Impfkampagne
Schleichgang bei Corona-Impfungen nervt Ärzte
Anfang April? Oder doch später? Bund und Länder stehen kurz vor einer Einigung auf einen Starttermin für regelhaftes Impfen in den Arztpraxen. Ärztevertreter mahnen derweil Tempo an. Das Engagement der Vertragsärzte werde mit Füßen getreten.
Veröffentlicht:Berlin. Wann genau die Hausärzte in die Corona-Impfkampagne einbezogen werden sollen, steht auch nach der Sitzung der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) nicht eindeutig fest. Künftig soll die Impfstrategie aber regelhaft auf zunächst zwei, später drei Säulen ruhen.
„Wir binden ab April die Hausärzte ein, und wir halten an der bewährten Struktur der Impfzentren fest“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, derzeit auch GMK-Vorsitzender, im Anschluss an die Sitzung am Mittwochabend. Der Beschluss der Landesminister liegt der „Ärzte Zeitung“ vor. Er sei „im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Gesundheit“ gefasst.
Die niedergelassenen Ärzte sollen demnach „frühestmöglich“ mit den Corona-Impfungen starten können, „jedoch spätestens in der Kalenderwoche 16“, also zum 19. April. Nach den niedergelassenen Ärzten sollen auch die Betriebsärzte einsteigen.
Trotz der Verbreiterung der Impfbasis sollen die Impfzentren bis mindestens zum 30. September weiter aus Bundesmitteln finanziert werden.
Ausstiegsklausel vereinbart
Die Gesundheitsminister haben zudem eine Ausstiegsklausel für die Länder empfohlen. Wer Ärzte im April noch nicht beim Impfen einbeziehen will, muss bis 19. März eine „Opt out“-Erklärung abgeben. Die Ergebnisse der Beratungen der Länderminister sind nicht abschließend. Sie gehen nun als „Empfehlung“ an die Ministerpräsidentenkonferenz.
Laut Bundesregierung wollen sich die Regierungsspitzen der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch vor dem nächsten regulären Gipfel-Termin zur Corona-Lage am 22. März kurzschließen, um die Empfehlungen der GMK zu konkretisieren.
Er könne nicht verstehen, dass „man das Volk im Lockdown halte, statt es zu impfen“, kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, am Donnerstag im „Deutschlandfunk“. Die Impfzentren seien zu Beginn sicher notwendig gewesen. In den Praxen könne man aber schneller und besser impfen, so Weigeldt.
Die Länder haben sich stattdessen auf eine Art „Impfzentren-first“-Strategie geeinigt. Ab April sollen die Länder eine Grundmenge von 2,25 Millionen Impfdosen pro Woche für die Impfzentren erhalten. Der übrige Impfstoff soll den Arztpraxen zur Verfügung stehen. Aufgeteilt wird die Gesamtmenge nach dem Bevölkerungsschlüssel der Länder.
COVID-19-Pandemie
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Lieferprognosen des Bundesgesundheitsministeriums von Ende Februar zufolge, die der „Ärzte Zeitung“ vorliegen, bewegt sich die Zahl der zu erwartenden Impfdosen zwischen 54,4 und rund 77 Millionen. Die Unschärfe rührt daher, dass Impfstoffe von Johnson&Johnson sowie des Tübinger Unternehmens Curevac die Zulassungsprozesse zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht vollständig abgeschlossen waren. Zudem gibt es Zweifel daran, ob J&J seine Zusagen von bis zu 10,1 Millionen Dosen im zweiten Quartal halten kann.
Unklar ist zudem, wie viele Impfdosen in Deutschland bereits ausgeliefert sind, aber auf Halde liegen. Hier ist die Rede von bis zu vier Millionen Dosen.
Heruntergebrochen auf Wochenrationen könnten im zweiten Quartal also mindestens 4,5 Millionen Dosen im Wochendurchschnitt bereitstehen. Läuft es optimal, könnte die Menge im Verlauf des Quartals auf knapp 6,5 Millionen Dosen anwachsen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) reagierte mit Unverständnis auf die Beratungsergebnisse der Länder. Er habe die Befürchtung, dass dadurch „das wohnortnahe, flächendeckende und schnelle Impfen in den Praxen im April nicht mehr stattfinden wird“, sagte KBV-Vorstandschef Dr. Andreas Gassen am Donnerstag. Deutschland habe aber keine Zeit für „föderale Sonderwege“. Es müsse jetzt „schnell und konsequent“ gegen Corona geimpft werden. „Das geht nur mit den Praxen der niedergelassenen Hausärzte und Fachärzte – je eher je besser“, betonte Gassen.
KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister erklärte: „Die Politik will zuerst die Impfzentren mit Impfstoffen ausstatten und deren Finanzierung absichern, danach folgen die Praxen mit übrig gebliebenen Resten. Das ist ein Unding.“ Das Engagement der Ärzte werde so „mit Füssen getreten“.
Kreis der Impfärzte erweitern
Kinder- und Jugendärzte sowie Frauenärzte hoben derweil ihre Rolle bei den geplanten Impfungen hervor. „Wenn 70 Millionen Bundesbürger möglichst zeitnah geimpft werden müssen, reicht es nicht, dies allein in Hausarztpraxen tun zu wollen“, sagten der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, und der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), Dr. Christian Albring, der „Ärzte Zeitung“ am Donnerstag.
Nur Allgemeinmediziner oder Internisten die Impfung machen zu lassen, schränke „den Kreis derer, die das kompetent können, unnötig ein und verzögert die Versorgung der Menschen“, erklärten Fischbach und Albring.
Pädiater und Gynäkologen verfügten über eine große Impferfahrung. Auch bei der Schweinegrippe seien in deren Praxen „alle Altersgruppen – bis hin zum 100-Jährigen – geimpft worden“, sagte Fischbach. „Neben der Influenza-Impfung von Schwangeren, Krebskranken und älteren Frauen impfen Gynäkologen Jung und Alt täglich gegen Pneumokokken, Hepatitis, HPV, Gürtelrose und vieles mehr“, betonte Albring.
Professionelle Aufklärung nötig
„Es gehe nicht darum, eine „Konkurrenzsituation“ unter Ärzten schaffen zu wollen, sondern darum, möglichst alle niedergelassenen Praxen in die Impfkampagne einzubeziehen, so Fischbach und Albring. Gerade bei Impfzweiflern sei „professionelle Aufklärungskultur“ wichtig. Pädiater und Gynäkologen verfügten hierzu über eine große Expertise. In den Praxen könnten zwischen zehn und 20 Patienten täglich geimpft werden.
Der Virchowbund rief zu einer „gemeinsamen Kraftanstrengung“ aller niedergelassenen Haus- und Fachärzte auf. „Das Vorhaben, bis zum Sommer jedem in Deutschland ein Impfangebot zu machen, kann nur gelingen, wenn alle, die impfen dürfen, auch impfen werden“, sagte Virchowbund-Chef Dr. Dirk Heinrich.
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Nicht nur Hausärzte, sondern auch hausärztliche Internisten und Fachärzte mit einem „hohen Anteil an der Grundversorgung“ seien in die Impfstrategie einzubeziehen. Die jährliche Grippeimpfung sei Beweis dafür, dass die niedergelassenen Ärzte innerhalb weniger Wochen mehr als 20 Millionen Menschen impfen könnten. Lieferengpässe und überbordende Impfdokumentation könnten das Impftempo bei Corona allerdings drosseln, warnte Heinrich.
Impfverordnung novelliert
Unterdessen wurde am Donnerstag die neue Impfverordnung im Bundesanzeiger veröffentlicht. Ihre Vorgaben gelten rückwirkend ab dem 8. März. Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgelegte Verordnung regelt unter anderem die Beauftragung von Arztpraxen und die Vergütung für das Impfen. Für eine Impfung soll es 20 Euro geben, beim Hausbesuch 35 Euro zusätzlich.
„Praxistests“ laufen bereits an
Ganz ausgeschlossen aus der Impfkampagne sind die Praxen auch aktuell nicht. In mehreren Bundesländern gibt es bereits teilnehmende Praxen, in Brandeburg zum Beispiel vier Praxen seit gut einer Woche. Die Pilot- und Modellprojekte zur Unterstützung der Impfzentren sind mit der aktuellen Impfverordnung abgesichert.
Am Donnerstag sind in Berlin erste Patienten in einer Hausarztpraxis geimpft worden. Die Hauptstadt-KV hat eigenen Angaben zufolge bislang rund 100 Praxen beauftragt, darunter 60 Hausarztpraxen.
Geimpft werden könnten aber ausschließlich chronisch erkrankte Menschen gemäß Priorisierungsvorgaben, teilte die KV Berlin mit. Über die beteiligten diabetologischen und onkologischen Schwerpunktpraxen werden zudem die Zielgruppen der Priorisierungsvorgaben der Impfverordnung direkt erreicht.