Breitseite gegen Spahn

Staatsrechtler zerpflücken Corona-Impfverordnung der Regierung

Breitseite gegen Spahns Corona-Impfstrategie: Nach Ansicht von Rechtsgelehrten und Ethikern steht die Impfpriorisierung des Gesundheitsministers auf tönernen Füßen. Es brauche dafür eine Entscheidung des Parlaments.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht: | aktualisiert:
Das Parlament ist nach Ansicht von Juristen bei der Corona-Impfverordnung gefragt, eine Verordnung reiche nicht aus, argumentieren Rechtswissenschaftler anlässlich einer Anhörung im Gesundheitsausschuss, die am Mittwoch angesetzt ist.

Das Parlament ist nach Ansicht von Juristen bei der Corona-Impfverordnung gefragt, eine Verordnung reiche nicht aus, argumentieren Rechtswissenschaftler anlässlich einer Anhörung im Gesundheitsausschuss, die am Mittwoch angesetzt ist.

© Kay Nietfeld / dpa

Berlin. Staatsrechtler melden erhebliche Bedenken an der Impfstrategie der Bundesregierung an. Wesentlichen Regelungen der kurz vor Weihnachten 2020 erlassenen Corona-Impfverordnung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fehle die „verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage“, schreibt die Staatsrechtlerin Professor Anna Leisner-Egensperger von der Universität Jena in einer Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestags.

„Diese Vorschriften sind daher rechtswidrig und damit nichtig. Sie dürfen von den Behörden nicht angewendet werden und müssen von den Bürgern nicht beachtet werden“, so das Fazit der Staatsrechtlerin.

Verordnung oder besser ein Gesetz?

Zur Erinnerung: Die von Spahn erlassene Corona-Impfverordnung regelt unter anderem die Reihenfolge – sprich Priorisierung – der Immunisierungen gegen das Coronavirus. Hochaltrige und besonders von schweren Infektionsverläufen gefährdete Personen stehen dabei ganz vorne auf der Liste – ebenso wie Pflegekräfte in Altenheimen.

Eine Priorisierung bei der Corona-Impfung wird damit begründet, dass entsprechende Vakzine bislang knapp sind und nicht jeder, der will, sofort geimpft werden kann. Spahn stützt sich dabei auf die Verordnungsermächtigung nach Paragraf 20i Absatz 3 SGB V und die nach Paragraf 5 Absatz 2 Infektionsschutzgesetz.

FDP, Grüne und Linke im Bundestag hatten kritisiert, dass eine Rechtsverordnung für eine derart gravierende Entscheidung wie die Impfpriorisierung nicht in einer Rechtsverordnung des Gesundheitsministers geregelt werden dürfe. Hierzu brauche es vielmehr ein eigenes Gesetz. Ein solches hatte die FDP-Fraktion dem Bundestag im Dezember vorgelegt – mit den Stimmen von Union und SPD wurde das Vorhaben jedoch an den Gesundheitsausschuss verwiesen.

Anhörung am Mittwoch

Am Mittwoch (13. Januar) wollen die Ausschussmitglieder Sachverständige und Verbände zum FDP-Gesetzesantrag hören. Geladen sind als Einzelsachverständige außer Leisner-Egensperger unter anderem auch der Staatsrechtler Professor Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg und der Theologieprofessor und frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg.

Sowohl Kingreen als auch Dabrock sehen den Bundestag bei der Priorisierungsfrage in der Pflicht. „Der parlamentarische Gesetzgeber muss die anzuwendenden Auswahlkriterien und deren Rangverhältnis untereinander für den Zugang zu Schutzimpfungen gegen das Coronavirus selbst regeln“, schreibt Kingreen.

„Verfassungswidrig und gerichtlich angreifbar“

Das Regelungskonzept der durch die Ständige Impfkommission (STIKO) vorbereiteten Rechtsverordnung unterstelle hingegen „unzutreffend, dass eine Priorisierung allein auf medizinischen und nicht auch auf normativen Kriterien beruht.“ Es sei „verfassungswidrig und daher gerichtlich angreifbar“. Daher solle der Gesetzentwurf der FDP weiterverfolgt werden, empfiehlt Kingreen.

Ähnlich positioniert sich Dabrock zur Frage Verordnung oder Gesetz: „Wenn in einer akuten Herausforderung wie der Impfpriorisierung der Bundestag diesen Bereich nicht regelt, ist dies demokratietheoretisch und konkret-ethisch als ein schweres Versäumnis einzuordnen.“

Dadurch drohe ein weiterer Vertrauensverlust der Politik. Die FDP-Fraktion habe daher das „einzig Notwendige und Richtige“ getan, indem sie den Weg des parlamentarischen Verfahrens „in höchst grundrechts- und gesellschaftsrelevanten Fragen“ eingeschlagen und den Entwurf für ein förmliches Gesetz vorgelegt habe.

Entscheidung über Leben und Tod

„Die Festlegung der Reihenfolge der Impfungen betrifft einen besonders grundrechtssensiblen Bereich“, pflichtet Dr. Andrea Kießling von der Juristischen Fakultät der Universität Bochum in ihrer Stellungnahme bei.

Die Impfung verhindere nach aktuellem Wissensstand besonders schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle, sodass der Staat über die in Artikel 2 des Grundgesetzes geschützten Güter „Leben und körperliche Unversehrtheit“ und damit letztlich über die „Zuteilung von Überlebenschancen“ entscheide. Deshalb bedürfe es eines Parlamentsgesetzes.

FDP: Spahn muss sofort handeln!

Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Christine Aschenberg-Dugnus rief Gesundheitsminister Spahn auf, unverzüglich selbst ein Impfgesetz vorzulegen oder den Gesetzesentwurf ihrer Fraktion zu übernehmen. Die Stellungnahmen der Sachverständigen sprächen eine klare Sprache: „Spahns Verordnung ist verfassungswidrig.“ Ein Corona-Impfgesetz sei aus verfassungsrechtlichen und ethischen Gründen dringend geboten, so die FDP-Politikerin.

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