Methodenbewertung
Spahn eckt bei Ärzten und Kassenvertretern an
Plötzlich ist die Methodenbewertung wieder ein Thema.:Gesundheitsminister Spahn will mehr Tempo. Ärzte- und Kassenvertreter fürchten um die Qualität.
Veröffentlicht:Berlin. Eine aktuelle Verordnung aus dem Gesundheitsministerium stößt auf teils heftigen Widerspruch. Das Regelwerk mit dem sperrigen Namen „Methodenbewertungsverfahrensverordnung“ (MBVerf) soll dazu beitragen, die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu straffen, zu beschleunigen und zu strukturieren.
An zwei Punkten erhitzen sich die Gemüter in der gemeinsamen Selbstverwaltung:
- Zum einen daran, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der für die Bewertung zuständig ist, dazu verdonnert werden soll, alle Studien, auch die niedriger Evidenzstufen, auszuwerten.
- Zum anderen daran, dass der GBA zu einer weiter als heute bereits vorgesehen reichenden Beteiligung der Industrie im Bewertungsverfahren verpflichtet werden soll. Sie soll bis hin zur Beteiligung an den Beratungen des zuständigen Unterausschusses im GBA reichen. Die Frist bis zur einer Entscheidung des GBA soll für im vertragsärztlichen Bereich eingesetzte Methoden zwei Jahre, im stationären Sektor genutzte Methoden drei Jahre dauern.
GBA: „unnötiger Ballast“
Die geplanten Pflichten führten nicht zu einer inhaltlichen Verbesserung der nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin zu treffenden Entscheidungen, stellen die drei unabhängigen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses Professor Josef Hecken (Vorsitzender), Dr. Monika Lelgemann und Professor Elisabeth Pott in einer gemeinsamen Stellungnahme fest. Tatsächlich bedeuteten sie „unnötigen Ballast“ für die Verfahren.
Die Auswertung von Studien niedriger Evidenzstufen erschwere die Methodenbewertung ohne erkennbaren sachlichen Grund, argumentieren die GBA-Spitzen. Die vom Gesetzgeber geforderte „Aussagesicherheit“ schafften nur Studien hoher Evidenz. Das Einbeziehen von Expertenmeinungen und „hochgradig verzerrte Studienergebnisse“ niedriger Evidenzstufen drohten an dieser Stelle den Erkenntnisgewinn zu schwächen.
Gegen das Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, spreche eine direkte Beteiligung der Industrie und ihrer Verbände am Verfahren und der Beschlussfassung. Damit erhielten die Antragsteller selbst das Recht, mit „Widerspruch und Klage“ gegen die Ablehnung des GBA vorzugehen, einer Methode die Verordnungsfähigkeit zu gewähren. Das könne jahrelangen Stillstand auslösen, betonen die GBA-Verantwortlichen.
AOK: Öffnung für Lobbyinteressen
Auch auf Kostenträgerseite wurde deutliche Kritik laut. „Mit der neuen Verordnung soll der GBA gezwungen werden, bei der Bewertung von neuen medizinischen Methoden auch Studien heranzuziehen, die nur wenig oder gar keine Aussagekraft haben“, warnte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch.
Dass gleichzeitig die vorgesehene Dauer der Studienrecherche abgekürzt werden solle, sei nicht gut. Litsch verwies auf das Beispiel der intrakraniellen Stents zur Senkung von Schlaganfallrisiken. Dort hätten kleinere Studien zunächst auf Wirksamkeit hingedeutet. Später aufgelegte, methodisch hochwertige Studien hätten dann enthüllt, dass die Stents zu mehr Gehirnblutungen und Schlaganfällen führten.
Litsch kritisierte ebenfalls den Vorstoß des Ministers, die Teilnahme an der Bewertung für weitere Kreise zu öffnen. Damit würden Lobbyinteressen Tür und Tor geöffnet, monierte der AOK-Verbandschef.
KBV: Hinweise auf Potentiale
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung positioniert sich nicht strikt gegen den Einsatz von Studien niedriger Evidenzstufen. Zwar sei damit ein Nutzennachweis nur schwer möglich, immerhin aber könnten solche Studien das Potenzial einer Behandlungsalternative belegen. Die KBV-Vertreter sprechen sich in ihrer Stellungnahme zum Verordnungsentwurf gleichwohl gegen die Pflicht, auch Expertenmeinungen (Evidenzstufe V) einbeziehen zu müssen. Dies solle der Verordnungsgeber wieder streichen.
Der KBV ist zudem wichtig, dass der GBA nicht, wie vorgesehen, Methoden erproben müssen solle, wenn gleichzeitig das in Frage stehende Verfahren bereits in einer Studie untersucht werde. Das sei aus Wirtschaftlichkeitsgründen und wegen zu erwartender Rekrutierungsprobleme nicht angezeigt. Nicht nachzuvollziehen sei zudem, warum eine Erprobung im Krankenhaus drei Jahre dauern solle, im vertragsärztlichen Bereich aber bereits nach zwei Jahren abgeschlossen sein solle.
Vor dem Rückgriff auf Studien niedriger Evidenz warnt auch das Netzwerk evidenzbasierte Medizin. Für Unternehmen und Wissenschaftler entfalle damit der Anreiz, adäquat geplante Studien auf dem Niveau von RCTs aufzusetzen. Niedrig evidente Studien berücksichtigen zu müssen, werde zudem den Zeitaufwand für den GBA ach oben treiben. Es dauere länger „Evidenz ohne Einschränkung des Studiendesigns“ zu recherchieren, so Vertreter des Netzwerks.