Evangelische Kirche

Theologen fordern: Kirche soll sich Suizidassistenz nicht verschließen

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidassistenz gärt das Thema in der evangelischen Kirche. Drei Theologen plädieren für die Begleitung von Sterbewilligen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidassistenz ringen die Kirchen um einen Umgang mit den durch das Urteil aufgeworfenen Fragen.

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidassistenz ringen die Kirchen um einen Umgang mit den durch das Urteil aufgeworfenen Fragen.

© [M] nmann77 / stock.adobe.com

Berlin. In der Evangelischen Kirche wird weiter um eine Position zum assistierten Suizid gerungen. Zwei Theologen und der Präsident der Diakonie haben sich in einem Beitrag in der „FAZ“ am Montag dafür ausgesprochen, Sterbewilligen Unterstützung und Begleitung auch dann zu gewähren, wenn sie sich für den assistierten Suizid entscheiden.

Das Alleinlassen dieser Menschen „scheint uns keine Alternative zu sein“, heißt es in dem Beitrag von Reiner Anselm (Ludwigs-Maximilian Universität München), Isolde Karle (Universität Bochum) und dem Diakonie-Präsidenten Ulrich Lilie. Darin weisen sie auch Kritik aus den Reihen der Kirchen am Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 zurück.

Der „Reflex“, im Urteil eine „Überhöhung des Freitodes als einzig verbliebener Freiheit im Zeitalter der technisierten Massengesellschaft“ zu sehen, gehe fehl, schreiben die Autoren. Denn diese Kritik verkenne „die Sonderstellung einer solchen höchstpersönlichen Entscheidung am Lebensende“.

Hervorgehobene Rolle von Ärzten

Bei der Beurteilung, ob der Sterbewunsch freiverantwortlich getroffen wurde, komme Ärzten eine „hervorgehobene Rolle“ dann zu, wenn der Wunsch Folge einer – behandelbaren – psychischen Erkrankung ist.

Schwieriger sei dagegen die Abgrenzung dann, wenn die Freiverantwortlichkeit durch tatsächliche oder empfundene Verpflichtungen aus dem sozialen Umfeld des Sterbewilligen resultieren. Hier liege eine große Chance für die Seelsorge, denn seelsorgerliches Handeln genieße „zumindest noch das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung“, heißt es.

Dieses Vertrauen dürfe nicht durch vorschnelle Parteinahme beschädigt werden, etwa dadurch, „dass von kirchlich-diakonischer Seite der assistierte Suizid als unvereinbar mit christlichen Glauben gebrandmarkt wird“. Die drei Autoren mahnen eine „Haltung der Neutralität“ an –weder gehe es darum, das mit der Situation verbundene Leid zu verklären, „noch den Einzelnen die Fähigkeit einer eigenverantwortlichen Entscheidung abzusprechen“.

Zugang zur Suizidhilfe wird mit Beratungspflicht verknüpft

Die Zugänglichkeit zu einem „professionellen“ Suizid müsse aber mit der Verpflichtung für den Sterbewilligen flankiert werden, sich von einer anerkannten Stelle beraten zu lassen. Insoweit – formulieren die Autoren vorsichtig – „könnte es eine Aufgabe kirchlich-diakonischer Einrichtungen sein, „neben einer bestmöglichen medizinischen und pflegerischen Versorgung auch bestmögliche Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen“.

Die Autoren regen an, inwieweit Gemeindepfarrern bei der Begleitung Sterbewilliger eine besondere Rolle zukommen sollte. Von ihnen könne man am ehesten erwarten, dass es ihnen gelingt, Sterbewilligen den möglicherweise vorhandenen Druck aus dem sozialen Umfeld zu nehmen: So verstandene Seelsorge sei „weder Komplize noch Moralagentur“.

Keine von Ärzten erwartete Leistung

Die Herausforderung bestehe darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Betroffene individuelle Unterstützungsangebote auch für den Suizid vorfinden, „ohne dass eine Normalisierung eintritt und der assistierte Suizid eine gesellschaftlich von Ärztinnen und Ärzten selbstverständlich erwartete Leistung wird“.

Im vergangenen Juni hatte die EKD auf Aufforderung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Frage eines Schutzkonzepts Stellung genommen, das vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil angeregt worden war. Die Stellungnahme setzte sich kritisch mit dem Tenor der Karlsruher Richter auseinander, blieb aber vage im Hinblick auf den konkreten Umgang mit Suizidwilligen.

Aufgabe des Gesetzgebers könne es nicht sein, so die EKD in dem Papier vom Juni 2020, einen „Kriterienkatalog“ aufzustellen, durch den dann Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Suizidwunschs beurteilt werden. Die drei Autoren gehen in ihrem Beitrag nun weit über diesen Minimalkonsens der EKD hinaus.

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Kommentare
Claus F. Dieterle 12.01.202114:57 Uhr

Der Professor für Systematische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) in Gießen, Christoph Raedel, kritisierte gegenüber idea den Verzicht auf eine tragfähige theologische Begründung, an deren Stelle der Verweis auf die Selbstbestimmung des Menschen getreten sei. Verzweiflung, Angstzustände und der Wunsch, anderen nicht zur Last zu fallen, böten keine Grundlage für ein selbstbestimmtes Sterben.

Raedel befürchtet, dass langfristig der Druck auf Ärzte und Pflegepersonal zunehmen wird, an der Suizidbeihilfe mitwirken zu müssen. Darauf deute jedenfalls die Aussage hin, dass sich kirchliche Einrichtungen dem Wunsch einer Person nicht verweigern dürften, die ihrem Leben mit ärztliche Hilfe ein Ende setzen will. Im Selbstverständnis kirchlicher Einrichtungen rücke damit der Sterbewunsch von Menschen vor das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer und Erhalter des Lebens.

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