Pflegereform

Schwacher Gegenwind

Bundestag und Bundesrat diskutieren das Pflegestärkungsgesetz II, und Hermann Gröhe lässt keinen Zweifel: Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff kommt!

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:

BERLIN. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) richtete bei der Bundestagsdebatte zur Pflegereform am Freitag gleich zu Beginn seine Rede nicht ohne Grund den Fokus auf eine wachsende Gruppe von Menschen in Deutschland, deren spezielle Versorgungsbedürfnisse vom Gesetzgeber bisher nur unbefriedigend erfasst werden.

"Wir erreichen den gleichberechtigten Zugang für demenziell Erkrankte zu allen zu Leistungen der Pflegeversicherung", sagte Gröhe und kassierte dafür viel Beifall.

Ziel sei, Pflege individueller zu gestalten und Pflegebedürftige wie auch Angehörige besser zu beraten, erläuterte der Minister noch einmal Kernpunkte des Gesetzesvorhabens. Der reale Pflegebedarf werde künftig besser abgeschätzt. Pflegende Angehörige erhielten Hilfestellung durch zusätzliche Absicherungen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Herzstück aller Pflegereformen

Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr hatte das Parlament den ersten Teil der großen Pflegereform mit umfassenden Leistungsverbesserungen gebilligt, die seit 2015 in Kraft sind. In Teil zwei geht es nun um die seit vielen Jahren diskutierte und immer wieder verschobene Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

Die Umsetzung dieses neuen Pflegebegriffs sei das Herzstück aller Pflegereformen und eine der größten Veränderungen in der Pflegeversicherung seit ihrer Gründung vor 20 Jahren, würdigte in der Debatte die Grüne Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg.

Sie warf der Bundesregierung allerdings vor, diese für so viele Menschen wichtige Reform ohne ausreichende öffentliche Auseinandersetzung zu beschließen und sprach von einem "Husarenritt".

Pia Zimmermann (Linke) kritisierte, die Regierung gebe dem gesellschaftlichen Druck mit Blick auf eine Ausweitung der Leistungsempfänger nur so weit nach, "dass es nicht wehtut und nichts kostet."

Zimmermann: Anstatt die Pflegeversicherung endlich auf eine solide finanzielle Basis zu stellen, setzen Sie auf Ihre altbewährte Strategie der Konzeptlosigkeit und vergessen die Pflegerealität, nämlich dass pflegende Angehörige am Limit sind, nicht nur körperlich, sondern auch finanziell; denn Pflege in Deutschland macht arm."

"Niemand arbeitet für lau"

Der CSU-Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein kündigte bessere Bedingungen für Pflegekräfte an "Niemand arbeitet für lau", sagte Nüßlein. "Letztendlich arbeitet jeder, um seinen Lebensunterhalt zu sichern." Diese Frage sei beim Werben um Pflegepersonal von großer Bedeutung.

Karl Lauterbach (SPD) wies darauf hin, dass die Reform einen wichtigen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leiste. "Es war bisher ungerecht, dass die sozial Schwächeren durch den Anstieg der Eigenanteile bei höheren Pflegestufen diese aus finanziellen Gründen oft gemieden haben", sagte Lauterbach. Diese Ungerechtigkeit werde nun beseitigt.

Auch der Bundesrat nahm in seiner Sitzung am Freitag umfassend zur geplanten Pflegereform Stellung. Er monierte, dass ein gemeinsam von Bund und Ländern vereinbartes Modellprojekt zur Stärkung der Kommunen in der Pflege nicht in den Gesetzentwurf eingeflossen sei.

Der Bundesrat fordert deshalb, insgesamt 60 "Modellkommunen Pflege" zu schaffen, die die Beratungsansprüche und -pflichten nach den verschiedenen Sozialgesetzbüchern in ein Gesamtkonzept einbinden.

Das Modellprojekt soll eine Laufzeit von fünf Jahren haben und einer Evaluation unterzogen werden, die zu gleichen Teilen vom Bund und den teilnehmenden Ländern finanziert wird.

Die Länder fordern darüber hinaus, den Anspruch auf eine Verhinderungspflege - also Zeiten, in denen die Pflegekraft nicht zur Verfügung steht - von sechs auf acht Wochen zu erweitern.

Ziel der Pflegereform sei es, den Betroffenen ein hohes Maß an Flexibilität zu ermöglichen, stellt der Bundesrat klar. Die Möglichkeit, nur die Kurzzeitpflege für acht Wochen in Anspruch zu nehmen, aber nicht die Verhinderungspflege, sei vor diesem Hintergrund weder ausreichend noch sachlich zu begründen.

Die Stellungnahme wird jetzt der Bundesregierung zugeleitet. Die Bundestagsausschüsse befassen sich bereits Ende September mit dem Entwurf.

Der CSU-Abgeordnete Nüßlein brachte im Bundestag die Meinung vieler Abgeordneter aus beiden Parlamenten auf den Punkt: "Mir fällt auf Anhieb nichts ein, was man an dem vorliegenden Gesetzentwurf groß ändern müsste."

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