Pharma am Golf
Rasantes Wachstum mit Nebenwirkungen
Im Mittleren Osten wächst der Pharmamarkt rasch. Die hohen Arzneimittelimporte setzen die Staaten jedoch unter Druck, eine einheimische Produktion aufzubauen. Die Öffnung des iranischen Marktes lässt zusätzliche Nachfrage erwarten.
Veröffentlicht:DUBAI/TEHERAN. Für die Staaten des Golfkooperationsrates - Bahrain, Kuwait, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi Arabien und Oman - sowie den Iran wird im Pharmasektor bis 2020 eine jährliche Wachstumsrate von 9,2 Prozent prognostiziert. Der Mittlere Osten ist damit einer der am stärksten wachsenden Pharmamärkte weltweit.
In Deutschland würden im gleichen Zeitraum nur 1,7 Prozent veranschlagt. Lokale Regierungen, Pharmahersteller und Logistikdienstleister müssen ihre Lieferketten aber entscheidend verändern, um Kapital aus dem enormen Wachstum zu schlagen, lautet das Fazit des aktuellen Marktreports "Blooming and Booming: The Pharmaceutical Market in the Gulf Region" der Unternehmensberatung Camelot Management Consultants, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt.
Zivilisationskrankheiten nehmen zu
Wie es in dem Report heißt, machten das rasche Bevölkerungswachstum, eine steigende Lebenserwartung, die schnelle Urbanisierung, aber nicht zuletzt auch die stetig steigende Prävalenz von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Adipositas im Mittleren Osten - die International Diabetes Federation beziffert die Zahl der Diabetiker in der Region, wie berichtet, auf 37 Millionen - eine eigenständige Arzneimittelfertigung nötig.
Die Regierungen in immer mehr Staaten der Region würden deshalb für Initiativen im privaten wie öffentlichen Sektor trommeln, um eine autarke Pharmaproduktion zu etablieren.
Kernziele dabei seien die Verringerung der Importabhängigkeit - die Mehrheit der Golfstaaten importiere patentierte pharmazeutische Produkte, je nach Land seien dies 70 bis 85 Prozent des gesamten Arzneimittelverbrauchs -, niedrigere Staatsausgaben für das Gesundheitswesen, qualifiziertere Jobs für Einheimische, eine verbesserte Verfügbarkeit und Qualität von Healthcare-Produkten und den Zugang der Bevölkerung zu diesen sowie die Diversifizierung der Wirtschaft, um attraktiver zu werden für ausländische Investoren.
Flankierend steht die Region vor weiteren Herausforderungen, etwa einem Fachkräftemangel, sich ändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen oder begrenzten Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.
Was die pharmazeutische Lieferkette betreffe, hake es noch an verschiedenen Stellen, vor allem bei der lokalen Infrastruktur und qualifiziertem Personal. Eine Strategie, um die Lieferkette beweglicher zu machen, sei der Aufbau von Logistikzentren in Freihandelszonen.
Für mehr Flexibilität und geringere Komplexität der Versorgungskette nähmen die Pharmahersteller vermehrt Zusatzleistungen ihrer Logistikpartner in Anspruch, wie beispielsweise das Umverpacken. Initiativen hingegen, die die Kompetenzlücke der Mitarbeiter verringern sollen, zeigten bislang kaum Wirkung, so der Report.
Persien sorgt für neue Spielregeln
Dynamik in die Region werde durch die nach dem Aufheben der Sanktionen jetzt beginnende Öffnung des iranischen Markts kommen, so die Prognose. In Wien ist im Juli 2015 nach jahrelangen Verhandlungen mit dem Regime in Teheran eine Einigung im Atomstreit erzielt worden.
"Der Iran ist einer der letzten unerschlossenen Pharmamärkte der Region. Das Land bietet Pharmaunternehmen und Logistikdienstleistern zahlreiche wirtschaftliche Vorteile und gewinnbringende Chancen", verdeutlicht Melanie Lenhardt, Co-Autorin der Studie, die Bedeutung des iranischen Marktes.
Noch habe Saudi Arabien den größten pharmazeutischen Markt der Region, der aber durch restriktive Regelungen in seinen Möglichkeiten eingeschränkt sei. Es dürfte sich jedoch sehr bald zeigen, ob Investoren vor diesem Hintergrund dem sich schnell öffnenden iranischen Markt den Vorzug geben werden.
Auch am anderen Ende der pharmazeutischen Kette herrscht Aufbruchstimmung. So setzt der finnische Healthcare-Konzern NewIcon ebenfalls auf die Golfregion und sieht den Iran als Türöffner. Der auf Verblisterungs- und Dispensierungsautomaten spezialisierte Anbieter hat nach eigenen Angaben mit einer Klinik in Urmia einen Vertrag über die Automatisierung des Arzneibereiches geschlossen. Rund 250 Krankenhäuser im Iran hätten bereits Interesse an einer solchen Lösung bekundet.