auftakt: Jeder Minister steht vor der Herausforderung, die Pflegeversicherung kontinuierlich anzupassen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Erster Mann beim Festakt: Norbert Blüm kämpfte als "Vater" für die Einführung der Pflegeversicherung.

Erster Mann beim Festakt: Norbert Blüm kämpfte als "Vater" für die Einführung der Pflegeversicherung.

© Jörg Carstensen / dpa

BERLIN. Vor 20 Jahren wurde mit der fünften Säule der Sozialversicherung das Entstehen einer Pflege-Infrakstruktur vorangetrieben. Dies betonte der "Vater" der Sozialen Pflegeversicherung, Norbert Blüm (CDU), beim Festakt zu ihrem 20-jährigen Bestehen am Dienstag in Berlin. Blüm gehörte damals als Arbeitsminister dem Kabinett unter Helmut Kohl an.

Die Startprobleme von damals dauern bis heute fort: Aus Rücksicht auf die Finanzen haben man damals den Pflegebegriff ängstlich formuliert.

Mit Blick auf steigende Beiträge sagte Blüm: "Das Geld ist nicht das Wichtigste. Lasst Euch nicht von den Miesmachern beunruhigen." Die Kapitaldeckung habe ihre beste Zeit hinter sich. Wer dennoch darauf baue, habe die letzten zehn Jahre verschlafen.

Laumann: Pflegeberuf muss auch für Deutsche attraktiv bleiben

Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU), mahnte bei dem Festakt deutliche Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte an.

Er verwies auf Ergebnisse einer Studie, die er kurz nach seinem Amtsantritt in Auftrag gegeben hatte. Demnach hat nur jede dritte Pflegekraft in Deutschland eine Vollzeitstelle.

Flächendeckend verdienten Altenpfleger in Deutschland unterdurchschnittliche Gehälter, während Krankenpfleger überdurchschnittlich entlohnt würden, sagte Laumann.

Die Politik werde den Trägern der Pflege viel zu erklären haben. "Die Kostenträger müssen wissen, dass eine tarifliche Entlohnung in der Pflege normal ist", sagte Laumann. Die Studie soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden.

Der Pflegebeauftragte stellte die Frage in den Raum, woher die Menschen kommen sollten, die pflegen. Jedes Jahr wachse die Zahl der Pflegebedürftigen um zwei bis drei Prozent. "Jeder ausländische Mensch, der nach Deutschland kommt, ist willkommen", sagte Laumann.

Der Beruf müsse aber auch für Deutsche attraktiv bleiben oder besser wieder werden. Daher gehe es nicht an, dass nach wie vor in sechs Bundesländern ein Schulgeld für die Ausbildung in einem Pflegeberuf verlangt werde.

Der Kritik steht viel Lob gegenüber

Ein klares Ja zur generalistischen Pflegeausbildung gab auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ab. Dabei gehe es nicht nur um Aufstiegsmöglichkeiten, sondern um die Anforderungen, denen sich Alten- und Krankenpfleger gleichermaßen stellen müssten.

Die nun offenbar festgestellten Gehaltsunterschiede dürften kein Argument für getrennte Ausbildungsgänge sein, schon gar nicht in einem Mangelberuf, sagte Gröhe.

Zudem dürfe es auch keine erzwungene Teilzeit geben. Der gerade vermeldete Ausbildungsrekord bei der Pflege gebe Anlass zur Hoffnung, dass sich der Trend drehe. Etwa 130.000 Menschen absolvierten derzeit eine Pflegeausbildung.

Der Kritik an der Pflegeversicherung stand viel Lob gegenüber. Vor ihrer Einführung seien zwei Drittel der damals rund eine Million Pflegebedürftigen auf Sozialhilfe angewiesen gewesen.

Heute könnten zwei Drittel der inzwischen auf 2,6 Millionen angewachsenen Bedürftigen dank der Pflegeleistungen ein selbstbestimmtes Leben führen, sagte Gröhe.

20 Jahre Pflegeversicherung

1995 startete die Pflegeversicherung als neue Säule der deutschen Sozialversicherung. Seither gilt: Nach der Reform ist vor der Reform. Und auch in Zukunft steht die Pflegeversicherung vor neuen Herausforderungen.

Mit der steigenden Lebenserwartung seit Mitte des 20. Jahrhunderts nimmt auch die Zahl der Pflegebedürftigen sowie die Dauer der Pflegebedürftigkeit zu. Um die daraus resultierenden Kosten zu tragen, müssen Betroffene oft Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Als erstes Versicherungsunternehmen bietet die Bayerische Beamtenkrankenkasse 1978 eine Pflegekostentagegeld-Versicherung an.

1981 berät die 48. Gesundheitsministerkonferenz der Länder über den "Aufbau und die Finanzierung ambulanter und stationärer Pflegedienste".

Auf Initiative von Baden-Württemberg wird 1990 ein Gesetzentwurf zur Vorsorge gegen das finanzielle Pflegerisiko in den Bundesrat eingebracht.

Am 22. April 1994 entscheidet der Bundestag, am 27. April 1994 der Bundesrat über die Einführung der "Sozialen Pflegeversicherung" als Pflichtversicherung (SGB XI).

1. Januar 1995: Die Etablierung der Pflegeversicherung schließt eine Lücke der sozialen Versorgung. Rund 80 Millionen Menschen in der Bundesrepublik haben nun einen Versicherungsschutz im Falle der Pflegebedürftigkeit. Der Beitragssatz liegt bei 1,0 Prozent des Bruttoeinkommens.

