Corona-Beschränkungen

Wann kommt der Einstieg in den Ausstieg?

Noch sei es zu früh für eine Exit-Strategie aus dem weitgehenden Corona-Stillstand, mahnt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber an den Plänen wird offenbar fleißig im Hintergrund gearbeitet.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht: | aktualisiert:
Blick auf Sony-Center und Bahn-Tower an der Potsdamer Straße: Wegen des Coronavirus steht das  öffentliche Leben derzeit still.

Blick auf Sony-Center und Bahn-Tower an der Potsdamer Straße: Wegen des Coronavirus steht das öffentliche Leben derzeit still.

© picture alliance / POP-EYE

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat weitere Schritte zur Beschaffung der dringend benötigten Schutzmaterialien in Arztpraxen und Krankenhäusern zur Bewältigung der Coronavirus-Pandemie angekündigt. „Hier sind wir vorangekommen, aber noch nicht so, wie wir es uns wünschen“, sagte Merkel am Montagnachmittag vor Journalisten in Berlin.

„Das heißt, wir müssen hart arbeiten, damit Krankenhäuser, Ärzte, Pflege- und Behinderteneinrichtungen wirklich ausreichend und nicht von Tag zu Tag lebend mit den entsprechenden Schutzgütern ausgestattet sind“, sagte Merkel. Ausdrücklich begrüßte sie den Beschluss des Corona-Kabinetts, Schutzausrüstung wie Masken verstärkt in Deutschland zu produzieren.

Eine Lehre aus der Corona-Krise sei, dass Deutschland hier „eine gewisse Souveränität“ entwickeln müsse. „Auf jeden Fall brauchen wir hier Fähigkeiten“, machte Merkel deutlich. Das Gros der Schutzprodukte wird derzeit in China hergestellt.

Die Diskussion über eine Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nase-Masken in der Öffentlichkeit verfolge sie sehr genau, sagte Merkel. „Ich verfolge die Diskussion in der Fachwelt sehr aufmerksam.“

Ein unsachgemäßer Gebrauch der Masken könne jedoch noch fatalere Folgen haben als eine entsprechende Verpflichtung nicht auszusprechen. Man werde das Thema bei der nächsten Runde des Corona-Kabinetts am Donnerstag noch einmal erörtern.

Ullmann: „Waren nicht ausreichend vorbereitet“

Der Obmann der FDP-Fraktion im Bundestags-Gesundheitsausschuss, Professor Andrew Ullmann, sagte der „Ärzte Zeitung“ am Montag: „Wir waren auf die COVID-19 Pandemie nicht ausreichend vorbereitet. Es gibt zwar Pandemiepläne, aber die lagen tief vergraben in den Schubläden und wurden nicht gelebt.“

Die Regierungen in Bund und Ländern dürften jetzt nicht auch noch die Vorbereitung des Ausstiegs aus der Krise „verschlafen“. Die Diskussion über eine Exit-Strategie müsse jetzt angestoßen werden. „Wir dürfen uns aber auch keine falschen Hoffnungen machen. Denn eine Normalität, wie wir sie vor der Krise kannten, wird sich trotz Exit-Strategie noch lange nicht einstellen“, betonte Ullmann.

Merkel machte den Zeitpunkt für den Ausstieg aus den Beschränkungen von der Geschwindigkeit der Ausbreitung des Virus abhängig. „Wir wären ja eine schlechte Bundesregierung, wenn wir nicht Tag und Nacht darüber nachdenken würden“, betonte die Kanzlerin am Montag in Berlin. Die Regierung würde aber auch fahrlässig handeln, „wenn wir jetzt schon ein Datum nennen würden“.

Gesundheitsschutz steht im Vordergrund

Sie sei dankbar, dass die überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland „die sehr, sehr harten Regeln“ im öffentlichen Umgang trotz schönen Wetters einhielten, sagte Merkel. Die Bürger machten es damit auch Ärzten und Pflegekräften leichter, in der aktuellen Pandemie ihren Job machen zu können.

Kriterien für einen Einstieg in den Ausstieg seien der Reproduktionswert, die Zahl der Neuinfektionen und die Anzahl der bereits genesenen Patienten. „Wir sehen, dass wir einen Schritt vorangekommen sind.“ Aber Entwarnung könne man noch nicht geben. Bis zum 19. April blieben die von Bund und Länder beschlossenen Maßnahmen auf jeden Fall bestehen.

Bei der Frage des Wiederhochfahrens des öffentlichen Lebens stehe der „Gesundheitsschutz immer im Vordergrund“ und keine wirtschaftlichen Überlegungen. „Die Frage, wie es weitergeht, steht auf jeden Fall unter der Überschrift, wir leben in der Pandemie. Das Virus wird nicht verschwunden sein“, so die Bundeskanzlerin.

Wenn der R-Null-Wert unter eins rutscht

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Professor Lothar H. Wieler, hatte mit Blick auf die Corona-Beschränkungen zuletzt davon gesprochen, dass diese allmählich zu wirken begännen. Derzeit stecke ein Infizierter im Schnitt einen anderen Menschen an – dieser sogenannte R-Null-Wert habe vor ein paar Wochen noch bei sechs oder sieben gelegen.

Ziel müsse sein, den Wert unter eins zu drücken. Dass alles – Betriebe, Schulen, Kitas, Restaurants, Läden und so weiter – auf einmal hochgefahren werde, halte er aber für unrealistisch, so Wieler.

