Leitartikel zur Sterbehilfe

Sterbewillige dürfen nicht geächtet werden

Gesundheitsminister Hermann Gröhe will geschäftsmäßige Sterbehilfe verbieten. Palliativmediziner sehen weitere rechtliche Regelungen skeptisch und werben dafür, Menschen, die sterben wollen, ernst zu nehmen und nicht zu kriminalisieren.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
In Würde sterben - das wünscht sich jeder, aber es ist nicht jedem vergönnt.

In Würde sterben - das wünscht sich jeder, aber es ist nicht jedem vergönnt.

© Sami Belloumi / dpa

Der Tod ist groß, wir sind die seinen - soviel ist klar. Aber wie nahe dürfen wir, die Lebenden, ihm treten?

Und dürfen wir Kranken gar dazu helfen, die Grenze zu ihm zu überschreiten, wenn ihnen das Leben oder Sterben zu schwer, zu schmerzhaft und zum Verzweifeln erscheint?

 Diese Frage hat jüngst der neue Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erneut aufgeworfen, als er der "Rheinischen Post" sagte: "Ich wünsche mir, dass wir jede geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen."

Schon im vergangenen Jahr wollten CDU und FDP ein ähnliches Gesetzesvorhaben anschieben und die "gewerbsmäßige" Hilfe zur Selbsttötung verbieten. Bei der gewerbsmäßigen Hilfe ist auch Geld im Spiel.

Vereine wohl nicht betroffen

Vereine aber, die Sterbewillige etwa in die Schweiz vermitteln (weil dort das in Deutschland verbotene Natrium-Pentobarbital als "Sterbemittel" erlaubt ist), wären von so einem Verbot wohl nicht betroffen gewesen. Denn sie verdienen kein Geld mit ihren Diensten.

So erklärt sich, dass Gröhe die umfassendere Formulierung wählte und die geschäftsmäßige Unterstützung zur Selbsttötung verbieten lassen will.

Geschäftsmäßigkeit umfasst juristisch gesehen auch Tätigkeiten ohne Erwerbsabsicht, erklärt Dr. Karsten Scholz, Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen.

Will sagen, wenn Gröhes Wunsch einmal Gesetz würde, dann könnte die Hilfe zur Selbsttötung auch dann bestraft werden, wenn sie aus altruistischen Motiven geschieht und kein Geld im Spiel ist.

Damit wären auch Sterbehilfe-Vereine von dem Verbot erfasst, die sich etwa nur aus Mitgliederbeiträgen finanzieren.

Sterbehilfevereine hätten es schwerer

Sterbehilfe

In Deutschland ist die Sterbehilfe nicht Gegenstand expliziter gesetzlicher Regelungen. In konkreten Fällen wird geprüft, ob die den Fremdtötungsparagrafen Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212,213) oder Tötung auf Verlangen zugrundeliegenden Tatbestände erfüllt sind.

Suizid ist nach deutschem Recht kein Straftatbestand, die Beihilfe zum Suizid bleibt demnach straflos. Wird die Beihilfe durch einen Arzt oder einen nahen Verwandten geleistet, kann aber eine Unterlassung als Straftat gewertet werden. Die BÄK hat eigene Grundsätze zur Sterbebegleitung.

Tatsächlich würde Gröhes Regelung Vereinen wie "Dignitas" oder "Sterbehilfe Deutschland" des ehemaligen Hamburger CDU-Politkers und Innensenators Roger Kusch die Arbeit in Deutschland schwer machen.

Die Möglichkeit, unter der Überschrift "selbstbestimmt bis zum Schluss", die Selbsttötung in Deutschland legal zu organisieren, hat gleichwohl viele Befürworter.

Udo Reiter, der ehemalige Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks, etwa erklärte jüngst in der "Süddeutschen Zeitung", die 10 000 Menschen, die sich hierzulande jährlich das Leben nehmen, hätten einen würdigeren Tod verdient, als sich vor einen Zug zu werfen oder sich zu erhängen. Damit wollte er für einen angemessenen Weg der Selbsttötung in Deutschland argumentieren - finanziert durch die Krankenkassen.

Müntefering: Würdiges Leben in Not wichtig

Ihm antwortete der SPD-Politiker Franz Müntefering, ebenfalls in der "SZ". Für ihn ist ein würdigeres Leben der Menschen in Not weitaus wichtiger als ein süßer Cocktail, der gut schmeckt und sanft einschlafen lässt, wie Reiter formulierte.

Wer sich selber tötet, beschädige auch die Freiheit der Menschen um ihn herum. Zudem schlage er die Möglichkeit aus, mit ihnen in Solidarität und Nächstenliebe zusammenzuleben - bis zum Schluss, ganz bis zum Schluss, so Müntefering.

