TV-Kritik

Plädoyer für die Palliativmedizin

Das Dilemma mit dem Tod: Wissen, dass man sterben muss, und trotzdem nicht daran glauben. Für Theologen ist es eine Frage der Kultur - für Palliativmediziner noch etwas mehr, wie "Hart aber fair" gezeigt hat.

Von Anja Krüger Veröffentlicht:
Diskussion übers Sterben: Jürgen Domian, Werner Hansch, Dr. Matthias Thöns, Margot Käßmann, Thomas M. Stein und Frank Plasberg.

Diskussion übers Sterben: Jürgen Domian, Werner Hansch, Dr. Matthias Thöns, Margot Käßmann, Thomas M. Stein und Frank Plasberg.

© Klaus Görgen / WDR

Auf der Internetseite zur ARD-Talkrunde "Hart aber fair" stellt die Redaktion die Frage: "Haben Sie Angst vor dem Tod?"

Etwas mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer entscheiden sich für die Antwort "Nein, nur vor dem Sterben", etwa 22 Prozent haben Angst vor dem Tod, immerhin fast 27 Prozent sagen, sie hätten keine Angst.

Wenn der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns täglich so viel Sendezeit zur Verfügung hätte wie der Radiomoderator Jürgen Domian, hätten wohl weitaus weniger Menschen Angst vor dem Sterben.

Am Montag hatte Frank Plasberg unter anderem diese beiden Experten zur Diskussion über das Thema "Die letzte Aufgabe: Mensch bleiben am Ende des Lebens" eingeladen.

Der Titel fasst zusammen, wofür Palliativmediziner Thöns täglich sorgt. Jürgen Domian hat im WDR jede Nacht eine einstündige Anrufsendung, bei der sich mitunter Todgeweihte melden.

Sein Vater starb an Krebs. Jürgen Domian ist für aktive Sterbehilfe. Der Mann weiß sich zu inszenieren, das ist sein Job.

Aber überzeugen kann er ebenso wenig wie der Sportreporter und Rudi Assauers Freund Werner Hansch, der sagt, er würde Sterbehilfe in Anspruch nehmen. "Letztendlich postuliere ich für mich das Recht auf meinen eigenen Tod", sagt Domian.

Nur eine Frage der Kultur?

Der Arzt Thöns ist nicht von Berufs wegen auf Selbstinszenierung getrimmt, und gerade das macht ihn überzeugend. Seine Botschaft: Niemand muss leiden. "Wer keine Angst vor Schmerzen hat, hat weniger Angst vor dem Tod", sagt er.

Auf die Frage, ob er garantieren könne, dass Sterbende sich nicht quälen, antwortet er schlicht: Ja. Und zählt die Möglichkeiten bis zur dauerhaften Narkose auf. Später in der Sendung relativiert er seine Garantie ein wenig.

"Alle zwei Jahre habe ich mal damit zu tun, schwere Symptome nicht ausreichend betreuen zu können", sagt er. Das macht ihn noch glaubwürdiger. Dieser Arzt verkörpert in der Sendung das genaue Gegenteil der kalten Apparatemedizin.

"Ich bin nicht der Doktor für die letzten Lebensschritte", betont er. "Das will die Palliativmedizin: Menschen zurück ins Leben holen."

Der Arzt kennt nicht nur die medizinischen Seiten des Sterbens. "Ein großes Problem ist die Vereinsamung dieser Menschen", sagt er. Das weiß auch die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Margot Käßmann, die recht wenig zu Wort kommt.

"Dass ich wirklich Abschied nehmen kann, ist eine Frage der Kultur", sagt sie. Nach Auffassung der Theologin sollten sich Menschen überhaupt mehr mit dem Sterben und dem Tod auseinander setzen.

Das ist viel verlangt, wie der Schlusssatz von Sportreporter Hansch zeigt: "Ich weiß, dass ich sterben muss, aber ich glaube nicht daran."

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Kommentare
Lutz Barth 17.04.201219:08 Uhr

Eine Frage des Blickwinkels!

Wer letztlich von den Diskutanten mit den Redebeiträgen "überzeugt" hat, dürfte m.E. in Anlehnung an den ethischen Standard des Grundgesetzes durchaus unbestritten sein: es war wohl J. Domian, der zumindest in Ansätzen erkennen ließ, worauf es letztlich ankommt; das unzweifelhafte Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht und der Hinweis darauf, dass - salopp formuliert - ein Jeder nach seiner Facon selig werden darf, will heißen: Schwersterkrankte und Sterbende können die palliativmedizinischen Angebote annehmen oder alternativ dazu einen "schnellen Tod" vorziehen, wenn und soweit es nicht mehr darauf ankommt, den letzten Tagen mehr Leben zu geben, weil diese es für wenig "lebenswert" erachten.

Maßgebend ist also stets die Innenperspektive der Schwersterkrankten und die jeweilige Entscheidung haben wir alle zu akzeptieren.

Indes war durchgängig in der Sendung klar geworden, dass sowohl die Palliativmedizin als auch die Hospizbewegung einen unschätzbaren Beitrag am Ende des Lebens zu leisten imstande ist; die Diskussionsteilnehmer ließen hieran keinen Zweifel und mit Verlaub, auch die Befürworter der Sterbehilfe lassen hieran keine Zweifel aufkommen. Andererseits ist mit dieser Feststellung für den aktuellen Diskurs wohl nichts gewonnen. Ein Widerspruch zwischen der Palliativmedizin und der Liberalisierung der Sterbehilfe besteht nicht; vielmehr hat der Schwersterkrankte eine Wahlmöglichkeit, die auszuüben ihm sein (!) Selbstbestimmungsrecht gestattet.

Problematisch ist derzeit, dass das Selbstbestimmungsrecht der Schwersterkrankten auch seitens der Palliativmediziner nicht vorbehaltlos akzeptiert wird, wie sich unschwer aus der Charta zur Betreuung schwersterkrankter und sterbender Menschen als auch aus einschlägigen Verlautbarungen palliativmedizinischer Verbände ergibt.

Dies ist insofern bedauerlich, weil ohne erkennbare Not die Palliativmedizin (so wie die Hospizbewegung im Übrigen auch)dem Schwersterkrankten die Möglichkeit versagt, von einer Handlungsalternative am Ende des Lebens Gebrauch machen zu können, zumal das Selbstbestimmungsrecht auch nicht zur Fremdbestimmung über die Palliativmedizinern aus guten Gründen führen wird.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass in der Tat der Beitrag von Frau Käßmann wenig Erhellendes zur Problematik enthielt, außer vielleicht die Erkenntnis, dass die Theologin sich deutlich gegen die ärztliche Suizidassistenz ausgesprochen hat. Dies verwundert nicht, befindet sich doch auch die evangelische Kirche auf dem Weg einer Re-Dogmatisierung, die ebenso wie in der katholischen Kirche lediglich dazu beiträgt, den Sinn und Zweck bedeutsamer Grundrechte nicht zu erkennen.

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