Belgien

Sterbehilfe jetzt auch für Kinder

Seit Monaten wurde diskutiert, nun kommt die Gesetzesänderung: In Belgien wird die Sterbehilfe auf todkranke Kinder und Jugendliche ausgeweitet. Ein Blick auf die Debatte zeigt, wie sehr Kinder- und Jugendärzte zerstritten sind.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Das belgische Parlament debattiert seit Mittwoch das umstrittene Gesetz zur aktiven Sterbehilfe bei Kindern.

Das belgische Parlament debattiert seit Mittwoch das umstrittene Gesetz zur aktiven Sterbehilfe bei Kindern.

© Julien Warnand / epa / dpa

BRÜSSEL. Das belgische Parlament hat am Donnerstagabend mit der Mehrheit von 86 Abgeordneten für das umstrittene Sterbehilfegesetz gestimmt. 44 Parlamentarier stimmten gegen die Vorlage, zwölf enthielten sich.

In einer eindringlichen Schlussdebatte warben die Abgeordneten nochmals für ihre Positionen. Christdemokratische Parlamentarier kritisierten, es sei falsch, das Sterbehilfegesetz von 2002 auszuweiten, bevor es überhaupt evaluiert worden ist. Das Gesetz schaffe mehr Probleme, als es löse, argumentierten sie.

"Überlegen Sie, bevor sie auf den grünen Knopf drücken", also dem Gesetz zustimmen, bat eine Abgeordnete. Dagegen verwiesen die Befürworter der Vorlage auf das Recht der Selbstbestimmung auch für Kinder und Jugendliche. Das Gesetz gebe Kindern und ihren Eltern die Option, sich frei zu entscheiden – für oder gegen eine Fortsetzung der medizinischen und palliativen Behandlung.

Der Entscheidung über das neue Euthanasiegesetz vorangegangen waren dramatische Appelle, die Abstimmung zu verschieben. Belgien ist nun das weltweit erste Land, in dem die aktive Sterbehilfe auch für Kinder ermöglicht wird. Bisher gilt hierfür eine Altersgrenze von 18 Jahren. Das Gesetz muss noch von Belgiens König Philippe unterzeichnet werden, was als wahrscheinlich gilt.

Das Gesetz sieht vor, dass Kinder, bei denen aktive Sterbehilfe zulässig sein soll, "unerträglich leiden" müssen, ohne dass Hoffnung auf Besserung besteht.

Ein Kinder- und Jugendpsychiater muss in einem Gutachten bestätigen, dass das betreffende Kind die nötige Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt. Gefordert ist zudem die schriftliche Zustimmung der Eltern zur aktiven Sterbehilfe.

162 Kinderärzte aus ganz Belgien hatten in einem offenen Brief kürzlich für die Verschiebung der Abstimmung geworben. Es gebe keinen Grund, das seit 2002 geltende Sterbehilfegesetz zu erweitern: "Spontane oder überlegte Nachfrage nach Euthanasie bei Minderjährigen gibt es in der Praxis so gut wie nie", heißt es in dem Schreiben, das von rund 15 Prozent der Pädiater in Belgien unterstützt wird.

Auch bezeichnen sie das Gesetz als "überstürzt" und beklagen, dass in den lediglich drei Ausschussdebatten die weitere Anhörung von Experten abgelehnt worden sei. Anders hatten sich im November vergangenen Jahres 16 Pädiater in einem Schreiben an den belgischen Senat geäußert.

Darin plädierten sie dafür, Minderjährige "nicht von dieser ultimativen Möglichkeit auszuschließen". Das Thema müsse aus der "Dunkelzone" der Illegalität geholt werden. Der Senat hat sich bereits vergangenen Dezember mit 50 zu 17 Stimmen für das Gesetz ausgesprochen.

Die belgische Justizministerin Annemie Turtelboom verwies in der Parlamentsdebatte am Mittwoch darauf, dass das Sterbehilfegesetz von 2002 inzwischen breite Zustimmung in der Bevölkerung finde und in zwölf Jahren "kein einziger Missbrauch" registriert worden sei.

Kritiker des Gesetzes, vor allem die christdemokratischen Parteien, bezweifeln, ob Kinder die vom Gesetz geforderte Einsichtsfähigkeit überhaupt besitzen können. Im Brief der 162 Pädiater heißt es dazu: "In der Praxis gibt es keine objektive Methode, um die Urteilsfähigkeit eines Kindes zu bestimmen. So wird es bei einer subjektiven und beeinflussbaren Einschätzung bleiben."

Versuche von Parlamentariern, durch Änderungsanträge die Altersgrenze für zulässige Sterbehilfe auf 15 Jahre zu erhöhen, fanden keine Mehrheit.

Eingang in den Gesetzentwurf fand dagegen der Änderungsantrag, wonach ein psychisches Leiden, anders als bei Erwachsenen, kein Kriterium sein darf, das eine aktive Sterbehilfe auslöst.

Vor der Parlamentsdebatte hatte die Katholische Kirche in Belgien am Dienstag zu einem "Fast- und Bettag" aufgerufen. In einem Schreiben warnte der Bischof von Lüttich, Jean-Pierre Delville, davor, mit dem Euthanasiegesetz werde "die Menschenwürde zum Objekt einer subjektiven Beurteilung".

