Mitochondrien-Spende

Sieg über ethische Bedenken

Als erstes Land der Welt hat Großbritannien die Mitochondrien-Spende erlaubt. In einer Debatte ohne Fraktionsdisziplin setzten sich die Abgeordneten durch, die die Chancen des Verfahrens betonen. Ärzteverbände reagierten zurückhaltend.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Warb in der Debatte im Unterhaus für die Legalisierung von Mitochondrien-Spenden: Gesundheitsministerin Jane Ellison.

Warb in der Debatte im Unterhaus für die Legalisierung von Mitochondrien-Spenden: Gesundheitsministerin Jane Ellison.

© empics / dpa

LONDON. Es kam, wie es kommen musste - und wie Experten prophezeit hatten: Das britische Parlament hat am Dienstag mit großer Mehrheit- 382 gegen 128 Stimmen - für eine Genehmigung von Mitochondrien-Spenden gestimmt. Damit ist Großbritannien das bislang einzige Land, das derartige Eingriffe in die menschliche befruchtete Eizelle erlaubt.

Was von Kritikern als "Frankenstein-Medizin" und "Gottesfrevel" verdammt wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als äußerst komplexes Thema - sowohl ethisch als auch medizinisch.

"Die Unterhausabgeordneten haben großen Mut bewiesen, der Legalisierung zuzustimmen", urteilte ein Londoner Klinikarzt im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Und: "Wenn durch das Verfahren Erbkrankheiten verhindert werden können, dann ist das für mich als Arzt eine gute und wünschenswerte Sache."

Ärzteverbände üben Zurückhaltung

Was auffällt, ist die Zurückhaltung der offiziellen ärztlichen Berufsvertretungen. Sowohl die British Medical Association (BMA), die die Interessen von rund 100.000 Ärzten im Königreich vertritt, als auch das angesehene Royal College of Physicians mochten auf Anfrage nicht Stellung beziehen.

"Das ist eher eine klinisch-medizinische Angelegenheit und wir äußern uns in der Regel nicht zu solchen Themen", sagte ein BMA-Sprecher. Was freilich nicht bedeutet, dass in der britischen Ärzteschaft nicht rege über die neue Situation diskutiert wird.

So befürwortet Englands höchste Gesundheitsbeamtin, Chief Medical Officer Professor Dame Sally Davies, die Legalisierung von Mitochondrien-Spenden. Sie äußerte sich denn auch positiv über die Gesetzesänderung.

"Die Erlaubnis von Mitochondrien-Spenden ermöglicht es Frauen mit mitochondrialer Krankheit, in Zukunft gesunde Kinder zur Welt zu bringen. Das ist gut." Experten rechnen damit, dass die ersten dieser "DreiEltern-Kinder" bereits im kommenden Jahr geboren werden könnten.

Generell freilich gilt: Das Verfahren, bei dem bei einer befruchteten Eizelle eines Elternpaares die Mitochondrien der Frau durch die einer anderen, gesunden Frau ersetzt wird, darf nur dann angewandt werden, wenn der Gendefekt zuvor eindeutig nachgewiesen wurde. Das betrifft laut Schätzungen gegenwärtig nur wenige Dutzend Paare.

Der britische Regierungschef David Cameron ließ kurz vor der entscheidenden Abstimmung am Dienstagnachmittag wissen, er werde für eine Legalisierung von Mitochondrien-Spenden stimmen. Es ist ungewöhnlich, dass ein amtierender Premierminister kurz vor einer wichtigen Abstimmung im Parlament Flagge zeigt.

Die Parlamentarier, die die Reform des "Human Fertilisation and Embryology Act" aus dem Jahr 1990 zuvor mehrfach debattiert hatten, durften allein ihrem Gewissen folgen - der Fraktionszwang war aufgehoben worden. So kam es, dass, ähnlich wie bei solchen Debatten im Deutschen Bundestag, Abgeordnete aller Parteien querbeet für oder gegen eine Legalisierung stimmten.

Zustimmung des Oberhauses gilt als sicher

Bevor in britischen Kliniken damit begonnen werden kann, das neue Verfahren anzuwenden, muss noch das Oberhaus als zweite Instanz der Legislative zustimmen. Die Zustimmung der Lords und Ladys gilt als sicher.

Dann können Kliniken eine entsprechende Lizenz beantragen. Forscher und Klinikärzte wie Professor Doug Turnbull (Newcastle University) kündigten am Mittwoch an, entweder selbst oder zusammen mit Kollegen "so schnell wie möglich" eine solche Genehmigung erreichen zu wollen, um das Verfahren rasch anwenden zu können.

"Das sind aufregende und wichtige Entwicklungen, die dem Wohle des Patienten und der Prävention von Krankheiten dienen", sagte Professor Turnbull, der maßgeblich an der Entwicklung des Verfahrens beteiligt war. Newcastle in Nord-England gilt als weltweit führend auf dem Gebiet der Mitochondrien-Spenden.

Während kirchliche Vertreter den Parlamentsentscheid kritisierten, zeigten sich betroffene Patienten erfreut. Eine Mutter, die bereits mehrfach erkrankte Kinder zur Welt brachte, sprach von "Licht am Ende eines sehr langen Tunnels".

Im Ausland dürfte der britische Vorstoß mit großem Interesse beobachtet werden. Das gilt vor allem für die USA, wo das Verfahren vor einigen Jahren zunächst erlaubt, später aber wieder verboten wurde, da es "nicht sicher" sei.

Es ist jetzt die Aufgabe der britischen Ärzte und Wissenschaftler, Skeptiker eines Besseren zu belehren.

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