Kleinkind-Impfungen
TK-Chef Baas: Eltern sind keine „fanatischen Impfgegner“
Die Hälfte der Kinder in Deutschland wird in den ersten beiden Lebensjahren komplett durchgeimpft, berichtet die Techniker Krankenkasse. Einen Corona-Effekt verzeichnet die Kasse bei Arzneiverordnungen für Kinder.
Veröffentlicht:Berlin. Rund die Hälfte der Kleinkinder (48,4 Prozent) erhält bereits in den ersten beiden Lebensjahren alle 13 der in diesem Alter von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen. Lediglich 3,2 Prozent seien gar nicht geimpft.
Das geht aus dem aktuellen Report „Kinder und Arzneimittel“ der Techniker Krankenkasse (TK) hervor.
Das sei eine „schöne Größenordnung“, kommentierte TK-Chef Dr. Jens Baas das Ergebnis bei der virtuellen Pressekonferenz am Mittwoch. Die geringe Zahl der komplett ungeimpften Kinder weise darauf hin, dass es wenige „fanatische Impfgegner“ unter den Eltern gebe.
Zweit- und Auffrischungsimpfungen allerdings würden bei vielen vergessen oder übersehen. Dies biete hinreichend Gründe, ein „klügeres Impfmanagement“ zu implementieren. Digitalisierung könne dabei helfen. Gängige Impfquotenziele erreicht Deutschland aktuell nicht.
Impfpflicht gegen Masern wirkt
Ins Auge fällt die Entwicklung bei den Masernimpfungen. Waren von den 2016 geborenen Kindern noch 7,3 Prozent bis zum zweiten Geburtstag nicht gegen Masern geimpft, finden sich bei den 2018 geborenen Kindern nur noch 5,8 Prozent und von den im ersten Halbjahr 2019 Geborenen nur noch 4,7 Prozent nicht gegen Masern geimpfte Kinder (siehe nachfolgende Grafik).
„Hier könnte die seit März 2020 geltende Impfpflicht für Kindergarten- und Schulkinder bereits eine Rolle spielen“, sagte Jens Baas. Ähnlich entwickelt haben sich wegen der Kombination mit Masern die Impfquoten gegen Mumps und Röteln.
Corona-Effekt bei Verordnungen
Die am Mittwoch vorgestellten Daten zeigen einen deutlichen Corona-Effekt. So seien den von der TK versicherten Kindern im ersten Pandemiejahr 2020 insgesamt 40 Prozent weniger Arzneimittelpackungen verschrieben worden.
Dies betraf die am häufigsten verordneten Wirkstoffe wie Ibuprofen und Paracetamol, Präparate gegen Erkältungen wie Xylometazolin, Ambroxol und Efeublätter sowie Colecalciferol zum Knochenaufbau.
„Ein drastischer Rückgang“, kommentierte Tim Steimle, Leiter des Fachbereichs Arzneimittel der TK, die Entwicklung. Bekamen vor der Pandemie noch 45 Prozent der Kinder mindestens eine Verordnung über Schmerz- und Fiebermittel im Jahr waren es im ersten Pandemiejahr nur 29 Prozent. Im gleichen Zeitraum habe sich ein „Trend weg vom Arzt, hin zur Apotheke“ ausmachen lassen, sagte Steimle.
Trend weg von der Arztpraxis
Die Vertreter der TK mahnten bei der Vorstellung des Reports zu Vorsicht bei der Einnahme von freiverkäuflichen Schmerzmitteln oder Nasensprays.
„Wir wissen aus Studien, dass Medikationsfehler bei Kindern viel häufiger vorkommen als bei Erwachsenen, etwa in Form von Unter- und Überdosierungen“, sagte Professorin Antje Neubert, Leiterin der Zentrale für klinische Studien in der Pädiatrie am Universitätsklinikum Erlangen. „Halbes Gewicht ist nicht gleich halbe Dosis“, betonte die Wissenschaftlerin.
Um die Sicherheit der Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern zu verbessern, bedürfe es mehr Studien bei Innovationen und tiefer gehenden Analysen im Bestandsmarkt, sagte Neubert. Die stießen allerdings auf zahlreiche Hürden: Die Patientenpopulationen seien oft klein. Die Eltern müssten überzeugt werden und der Zeitaufwand sei immens.
„Für die pharmazeutischen Unternehmer ist das oft nicht lukrativ“, betonte die Wissenschaftlerin. Ärzten mehr Versorgungssicherheit könne die aus einem Innovationsfondsprojekt hervorgegangene Webseite „kinderformularium.de“ bieten, sagte Neubert. (af)