Pandemieschutzgesetz II

Teichert: „Der ÖGD wird nicht nachhaltig gestärkt“

In Corona-Zeiten rückt der Öffentliche Gesundheitsdienst ins Rampenlicht. Nützt den Gesundheitsämtern diese ungewohnte Aufmerksamkeit? Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), ist bislang skeptisch.

Von Florian Staeck Veröffentlicht:
Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Berlin-Mitte mit Gesichtsschutzschirm telefonieren im Lagezentrum des Gesundheitsamts (Archivbild vom 27. April 2020).

Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Berlin-Mitte mit Gesichtsschutzschirm telefonieren im Lagezentrum des Gesundheitsamts (Archivbild vom 27. April 2020).

© Britta Pedersen / dpa

Ärzte Zeitung: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich im Entwurf für das zweite Pandemiegesetz, das der Bundestag am Donnerstag berät, die Stärkung des ÖGD auf die Fahnen geschrieben. Ist das ein richtiger Schritt oder nur Flickwerk?

Dr. Ute Teichert: Der Öffentliche Gesundheitsdienst wird durch dieses geplante Gesetz zwar kurzfristig unterstützt, aber nicht nachhaltig gestärkt. Im Entwurf ist davon die Rede, dass fünf Stellen je 20.000 Einwohner geschaffen werden sollen, die im Rahmen der Pandemie Kontaktpersonen von Infizierten nachverfolgen sollen.

Weder wird dort angegeben, für wie lange diese Stellen geschaffen werden, noch wird die Qualifikation dieser künftigen Mitarbeiter benannt. Außerdem sollen zusätzliche Stellen beim Robert Koch-Institut (RKI) zur Unterstützung der Gesundheitsämter geschaffen und die Digitalisierung in den Ämtern finanziell gefördert werden.
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Wie kommt das Bundesgesundheitsministerium auf die Zahl von fünf Stellen pro 20.000 Einwohner?

Gute Frage. Es gibt schlicht keine bundesweite Statistik darüber, wie viele Mitarbeiter überhaupt in den Gesundheitsämtern arbeiten. Das beklagen auch die Bundesländer seit Jahren. Uns fehlen bundesweite Vorgaben oder Bemessungszahlen, wie viele Mitarbeiter es pro 1000 Einwohner geben sollte.

Nur einzelne Länder wie Niedersachsen und Berlin sind hier aktiv. Immerhin erfasst die Bundesärztekammer seit 2011 die im ÖGD beschäftigten Ärztinnen und Ärzte.

Dr. Ute Teichert ist Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Dr. Ute Teichert ist Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

© BVÖGD

Im Moment steht der ÖGD im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Allerdings dreht sich fast alles um die hoheitlichen Aufgaben der Gesundheitsämter in Sachen Infektionsschutz. Von allen anderen gesellschaftlichen Aufgaben im Gesundheitsschutz, denen Ihre Kollegen im Alltagsgeschäft nachgehen, erfährt man nichts...

Ja, das ist leider so. Ich bin Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen. Ich kenne aus über 20-jähriger Erfahrung keinen anderen Bereich in der Medizin, der so vielfältig ist, weil wir alle Altersgruppen in den Blick nehmen und als Querschnittsfach disziplinübergreifend in multiprofessionellen Teams arbeiten.

2018 hat die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ein Leitbild für einen modernen ÖGD formuliert – verbunden mit einem umfangreichen Forderungskatalog. Was ist seitdem passiert?

In der Praxis leider wenig bis nichts. Gefordert wurde von der GMK seinerzeit für den ÖGD „breite Unterstützung von der Kommune bis zum Bund“. Nun hat der Bund die Probleme aus meiner Sicht zwar erkannt. Auch einige Bundesländer setzen sich für den ÖGD ein, doch gerade von den kommunalen Spitzenverbänden höre ich in der Pandemie bislang so gut wie nichts.

Die Kommunen sind im Tarifvertragsgeschäft schwierige Partner und verweigern den in den Gesundheitsämtern tätigen Ärzten seit Jahren eine konkurrenzfähige Vergütung.

Haben Sie Daten darüber, wie Medizinstudierende den ÖGD sehen?

Ja, wir wollten dazu ursprünglich beim Kongress des BVÖGD im April Zahlen einer Umfrage vorstellen. Demnach sind die Vorstellungen vieler Medizinstudierender über den ÖGD rudimentär. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es zwar eine Facharztbezeichnung für das Öffentliche Gesundheitswesen gibt, dieses Fach aber nicht an den Medizinfakultäten verankert ist.

