Betrugsvorwürfe in der Pflege

Waren auch Ärzte beteiligt?

Im mutmaßlichen Abrechnungsbetrug in der Pflege könnten auch andere Berufsgruppen eine Rolle spielen. Das legen Medienberichte nahe. In Norddeutschland wurden währenddessen Dutzende Pflegeheime und Kliniken durchsucht.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Rezeptübergabe: Laut Meidenberichten wurde auch hier getrickst - unter Mitwirkung von Ärzten und Apothekern.

Rezeptübergabe: Laut Meidenberichten wurde auch hier getrickst - unter Mitwirkung von Ärzten und Apothekern.

© ABDA

NEU-ISENBURG / KIEL. Der mutmaßliche Abrechnungsbetrug in der Pflege weitet sich scheinbar aus: Laut Medienberichten sollen nicht nur Pflegedienste, sondern auch Ärzte, Apotheker und Sanitätshäuser daran beteiligt gewesen sein.

Wegen vermuteten Sozialbetrugs durchsuchten am Freitag Ermittler Dutzende Pflegeheime und Kliniken in Norddeutschland.

Bisher stehen vor allem russische Pflegedienste unter Verdacht, systematisch betrogen zu haben. Medienberichte legen nun jedoch nahe, dass an dem systematischen Betrug jedoch auch andere Berufsgruppen beteiligt gewesen seien: So sollen Ärzte gegen Zahlungen Krankenberichte gefälscht und und die Pflegestufen zu hoch angesetzt haben.

Auch sollen sie gegen Gebühr an Pflegedienste vermittelt haben. Apotheken sollen teure Medikamente verschrieben und dadurch hohe Zahlungen von den Kassen erhalten haben - in Absprache mit den Ärzten. Die Medikamente seien entweder gar nicht überreicht oder durch billigere Präparate ersetzt worden.

Ermittlungen laufen

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berief sich in ihrer Berichterstattung auf einen Bericht des Bundeskriminalamts (BKA). Da es sich jedoch um interne Papiere handele, könne sie die Meldungen bislang weder bestätigen noch dementieren, sagte eine BKA-Sprecherin am Freitag auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".

Auch eine Sprecherin der Polizei Berlin berief sich auf die laufenden Ermittlungen. Die Auswertung der jüngst sichergestellten Dokumente nehme Zeit in Anspruch.

Nach Bekanntwerden der Anschuldigungen fanden bereits groß angelegte Durchsuchungen in Berlin und Brandenburg statt, vergangene Woche nahmen Ermittler nun 110 Pflegeheime und Kliniken in Norddeutschland unter die Lupe. Bei Razzien haben Ermittler zahlreiche Unterlagen wie etwa Dienstpläne beschlagnahmt.

"Es geht um den Verdacht, dass Pflegekräfte als Scheinselbstständige beschäftigt und auf diese Weise Sozialabgaben in Höhe von 6,1 Millionen Euro in den Jahren 2010 bis 2016 nicht gezahlt wurden", sagte Oberstaatsanwalt Axel Bieler am Freitag in Kiel.

Bei den Durchsuchungen am Mittwoch und Donnerstag seien 650 Kräfte des Zolls und der Ermittlungsbehörden im Einsatz gewesen.

Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) sprach am Freitag von einem "richtigen Skandal". Arbeitnehmer seien ausgebeutet und Arbeitsverhältnisse vorgetäuscht worden. "Wir müssen uns das ganz genau angucken, und wir müssen Mechanismen entwickeln, dass das nicht wieder vorkommen kann", sagte sie.

Ermittelt werde gegen Verantwortliche in 237 Einrichtungen, sagte Bieler. Betroffen seien 181 Einrichtungen in Schleswig-Holstein und 56 Einrichtungen in anderen Bundesländern mit Bezug zu Schleswig-Holstein. "Dort werden beispielsweise Personalunterlagen gelagert", erklärte Bieler.

Strafrechtlich gehe es um Paragraf 266a des Strafgesetzbuches, das "Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt". Die Auswertung der Unterlagen werde noch geraume Zeit dauern, kündigte - wie die Kollegen in Berlin - auch Bieler an.

"Sozialabgaben wurden eingespart"

Hintergrund seien Ermittlungen gegen Personalagenturen gewesen, die Pflegekräfte vermitteln. Praktisch alle großen Pflegeheimbetreiber hätten das Modell betrieben, sagte Bieler: "Pflegekräfte wurden als Selbstständige eingestellt, so dass die Sozialabgaben eingespart wurden, aber auch bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall."

Gesundheits-Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) sagte am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestages, dass die Ermittlungsbehörden aktuell formal von organisiertem Betrug aus, aber nicht von organisierter Kriminalität ausgingen.

Die pflegepolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Birte Pauls, zeigte sich entsetzt, "dass ausgerechnet diejenigen, die in der Pflege der höchsten Arbeitsbelastung unterliegen und am wenigsten Lobby haben, mit offensichtlich krimineller Energie betrogen wurden". (mit dpa-Material)

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