Regierung wartet ab
Stillstand bei Delegation und Substitution
Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen war den Koalitionären zum Regierungsantritt ein wichtiges Thema. Eine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag zeigt nun: Die Regierung ist an dieser Stelle kaum aktiv.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Stärkung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe, die delegierte ärztliche Leistungen erbringen, ist eigentlich ein Anliegen der großen Koalition.
"Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistung sollen aufgelegt und evaluiert werden. Je nach Ergebnis werden sie in die Regelversorgung überführt", lautete die Absichtserklärung von Union und SPD dazu wörtlich im Koalitionsvertrag.
Zwei Jahre nach Aufnahme der Regierungsgeschäfte klingen die Äußerungen dazu zurückhaltender. Der Arztvorbehalt scheint nicht in Frage zu stehen.
"Die Vorgabe, dass in Deutschland Heilmittel nur auf ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen, soll Gesundheitsgefahren für die Patienten ausschließen", leitet Staatssekretär Lutz Stroppe (CDU) eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion der Linken ein.
Zudem sei die Bundesregierung der Auffassung, dass Heilmittelerbringer bereits umfänglich in die Versorgung eingebunden seien.
"Das Gesundheitsministerium setzt den Koalitionsvertrag nicht um", kommentierte Birgit Wöllert, Obfrau der Linken im Gesundheitsausschuss, die Antworten aus dem Gesundheitsministerium.
Vom im Koalitionsvertrag formulierten Willen, im Interesse einer möglichen Verbesserung der Versorgung der Patienten aktiv Modellvorhaben zur Erprobung der Substitution anzustoßen und zu evaluieren, sei in den Regierungsäußerungen nichts mehr zu bemerken.
Wirklich getan hat sich nichts
Wesentliche Vorarbeiten zur Stärkung der Delegation und einer möglichen Einführung der Substitution hatten bereits frühere Regierungen angestoßen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat im Oktober 2011 eine "Heilkunde-Übertragungsrichtlinie" beschlossen.
Die Richtlinie führt detailliert auf, wo Angehörige von Heilberufen selbstständig tätig werden könnten. Das Spektrum reicht von der Infusionstherapie, der Stomatherapie und dem Wechsel von Kanülen bis zur Wund- und Schmerztherapie und. Erfasst sind ebenfalls das Case-, Patienten- und Überleitungsmanagement sowie die Psychosoziale Versorgung.
Wirklich getan hat sich seither nichts. Es seien weder im Altenpflege- noch im Krankenpflegegesetz bislang Erprobungen nach Paragraf 63 Absatz 3c SGB V durchgeführt worden, berichtet Stroppe. Dem Ministerium liege ein Antrag aus dem Krankenpflegebereich vor, der derzeit geprüft werde.
Eine auch von Ärzteseite in Form der Delegation gewünschte Entlastung lässt also auf sich warten. Die Modellvorhaben können laut Gesetz bis zu acht Jahre dauern.
Die Erprobung von mehr therapeutischer Selbstständigkeit für Physiotherapeuten nach Paragraf 63b ist schon weiter. Dabei legen Physiotherapeuten nach einer ärztlichen Blankoverordnung die eigentliche Therapie eigenständig fest.
Zwischenbericht zeigt: Weniger Schmerzen bei Teilnehmern
Ein Modellvorhaben der Krankenkasse BIG mit dem Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) läuft seit 2011.
Ein 2013 von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft vorgelegter Zwischenbericht kommt zu dem Schluss, dass die im Projekt behandelten Patienten weniger Schmerzen, eine bessere Funktionssteigerung und eine Zunahme der gesundheitsbezogenen Lebensqualität auswiesen, als Patienten in einer Kontrollgruppe, die nach vom Arzt verordneten Vorgaben behandelt wurden.
Stroppe äußert sich zu diesem Zwischenbericht nicht, räumt aber ein, dass Studien in USA und Schottland bei Patienten mit Direktzugang zum Physiotherapeuten weniger Arzneimittelverordnungen, weniger Überweisungen und weniger Röntgendiagnostik festgestellt hätten als bei Patienten mit Erstkontakt zu einem Arzt.
In den Niederlanden habe sich gezeigt, dass Patienten, die direkt zum Therapeuten gingen jünger und gebildeter waren. Auch das könne diese Effekte ausgelöst haben.
Ein eindeutiges Votum zeigte sich bei der Leserumfrage der "Ärzte Zeitung" im April dieses Jahre. 75 Prozent der mehr als 4000 Teilnehmer sprachen sich für einen Direktzugang von Patienten zum Physiotherapeuten aus.