„Öffentliche Gesundheit“ findet in der Ausbildung praktisch nicht statt oder ist vom Engagement Einzelner abhängig. Wir überlegen derzeit, ob wir – wenn dafür mal wieder Zeit ist – eine weitere „Nach-Corona“-Befragung unter Studierenden machen.

Dr. Ute Teichert

Dr. Ute Teichert, MPH, ist Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD).

Frau Teichert, Jahrgang 1962, hat in Bonn Humanmedizin studiert und an der Universität Düsseldorf den Zusatzstudiengang „Gesundheitswissenschaften und Sozialmedizin“ absolviert.

Seit 1992 ist sie im ÖGD tätig. Zudem leitet sie seit 2014 die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf .

Haben Sie Hoffnung, dass sich in der Wahrnehmung des ÖGD etwas geändert hat?

Ja, durchaus. Wir haben im Zuge der Pandemie die Freiwilligenbörse „Medis4ÖGD“ gegründet, bei der sich Medizinstudierende melden können, die in Gesundheitsämtern mitarbeiten möchten. Die Rückmeldungen, die wir von den angehenden Ärztinnen und Ärzten erhalten, sind hervorragend. Wir haben angefangen, mit Medizinstudierenden Podcasts zu machen, die über ihre Erfahrungen im ÖGD berichten.

Wie in einem Brennglas zeigen sich anlässlich der Pandemie die Probleme des deutschen Gesundheitswesens bei Digitalisierung und Vernetzung. Wie sieht das in den Gesundheitsämtern aus?

Ausbaufähig. Im 10-Punkte-Plan des Bundesgesundheitsministeriums ist vorgesehen, das 100.000 bis 150.000 Euro je Gesundheitsamt für das geplante neue Meldesystem DEMIS vorgesehen sind. Das sind aber Investitionen, die ohnehin anstehen. Viel dringender bräuchten wir moderne Kommunikationssysteme wie etwa ein geschütztes Videokonferenzsystem, das einen Austausch von Gesundheitsämtern auch über Ländergrenzen hinweg erlauben würde. Das geht bislang nicht in einem geschützten Raum.

Wie viel „Handarbeit“ machen Ihre Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der Pandemie?

Uns fehlen die Schnittstellen für die Kommunikation mit dem Robert Koch-Institut. Wenn uns eine Meldung etwa von einer Arztpraxis – meistens per Fax – erreicht, dann müssen diese Informationen händisch ins Meldesystem eingegeben werden. Die Kollegen basteln zur Kontaktverfolgung von infizierten COVID-Patienten Excel-Tabellen oder erstellen eigene Programme, doch auch die sind noch nicht kompatibel mit dem RKI.

Dabei gäbe es beim Helmholtz-Institut für Infektionsforschung die Software SORMAS (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System), die hervorragend zu unseren Anforderungen passen würde. Doch die Vorgabe von Schnittstellen müsste von der Bundesebene kommen.

Nun legt der Bundesgesundheitsminister doch mit seinen Digitalisierungsgesetzen ein hohes Tempo vor….

...und lässt den ÖGD dabei weitgehend außen vor. Nehmen Sie das Patientendatenschutz-Gesetz: Dort ist genau geregelt, wer Zugriff auf die künftige Patientenakte haben soll. Viele auch nicht-ärztliche Berufsgruppen sind dort aufgeführt, nur Ärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen sollen lediglich sehr selektiv auf die Informationen zugreifen können – der ÖGD droht, von der Telematikinfrastruktur abgekoppelt zu werden.

In Feierstunden ist gern vom ÖGD als „dritter Säule“ die Rede. Kann die Pandemie ein Katalysator sein, um diesem Ziel näher zu kommen?

Unbedingt. Dafür brauchen wir erstens ein Personalstärkungsprogramm wie beispielsweise in der Krankenhaushygiene, wo zeitlich begrenzt Mittel für die Schaffung von Stellen bereitgestellt wurden. Denn in den nächsten fünf Jahren geht mehr als ein Drittel der ärztlichen Kollegen im ÖGD in den Ruhestand.

Wir brauchen zweitens eine Vergütung, die Ärzte im ÖGD nicht zu Kollegen zweiter Klasse macht. Klatschen für verschiedene Berufsgruppen, die in der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen, reicht nicht. Wertschätzung muss sich konkret äußern.

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