Ein starkes Statement von einem, der weiß, wovon er redet. In den Jahren 2007 und 2008 zog sich der ehemalige SPD-Vorsitzende aus der Politik zurück und begleitete seine schwer kranke Frau, die 2008 starb.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) dürfte Münteferings Ansatz unterstützen. Gleichwohl steht sie Gröhes Vorstoß skeptisch gegenüber.

"Wir sehen aus Sicht der Palliativmedizin derzeit keinen Bedarf, weitere rechtliche Regelungen zu schaffen", sagt DGP-Geschäftsführer Heiner Melching.

"Auch wenn wir Sterbewünschen nicht mit Hilfe zur Selbsttötung begegnen wollen, sollten die Sterbewünsche andererseits ernst genommen und nicht kriminalisiert werden."

BÄK unterstützt den Minister

Ein richtiger Ansatz. Es würde die Diskussion verengen und verschärfen, wenn der Suizid und Menschen mit der Absicht sich zu töten, geächtet würden.

Zudem wäre es fatal, wenn der Gesetzgeber gegebenenfalls auch noch die Angehörigen, die aus Not und oft Unkenntnis gehandelt haben, belangen würde, so Melching.

Im Übrigen findet er die Diskussion zum Teil überhitzt. "Bei vielen Patienten, die möglicherweise nach Beihilfe zum Suizid verlangen, ist nicht ausreichend bekannt, welche Möglichkeiten die Palliativmedizin bietet, und dass auch der Wunsch nach Behandlungsverzicht oder der Verzicht auf Nahrung respektiert und umgesetzt werden muss."

Aus Sicht der Palliativmedizin ist also die Hilfe zur Selbsttötung keine Antwort. Melching: "Wir haben andere Antworten, und über diese wollen wir informieren. Die Palliativmedizin bietet aus ihrem lebensbejahenden Ansatz heraus Hilfe beim Sterben an, jedoch nicht Hilfe zum Sterben."

Nun werden die Bundestagsabgeordneten ohne Fraktionszwang über Gröhes Vorschlag diskutieren und abstimmen, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Und die Ärzte?

Montgomery findet Gröhes Vorstoß gut

BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery, hat den Vorstoß Gröhes begrüßt. Er renne bei der Kammer offene Türen ein, so Montgomery.

Für die Arbeit am Krankenbett aber dürften Verbot oder Erlaubnis der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Land direkt keine Rolle spielen.

Nach wie vor arbeiten die Ärzte beim Thema Beihilfe zum Suizid in einem seltsamen Raum aus Erlaubnis und Verbot. Der Gesetzgeber erlaubt die Beihilfe, die Berufsordnung der Ärzte verbietet sie.

So viel ich weiß, gibt es Ärzte, die schwerst leidenden Patienten den Suizid ermöglichen - trotz des Risikos, ihre Zulassung zu verlieren. Ich hoffe inständig, dass sie wissen, was sie tun.

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Kommentare
Rudolf Hege 10.01.201413:34 Uhr

Heuchelei...

Die Diskussion um Sterbehilfe trieft vor Heuchelei. Für die Gegner der Sterbehilfe ist der Sterbewillige nur so lange Thema, so lange er noch sterben "darf". Wie es ihm aber nach dem "Verbot" geht, ist uninteressant. Hauptsache er stört den Schlaf der Gerechten nicht mit seinem Sterbewunsch und beunruhigt die Noch-Gesunden nicht mit dem Verdacht, dass das Leben manchmal einfach nicht mehr lebenswert ist.

Das Ganze erinnert sehr an manche statistischen Spielchen in der Onkologie, wo die Tumorremission auch wichtiger ist als die Überlebenszeit, von der Lebensqualität mal ganz zu schweigen. Hauptsache, die Statistik kann einen "objektiven" Erfolg ausweisen.

Vielleicht wäre es besser, dafür zu sorgen, dass Menschen nicht aus Leid, Einsamkeit und Verzweiflung sterben wollen? Nur, da schweigt sich die Politik gerne aus. Denn das würde bedeuten: Andere Strukturen (z.B. mehr psychosoziale Betreuung), mehr Personal - und mehr Geld. Oder sich mit den Angehörigen anlegen - sofern überhaupt welche vorhanden sind - und denen mehr Pflichten auferlegen. Aber über die Brücke geht auch kein Politiker.

So wird die Würde und Selbstbestimmung auf dem Altar der "politischen Korrektheit" (= zeitgeistige Bequemlichkeit) geopfert. Einmal mehr...

