Gynäkologie
"Versorgungssituation für Migrantinnen ist eine Katastrophe"
Viele Migrantinnen fallen bei der gynäkologischen Vorsorge durchs Raster. Sie kommen erst zum Arzt, wenn sie Schmerzen haben - und dann ist es mitunter zu spät. Wie können sie besser erreicht werden?
Veröffentlicht:HANNOVER. Bei der gynäkologischen Vorsorge und bei Brustkrebs "ist die Versorgungssituation für Migrantinnen eine ziemliche Katastrophe". Das sagt Ramazan Salman, Geschäftsführer und Gründer des ethno-medizinischen Zentrums in Hannover zur "Ärzte Zeitung".
"Oft kommen die Frauen aus der Türkei oder aus den arabischen Ländern erst dann zum Arzt, wenn sie Schmerzen haben. Und dann erleben sie unter Umständen einen sehr gefährlichen Krankheitsverlauf."
Zum Beispiel Niedersachsen. "Hier lebt die größte Jesidische Cummunity außerhalb des Iraks", erklärt Salman. "Ist doch klar, dass diese Menschen derzeit größere Sorgen haben, als Brustkrebsfrüherkennung: Leben die Verwandten noch? Steht unser Dorf noch?
Viele leben in ständiger Angst und haben so gar keine Zeit, sich um ihre Schwangerschaftsuntersuchungen zu kümmern."
Unterschiedliche Auffassungen von Gesundheit
Allerdings sind Migrantinnen natürlich nicht gleich Migrantinnen, so Salman. Frauen aus Arabien, aus der Türkei und manchen Regionen Russlands sind auch in ihrer Auffassung von Gesundheit, von Geburt oder Vorsorge sehr unterschiedlich.
So steht zum Beispiel der Iran beim Anteil von Kaiserschnitten an den Geburten weltweit an der ersten Stelle, sagt Salman, die Türkei an fünfter Stelle. "Medizinanthropologen deuten das so, dass in Gesellschaften, in denen Frauen relativ viel Gewalt erleben, wenigstens die Geburt schmerzlos sein soll", erklärt Salman.
Russische Frauen hingegen ignorieren oft Verhütungsmöglichkeiten. "Die weltweit gebildetsten Migrantinnen sind russische Jüdinnen", berichtet Salman.
"Praktisch alle sind Akademikerinnen. Aber sie wissen relativ wenig über Verhütungspraktiken. Zugleich ist nirgendwo die Bereitschaft höher, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, als in dieser Gruppe von Frauen."
Aber nicht nur die mitgebrachte Kultur und die unterschiedlichen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit beeinflussen die Versorgung. Auch das Versorgungssystem selbst müsse laut Salman mehr Rücksicht nehmen auf die besonderen Bedarfe der Migrantinnen.
"Bedauerlicherweise profitieren Migranten zu wenig von den Möglichkeiten der Gesundheitsversorgung in Deutschland, obwohl unser System zu den besten in der Welt zählt", sagt Salman.
Die Zeit ist reif für Dolmetscher
Allein die Sprachbarriere verhindere oft eine gute Versorgung. Missverständnisse können weitreichende Folgen habe. So sei eine Türkin zweimal in Deutschland wegen Schmerzen unter den Achseln zum Arzt gegangen - ohne Befund. Erst ein Arzt in der Türkei habe Brustkrebs diagnostiziert.
Es sei längst an der Zeit, flächendeckend Dolmetscherdienste anzubieten. "In Schweden sagt man, dass Migranten ein Recht darauf haben, verstanden zu werden", so Salman. In Deutschland sei diese Haltung immer noch unterentwickelt.
Bei einem Podium im Kanzleramt zur Migrantengesundheit hätten Vertreter der Krankenhausgesellschaft argumentiert, "dass sie mit Dolmetscherdiensten in der Klinik nicht verhindern wollen, dass die Migranten Deutsch lernen" empört sich Salman.
"Mancher benimmt sich, als ob die Migranten keine Krankenversicherung zahlen würden."
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