Urteil zur Sterbehilfe
Verfassungsrichter normieren „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“
Das Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung ist verfassungswidrig. Staat und Gesellschaft müssten die Entscheidung Sterben zu wollen „als Akt autonomer Selbstbestimmung“ respektieren, so das Bundesverfassungsgericht.
Veröffentlicht:Karlsruhe. Das Grundgesetz gewährleistet ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Das hat am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Es verwarf das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung als verfassungswidrig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließe „die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“. Durch Strafnorm werde aber „ die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert“.
Der Gesetzgeber dürfe die Suizidhilfe aber regulieren. Für Ärzte und Apotheker erfordere das Urteil „eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts“. Auch im Betäubungsmittelrecht könnten Anpassungen notwendig werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Strafvorschrift aber für „nichtig“, sprich: sie gilt als nicht geschrieben. Gleichzeitig stellten die Karlsruher Richter klar, „dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf“.
Akt autonomer Selbstbestimmung
Insgesamt entwarf das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsordnung, „die den Menschen als eine zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person begreift“. Dies setze voraus, „dass der Mensch über sich nach eigenen Maßstäben verfügen kann und nicht in Lebensformen gedrängt wird, die in unauflösbarem Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen“.
Nach Überzeugung der Karlsruher Richter muss dies auch für die Entscheidung über den eigenen Tod gelten. Auch diese unterliege „höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen“. Daher dürften die Menschen auch hier „nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen“ verwiesen werden. Staat und Gesellschaft müssten die Entscheidung „als Akt autonomer Selbstbestimmung“ respektieren.
Unzulässige Einschränkung
Um die Entscheidung für eine Selbsttötung umzusetzen, seien Menschen aber auf die Hilfe Anderer angewiesen. Auch dies sei daher vom Recht auf Selbsttötung umfasst. Das Verbot der „geschäftsmäßigen“, also wiederholten Suizidhilfe schränke daher das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ unzulässig ein, obwohl es die Selbsttötung gar nicht verbietet. Indirekt seien auch die Grundrechte der Ärzte und Verbände verletzt.
Die nach der Verbotsvorschrift verbliebene Möglichkeit der Suizidhilfe im Einzelfall reiche nicht aus. Insbesondere Ärzte seien unter den derzeitigen Bedingungen dazu kaum bereit. Selbsttötungen zu erschweren, sei auch ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht räumte aber ein, dass der Gesetzgeber damit „legitime Zwecke“ verfolgte, insbesondere den Schutz menschlichen Lebens. Bislang sei offenbar nicht immer ausreichend geprüft worden, „ob ein Suizidwunsch auf einen freien Willen zurückgeht“. Auch eine ärztliche Untersuchung und Beratung sei nicht immer gewährleistet gewesen. Nicht von der Hand zu weisen sei auch die Sorge vor einem gesellschaftlichen Druck, ein vermeintlich unnützes, für die Gesellschaft lästiges und teueres Leben zu beenden.
Als Reaktion darauf sei das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe aber „nicht angemessen“, urteilte das Bundesverfassungsgericht. „Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird.“
„Gesetzgeber bleibt breites Spektrum an Möglichkeiten“
Ein gutes palliativmedizinisches Angebot könne die Häufigkeit von Suizidwünschen sicherlich deutlich verringern. Das Sterbehilfe-Verbot sei dadurch aber nicht gerechtfertigt. Seiner „sozialpolitischen Verpflichtung darf der Gesetzgeber sich aber nicht dadurch entziehen, dass er das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung außer Kraft setzt“.Dem Gesetzgeber verbleibe „ein breites Spektrum an Möglichkeiten“, den Lebensschutz ohne Verbot zu verwirklichen. So könne er Aufklärungs- und Wartepflichten festsetzen und die Hilfen von Vereinen von einer Erlaubnis und Kontrolle abhängig machen. Insgesamt dürften solche Maßnahmen das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ aber nicht untergraben, forderten die Karlsruher Richter.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Az.: 2 BvR 2347/15 und weitere