Lutz Barth 10.01.201410:52 Uhr

Müntefering offenbart einzig seine Gewissensentscheidung!

Mit Verlaub: Ohne hier despektierlich werden zu wollen, muss doch deutlich darauf hingewiesen werden, dass Franz Müntefering – sehen wir mal von seiner Gewissensentscheidung ab – sich auf einem gewaltigen Irrweg befindet, der weitaus gefährlicher erscheint, als die von ihm kritisierte Sterbehilfe.

Was sollen wir davon halten, wenn er meint: „Wer sich selber tötet, beschädige auch die Freiheit der Menschen um ihn herum. Zudem schlage er die Möglichkeit aus, mit ihnen in Solidarität und Nächstenliebe zusammenzuleben - bis zum Schluss, ganz bis zum Schluss.“

Ist dies wirklich ein starkes Statement von jemandem, der weiß, wovon er redet?

Ich habe da meine Zweifel, auch wenn es natürlich Müntefering gestattet ist, seine ureigene Gewissensentscheidung in diversen Medien zu verkünden, mag diese auch nicht von allen geteilt werden.
Problematisch ist, dass Franz Müntefering an der Oberfläche verharrt, wenn es um die verfassungsrechtliche Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts geht. Nur deshalb erscheint es ihm möglich, ggf. den Suizidenten dergestalt in die Pflicht nehmen zu wollen, in dem er ihn daran erinnert, dass er auch die Freiheit der Menschen um ihn herum beschädige und er sich der Möglichkeit begebe, mit diesen in Solidarität und Nächstenliebe bis ganz zum Schluss zusammenzuleben.

Eigentlich darf man/frau nach Jahrzehnten der Sterbehilfedebatte davon ausgehen, dass gerade diese Argumentationslinie entmythologisiert wurde und zwar mit Hinweis auf den hohen Rang des Selbstbestimmungsrechts.
Der schwersterkrankte und sterbende Mensch droht nach der Argumentation Münteferings für die Zwecke der Freiheit Anderer und dem zunächst unverdächtigen Gebot der (christlichen) Nächstenliebe instrumentalisiert zu werden. Es geht ausdrücklich in der Frage des frei verantwortlichen Suizids eines Schwersterkrankten um dessen Binnenperspektive und seine individuelle Freiheit – mithin also auch seiner Intention, frei von irgendwelchen Zwängen sich ggf. dazu entschließen zu können, seinem Leid zu entfliehen.

Es geht weder um die Heroisierung des Gedankens von einer schlichten Selbstbestimmung und noch weniger um eine solche der Nächstenliebe und der Verantwortung des sterbewilligen Schwersterkrankten für die „Freiheit“ seiner Mitmenschen resp. Familienangehhörigen und/oder sonstigen Verwandten.

Darf daran erinnert werden, dass diese Argumente, die im Kern auf eine Inpflichtnahme des Schwersterkrankten und Sterbenden hinauslaufen, so neu nun auch wieder nicht sind, nach dem bereits vor Jahren ein Ethiker ernsthaft meinte: „Es kann sein, dass es Personen gibt, deren Leben geglückt ist, die auch Sterben können, und die jetzt Sterben wollen, weil sie unter unerträglichem Schmerz leiden. Ich meine aber, dass sie auf die Wahrnehmung dieser Möglichkeit verzichten können, unter der Voraussetzung, dass alles getan wird, um bessere Schmerzmedikamente zu entwickeln, als es sie bisher gibt. Sie wissen, dass ohne ihr Leiden der Druck in Richtung einer besseren Schmerzmedizin geschmälert würde.“

Auch gegenwärtig wird immer mal wieder der Versuch gemacht, die Schwersterkrankten und Sterbenden für fremde (!) Zwecke, gepaart mit einem höchst seltsamen Verständnis von „Freiheit“, zu instrumentalisieren.

Trotz jahrzehnterlanger Debatten um das frei verantwortliche Sterben eines schwersterkrankten Menschen, der seinem individuellen Leid entfliehen möchte, sind insbesondere „Lebensschützer“ bemüht, einer weiteren Tabuisierung des Thema dergestalt Vorschub zu leisten, in dem nach wie vor ein Diskussionsbedarf reklamiert wird.

Es werden gleichsam „Horrorszenarien“ prognostiziert, in denen der demografische Wandel eine gewichtige Rolle spielt. Ganz ungeniert wird die These gestreut, das der Staat mit dem Verbot der kommerziellen Suizidbeihilfe die Mitwirkung am Suizid fördern will, denn es scheint nur allzu offenkundig, dass unsere Gesellschaft altert und das Gesundheitssystem kollab

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