Die "angeblich völlig individuelle Entscheidung", Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, übe " einen gefährlichen Druck auf die Freiheit aller Pflegekräfte sowie auf die der Pflegeinstitutionen aus, die die Euthanasie ablehnen".

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Kommentare
Wolfgang Lohmueller 16.02.201420:55 Uhr

Euthanasie Version 2.0 @Lutz Barth

Euthanasie hatten wir schon in der Hitlerzeit.
Sie, Herr Kollege Barth, haben diese Zeit wohl noch nicht erlebt.
Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist gezwungen, sie zu wiederholen (Santayana). Gerade wir Deutschen brauchen weder eine Euthanasie, noch Ihre deplazierten Angriffe auf "Ober-Ethiker".
Wenn Sie zitieren, dass wir Deutschen keinen Stein auf andere werfen sollen, zitieren Sie Jesus. Dann nehmen Sie Ihn bitteschön auch ganz ernst, denn Er sagt von sich, dass Er das Leben ist. Sie können nicht einerseits Jesus zitieren und andererseits das Leben, das Er jedem Menschen gegeben hat, zum Spielball machen.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
Wolfgang Lohmüller, Praktischer Arzt, Gengenbach

Lutz Barth 14.02.201407:40 Uhr

Nicht den "Stein" auf Andere werfen!

Mit Verlaub: Hierzulande sollten wir uns etwas bescheiden und davon Abstand nehmen, unsere europäischen Nachbarstaaten über Gebühr ethisch und moralisch disziplinieren und schlimmer noch, als „kranke Gesellschaften“ diskreditieren zu wollen.

Ob der Weg in eine „zutiefst inhumane Gesellschaft“ geebnet wird, steht zu bezweifeln an, steht und fällt doch diese moralische Werturteil mit den zugrundegelegten Prämissen und Wertentscheidungen, die eine Gesellschaft und ihr folgend im Zweifel der parlamentarische Gesetzgeber für besonders dringlich und schützenswert erachten.

Ohne Frage kommt dem Selbstbestimmungsrecht auch der schwersterkrankten und sterbenden Kindern ein immens hoher Wert zu und wir sollten uns davor hüten, ähnlich wie bei den Erwachsenen den freien und nachvollziehbaren Willen dieser Kinder schlicht zu pathologisieren.

Ohne Frage ist ein „Aufschrei“ der Ärzte auch hierzulande dringend erforderlich, zumal in Deutschland einige handverlesene „moralische Autoritäten“ sich anmaßen, die Gewissensentscheidung ihrer eigenen Kolleginnen und Kollegen durch berufsrechtliche Zwangsdiktate zu beugen.

Insbesondere die deutschen ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften sollten sich von ihrer Vorstellung verabschieden, über eine bessere, weil Hippokrates und Hufeland wohlgefälligere Arztethik zu verfügen, die sie in den Stand versetzt, ganz Europa ethisch und moralisch zu erziehen, und – sofern notwendig und angezeigt – im Zweifel auch noch zu disziplinieren.

Dass diese „Idee“ schon in manchen „Köpfen“ reift, dokumentiert das Statement der Patientenschutzorganisation Deutsche Stiftung Patientenschutz, wo Eugen Brysch meint, „Berlin“ zum Handeln aufrufen zu müssen. Fehlt „nur“ noch, dass die BÄK eine „Sondersitzung“ einberuft, um den scheinbaren „Wertverfall“ der „guten, alten überlieferten Arztethik“ in Belgien oder anderenorts öffentlichkeitswirksam rügen zu müssen.

Abermals mit Verlaub: Wir sollten nicht den „Stein“ auf Andere werfen, da wir hierzulande einen Weg in eine inhumane Gesellschaft zu beklagen haben, in dem der schwersterkrankte und sterbende Patient mit seinem nachvollziehbaren Wunsch nach einem frei bestimmten Tod nicht wahrhaftig ernst genommen wird und überdies die „freie“ (?) Ärzteschaft mittels Verbote auf ethischem Grundkurs einiger ethischer „Überzeugungs- und Gesinnungstäter“ gehalten werden soll.

Wenn ein „Aufschrei“ anzumahnen ist, dann doch wohl eher hierzulande! Fassungslosigkeit muss sich dort einstellen, wo „Oberethiker“ ungestraft ihren neopaternalistischen Kurs fortsetzen können, ohne hierbei auch nur ansatzweise den wahren Wert unsere Freiheitsrechte – also auch solche der Ärzteschaft – zu erkennen!

Die Deutschen sind weder die besseren Ärzte noch Politiker und es ist auf Dauer mehr als nur beschämend, wenn wir glauben, unsere europäischen Nachbarn für ihren liberalen Weg schelten zu müssen!

Dipl.-Med Wolfgang Meyer 13.02.201419:32 Uhr

Kranke Gesellschaft!

Wo ist hier der Aufschrei der Ärzteschaft? Gerade einmal 162 Pädiater wenden sich in einem offenen Brief gegen das Gesetz. Mich macht solch eine
Entwicklung fassungslos, zumal belgische Ärzte nicht unbedingt als Vorrei-
reiter einer humanen und fortschrittlichen Medizin in der Welt in Erschei-
nung treten. Hier wird der Weg zu einer zutiefst inhumanen Gesellschaft geebnet! Und die Ärzte schauen tatenlos zu!

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