Geteiltes Echo

So reagieren Ärztevertreter und Opposition auf die neuen Corona-Beschlüsse

Die Bund-Länder-Beschlüsse zur Eindämmung der steigenden Zahl an Corona-Neuinfektionen spalten: Ärzte fordern eine differenzierte Sicht auf das Infektionsgeschehen, die Linke spricht von Willkür. Eine Übersicht.

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Weiter strittig zwischen den Ministerpräsidenten: Das Beherbergungsverbot.

Weiter strittig zwischen den Ministerpräsidenten: Das Beherbergungsverbot.

© K. Schmitt/picture alliance/Fotostand

Berlin. Mehr als acht Stunden haben Politiker aus Bund und Ländern am Mittwoch zusammengesessen, um ihr weiteres Vorgehen in der Corona-Pandemie zu beraten. Die Reaktionen auf die Beschlüsse fallen gemischt aus. Besonders unter Beschuss steht weiter das Beherbergungsverbot, an dem zunächst bis zum Ende der Herbstferien festgehalten wird.

KBV: Zweifel an Wirksamkeit der Maßnahmen

Deutschlands Vertragsärzte äußern erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der beschlossenen Corona-Maßnahmen. „Ich würde die Prognose wagen, die Zahlen werden weiter steigen ungeachtet der Maßnahmen“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, dem Fernsehsender Phoenix am Mittwochabend. In die Beurteilung der Lage müssten auch Parameter wie Krankenhausbelegung und Auslastung der Intensivbetten einfließen.

BÄK: Infektionsgeschehen differenzierter abbilden

Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte bereits vor dem Bund-Länder-Treffen gefordert, gängige Corona-Kennzahlen zu überprüfen. Ziel müsse sein, „zu einer viel differenzierteren Betrachtungsweise des Infektionsgeschehens“ zu kommen, sagte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt der Funke-Mediengruppe (Mittwoch).

Die Zahl der Neuinfektionen reiche nicht aus, um die Gefährdungslage der Bevölkerung insgesamt abzubilden, so Reinhardt. Sinnvoll und notwendig seien weitere Kriterien. Dazu gehöre das Verhältnis von positiven Testergebnissen zur Gesamtzahl der Abstriche, die Zahl der tatsächlich Erkrankten unter den positiv Getesteten, die Unterscheidung nach Altersgruppen unter den Infizierten sowie die Relation von schweren Verläufen zur Kapazität an Intensivbetten.

Marburger Bund: Gestuftes Vorgehen bei Intensivkapazitäten

Die Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) lobte, dass Bund und Länder ein „einheitliches Vorgehen bei der Kontaktverfolgung“ verabredet hätten. „Jetzt kommt es mehr denn je darauf an, den Öffentlichen Gesundheitsdienst personell zu stärken, damit er seinen Aufgaben bei der Eindämmung der Infektionen auch tatsächlich nachkommen kann“, sagte MB-Vorsitzende Dr. Susanne Johna der „Ärzte Zeitung“ am Donnerstag.

Mit Blick auf die Intensivkapazitäten sei ein „gestuftes Vorgehen“ anzustreben. „Planbare Operationen sollten erst dann eingeschränkt werden, wenn die Anzahl der COVID-19-Patienten absehbar deutlich mehr Intensivkapazitäten bindet.“ Die Länder müssten das „sehr genau“ im Blick behalten und rechtzeitig reagieren.

DKG: Ausreichend Intensivbetten, zu wenig Personal

Die Kliniken bereiteten sich „planmäßig“ auf weiter steigende Patientenzahlen wegen Corona vor, teilte die Deutsche Krankenhausgesellschaft in Reaktion auf die Bund-Länder-Beschlüsse mit. Die Häuser profitierten dabei von den Erfahrungen aus dem Frühjahr, sagte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß. „Durch den Aufbau von Reservekapazitäten gerade im Intensivbehandlungsbereich verfügen wir über deutlich mehr Beatmungsbetten, als dies noch im März der Fall war.“

Insgesamt seien mehr als 10.000 Beatmungsbetten aufgestockt worden. Ein Problem bleibe die Ausstattung der zusätzlichen Kapazitäten mit dem entsprechenden Fachpersonal, sagte Gaß.