Auch das Zentralinstitut der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland (Zi) hatte sich sich vorsichtig optimistisch geäußert. Schulschließungen und Kontakteinschränkungen zeigten „erste Wirkung“. Freilich: „Ein Grund zur Entwarnung besteht nicht“, sagte Zi-Chef Dr. Dominik von Stillfried.

Derweil kursiert laut Medienberichten aktuell ein Konzeptpapier des Innenministeriums, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegen soll. Danach sollen zunächst der Einzelhandel, Restaurants und in bestimmten Regionen Schulen wiedereröffnet werden. Großveranstaltungen und Privatfeiern sollen den Berichten zufolge aber vorerst untersagt bleiben.

Szenarien für den Exit

Merkel betonte, sie wisse, dass bereits Szenarien für den Exit durchgespielt würden. Diese beobachte man sehr genau. „Welche Schlüsse wir daraus ziehen, können wir heute aber noch nicht sagen. Aber nachdenken tun wir.“ Auf jeden Fall werde es einen „schrittweisen“ Ausstieg geben.

Ein Kriterium dürfe dabei nicht nur die Zahl der Infektionen sein, haben Deutschlands Krankenhaushygieniker (DGKH) betont. Ausschlaggebend sei auch die Frage, wie beansprucht die Intensivkapazitäten und wie viele Todesfälle infolge von SARS-CoV-2 zu beklagen seien, so DGKH-Chef Professor Martin Exner.

Lauter wird der Ruf nach einer Exit-Strategie bei den Unternehmen. In einem „Zwölf-Punkte-Plan“ hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) dargelegt, wie ein Ausstieg „mit Augenmaß“ gelingen könnte. Mindestens fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung seien 2020 bereits verloren, betonen die Autoren des Papiers, IW-Direktor Professor Michael Hüther und IW-Geschäftsführer Dr. Hubertus Bardt.

Erster Schritt: Medizinische Grundversorgung sicherstellen

Ein Exit kann laut IW nur beginnen, wenn die medizinische Grundversorgung gewährleistet ist. „Die großflächige Erhöhung von Test- und Behandlungskapazitäten (Test-Kits und Laborkapazitäten, Tracing-Software, medizinischer Sauerstoff, Beatmungsgeräte, Intensivbetten, Personal) ermöglicht einen schnelleren Exit aus dem Lockdown und ist daher ein notwendiger erster Schritt zur wirtschaftlichen Normalisierung.“

Als nächste Stufe sei die Grundversorgung in der Kinderbetreuung und der Infrastruktur wiederherzustellen bzw. auszuweiten: Schulen und Kindergärten müssten wieder öffnen und die Verkehrskapazitäten im ÖPNV erhöht werden. Nur dann könnten Eltern arbeiten und Kinder optimal gefördert werden, so IW-Chef Hüther.

Mit einer hohen Taktung bei Bussen und Bahnen kämen die Menschen zur Arbeit und hätten genug Platz, „um sich nicht unnötig in gesundheitliche Gefahr zu bringen“.

Öffentliche Verwaltung, Handel sowie Dienstleistungsanbieter sollten ebenfalls schnell wieder hochfahren, dasselbe gelte für die Industrieproduktion. Der Staat müsse sich zudem beim Nachfordern von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und der Rückzahlung von Überbrückungskrediten großzügig zeigen.

Zu empfehlen sei ein „fiskalischer Startschuss“ für den „Neuanfang nach Corona“. Die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags könne ein solches Signal sein.

Längere soziale Isolation für Risikogruppen

Eine 14-köpfige Gruppe aus Ökonomen, Ärzten, Medizinethikern, Sozialpsychologen und Juristen, darunter der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Professor Clemens Fuest, gelangt zu einer ähnlichen Einschätzung. Die Rückkehr zur Normalität könne aller Wahrscheinlichkeit nach nur langfristig erreicht werden, betonen auch sie.

Konkret schlagen sie vor, Bereiche mit niedriger Infektionsgefahr wie hochautomatisierte Fabriken zuerst wieder anlaufen zu lassen. Hohe Priorität genieße auch die Steigerung der Produktion von Schutzkleidung sowie die Sicherung von Produktionskapazität für Impfstoffe und Medikamente.

Um die Wirtschaft schrittweise wieder zum Laufen zu bringen, müssten zuvor Kitas und Schulen wieder geöffnet werden. Dafür spreche auch, dass junge Menschen weniger gefährdet seien, schwerwiegend an Covid-19 zu erkranken. Menschen, deren Erkrankungsrisiko auf Grund ihres Alters oder wegen Vorerkrankungen besonders hoch ist, müssten dagegen länger isoliert bleiben. Für sie müsse es aber auch erweiterte Hilfen geben.

Exit ja oder nein? Die Politik zaudert noch

Die Politik reagiert auf die Exit-Ideen bislang noch zurückhaltend. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) etwa warnte im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Sonntag, Bund und Länder seien sich einig, „dass wir die Kontaktbeschränkungen beibehalten müssen und deshalb keine falschen Signale senden dürfen“. Ähnlich hatte sich zuvor auch Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) geäußert.

Unterdessen kündigte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz am Montag an, die öffentlichen Einschränkungen im Land sollten nach Ostern Schritt für Schritt wieder aufgehoben werden.

EU vor „größter Bewährungsprobe“ seit Bestehen

Die Europäische Union (EU) stehe vor einer der „größten Bewährungsprobe“ in ihrer Geschichte, sagte Merkel. Die Corona-Krise treffe alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen. Daher müssten alle auch einen gemeinsamen Weg aus der Krise finden, betonte Merkel.

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