Seit 1. Juli 1996 können Versicherte neben der ambulanten auch eine stationäre Pflege in Anspruch nehmen. Der Beitragssatz steigt auf 1,7 Prozent. In Sachsen ist ein höherer Beitrag zu entrichten: Sachsen hat als einziges Bundesland den Buß- und Bettag nicht als gesetzlichen Feiertag abgeschafft. Die Arbeitnehmer tragen den Beitrag in Höhe von 1 Prozent.

2000: Der Bundestag beschließt eine bundeseinheitliche Altenpflegeausbildung.

Das Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz tritt 2002 in Kraft. Erstmals erweist sich die Finanzierung des Systems als nicht mehr deckend:Das Defizit beträgt rund 400 Millionen Euro.

Bis zum 31. Dezember 2004 gilt für Kinderlose der gleiche Beitragssatz wie für Versicherte mit Kindern, seit dem 1. Januar 2005 wird der Beitragssatz für Kinderlose um einen Zuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten erhöht.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Pflegesachleistung durch Personen erbracht werden, die mit der Pflegeversicherung einen Vertrag abgeschlossen haben. Mit einer Gesetzesänderung zum 1. Juli 2008 werden diese Voraussetzungen erweitert, um Einzelverträge zu fördern. Der Beitrag steigt auf 1,95 Prozent.

2009: Nach der Bundestagswahl wollen SPD und Union die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung in Arbeitsgruppen beraten.

Am 30. Oktober 2012 tritt das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz in Kraft.

2013: Der Beitragssatz wird auf 2,05 Prozent erhöht. Damit sollen die höheren Leistungsaufwendungen, die durch die Neuausrichtung eingeführt wurden, refinanziert werden.

Rund 2,5 Millionen Menschen erhalten Ende 2013 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung, etwa 150.000 aus der privaten.

1. Januar 2015: Das Erste Pflegestärkungsgesetz tritt in Kraft. Um die jüngste Reform zu finanzieren, steigen die Beiträge um 0,3 Prozentpunkte auf 2,35 Prozent, Kinderlose zahlen künftig 2,6 Prozent. Darüber hinaus startet ein Pflegevorsorgefonds.

2015: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagt, die Pflegeversicherung sei inzwischen "ein echter Jobmotor". Die Zahl der Beschäftigten habe sich mehr als verdoppelt. "2014 hatten wir einen Ausbildungsrekord in der Pflege."

Der Beitragssatz steigt 2017 um weitere 0,2 Punkte. Außerdem soll der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden. Der Expertenbeirat für die Neudefinition hat vorgeschlagen, die Zahl der Pflegestufen von drei auf fünf auszuweiten.

2030 werden Schätzungen zufolge rund 3,5 Millionen Menschen pflegebedürftig sein. Die Frage, wie der "Pyramidenbauch" der heute 30- bis 60-Jährigen aufgefangen und in den kommenden Jahrzehnten einer praktikablen Alterspflege zugeführt werden kann, bleibt die größte Herausforderung der Pflegeversicherung. (jk)

Lesen Sie dazu auch: Kein Jubel zum Jubiläum

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Kommentare
Dr. Stefan Arend 16.01.201509:01 Uhr

Warum in aller Welt wollen Gröhe und Laumann die Altenpflegeausbildung abschaffen?

Das Bundesfamilienministerium hat am 8.1.2015 den Zwischenbericht zur "Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege" vorgelegt. Demnach wurde mit bundesweit 26.740 Eintritten in eine Altenpflegeausbildung ein neuer Spitzenwert erreicht. Diese Informationen haben Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe öffentlich freudig verkünden lassen: „Noch nie hatten wir so viele Auszubildende in Pflegeberufen. Das ist ein gutes Zeichen. Und das muss für alle Beteiligten Ansporn sein, alles dafür zu tun, dass sich dieser Trend fortsetzt." Da verwundert es schon, dass die Bundesregierung - wie jetzt wieder bei der Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre Pflegeversicherung unterstrichen - dabei ist, die bewährte, spezialisierte Altenpflegeausbildung zu Gunsten einer generalistischen, einheitlichen Pflegeausbildung zu opfern, die alle traditionellen Pflegeberufe vereinen soll. Obwohl wir in einer Gesellschaft des langen Lebens dringend Spezialisten brauchen, die alte Menschen begleiten und pflegen können. Ein Treppenwitz der Sozialpolitik? Offensichtlich nicht! Die Bedenken mit Blick auf eine generalistische Pflegeausbildung ergeben sich aus der Natur der Sache: Die Anforderungen und die Zielsetzungen der Alten-, Kinder- und Krankenpflege könnten nicht unterschiedlicher sein, reichen von der Intensivpflege von Frühchen in den Kinderkliniken, über die Akutversorgung in den Krankenhäusern bis hin zur Begleitung von Menschen mit Demenz oder in finalen Lebenssituationen am Ende des Lebens. Die Nachrichten über die positiven Entwicklungen der Altenpflegeausbildung sind ein Appell an alle Verantwortlichen sich für die Ausbildung in der Altenpflege stark zu machen. Es ist eine Absage, die Altenpflegeausbildung einer Reform preiszugeben, von der man nicht weiß, welche Folgen sie haben wird. Das könnte - nein, es wird - sich rächen.

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