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Linke: Willkür und Aktionismus

„Dass die Infektionszahlen weiter ansteigen werden, ist absehbar, dennoch schaffen es Bund und Länder trotz Notlage nicht, an einem Strang zu ziehen“, kritisierte auch der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion, Achim Kessler, am Donnerstag. Bund und Länder handelten aktionistisch. Mit Beherbergungsverboten oder Sperrstunden bei gleicher Infektionslage schaufele man aber nur „Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Corona-Maßnahmen an sich ablehnen“.

Der Bundestag sei stärker in Entscheidungen einzubeziehen, forderte Kessler. Zudem müsse ein wissenschaftliches Beratergremium eingerichtet werden, das Gesundheitsschutz, soziale Absicherung und Grund- und Freiheitsrechte im Blick behalte. „Die Hinterzimmerkungelei von Ministerpräsidenten und der Kanzlerin muss ein Ende haben.“

Grüne: Flickenteppich bleibt bestehen

Kritik an den Beschlüssen übten auch die Grünen. „Gerade mit dem Fortbestand der Beherbergungsverbote bleibt in einem zentralen Bereich ein Flickenteppich“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstag). Dass ausgerechnet diese Entscheidung bis nach den Ferien verschoben werde, müsse vielen Betroffenen wie ein schlechter Witz vorkommen.

NRW-Chef Laschet: Testreagenzien nicht verschwenden

Das Beherbergungsverbot ist auch unter den Ländern umstritten. Einer der schärfsten Kritiker, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), wiederholte am Donnerstag seine Vorbehalte. „Das Beherbergungsverbot setzt falsche Anreize“, teilte Laschet per Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Das Verbot zwinge Menschen, sich vor einer Hotelübernachtung testen zu lassen, so Laschet. Wichtige Testreagenzien drohten damit verschwendet zu werden. Ähnliche Bedenken hatte zuletzt auch der Hausärzteverband geäußert.

SPD fürchtet um Akzeptanz der Maßnahmen

„Es ist gut, dass sich die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs auf einheitliche Regeln zur Ausweitung der Maskenpflicht und zu Kontaktbeschränkungen in Abhängigkeit von den konkreten Infektionszahlen verständigt haben“, kommentierte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar. Wichtig sei auch die Unterstützung der Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung.

„Enttäuschend“ sei aber, dass an den Beherbergungsverboten vorläufig festgehalten werden solle, sagte Dittmar. „Sie sind mit Blick auf den Infektionsschutz nicht begründbar und nur schwer umsetzbar.“ Hotels und Herbergen müssten bereits über durchdachte Hygienekonzepte verfügen. Der Flickenteppich an unterschiedlichen Landesregelungen bleibe bestehen. Das schade der Akzeptanz notwendiger Eindämmungsmaßnahmen.

Städtetag zeigt sich skeptisch

Vertreter des Deutschen Städtetags reagierten skeptisch, ob die Beschlüsse die gewünschte Wirkung entfalten. Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) sagte der dpa am Donnerstag: „Es wird jetzt etwas mehr einheitliche Regeln bei steigenden Infektionszahlen geben. Aber ob das reicht und die Menschen besser durchblicken können, was gilt, müssen wir erst noch sehen.“ Deutschland dürfe in den kommenden Wochen nicht die Kontrolle über Corona verlieren, sagte der Leipziger Oberbürgermeister.

Kirchenvertreter richteten das Augenmerk auf Kitas und Schulen. „Wir müssen alles dafür tun, dass auch bei steigenden Infektionszahlen die Kindertagesbetreuung gesichert bleibt“, sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland: Die flächendeckende Schließung der Kitas und Schulen zu Beginn der Pandemie habe Familien und Kindern enorm viel abverlangt.

Am Freitag wollen sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Familienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD) zur Corona-Situation in den Kitas äußern. (hom/af/dpa)

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