Gastbeitrag
Warum eine Zucker-Fett-Steuer notwendig ist
Übergewicht und Diabetes breiten sich in Deutschland seit Jahren rasant aus. Oft liegt es an der falschen Ernährung. Aufklärung allein hält die Verfettung der Gesellschaft nicht auf, finden unsere Gastautoren. Sie fordern: Her mit einer Zucker-Fett-Steuer - und erklären warum.
Veröffentlicht:Die während der letzten Koalitionsverhandlungen diskutierte Steuer auf kalorienreiche Lebensmittel hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Von "Strafsteuer" und "Zwangsdiät" war die Rede.
In einem kürzlich erschienenen Artikel spricht die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml von "Strafsteuern auf Cola, Chips und Schokolade".
Die Autoren
Dr. Dietrich Garlichs ist Geschäftsführer der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, Dr. Tobias Effertz arbeitet am Institut für Recht und Wirtschaft der Universität Hamburg
Sie will "die Menschen mit hilfreichen Informationen davon überzeugen, dass jeder selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen muss". Dazu brauche es "keine staatliche Zwangssteuer, sondern allenfalls Hilfe zur Selbsthilfe".
Natürlich ist es richtig, dem Einzelnen die Verantwortung für seine Gesundheit nicht abzunehmen. Allerdings sind wir mit dieser Strategie grandios gescheitert.
Die Übergewichtsepidemie entwickelt sich seit drei Jahrzehnten nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren; die Diabeteserkrankungen sind nach den aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts binnen zehn Jahren um 38 Prozent auf über sechs Millionen gestiegen - überwiegend nicht (!) aufgrund der Alterung der Bevölkerung (Eine Grafik zu Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen siehe unten).
Angesichts dieser katastrophalen Entwicklung ist es schwer zu verstehen, dass Gesundheitspolitiker weiter allein auf eine nachweislich gescheiterte Strategie setzen.
Viel Werbung, wenig Aufklärung
Kann hier eine Zucker-Fett-Steuer helfen? Einer Veränderung der Preise durch Steuern, die Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzanteil teurer machen, können sich Verbraucher - das belegen viele Studien - kaum entziehen.
So haben die drastischen Tabaksteuererhöhungen den Zigarettenkonsum von Jugendlichen in den letzten zehn Jahren halbiert, Alkopops sind nach Einführung einer Steuer praktisch vom Markt verschwunden. Aufklärungsmaßnahmen an Schulen haben hingegen nach Untersuchungen des Krebsforschungszentrums Heidelberg kaum Wirkung erzielt.
In anderen Ländern wird inzwischen mit der Besteuerung adipogener Lebensmittel Ernst gemacht - und erste Wirkungen zeigen sich bereits. Das Argument, Dänemark habe seine Fettsteuer wegen Erfolglosigkeit wieder abgeschafft, ist nicht richtig.
Die dänische Fettsteuer wurde abgeschafft, weil dies Bedingung für das Zustandekommen einer neuen Regierungskoalition war. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits erste Erfolge abgezeichnet.
Natürlich muss man den Einwand der Bevormundung des Konsumenten ernst nehmen. Dabei wird aber übersehen, dass bereits eine permanente Steuerung des Konsumentenverhaltens stattfindet: Für Süßwaren stehen hundert Mal höhere Werbebudgets zur Verfügung wie für Obst und Gemüse.
Ähnlich ist das Verhältnis zwischen Aufwendungen für Aufklärung und Werbung. Dieser massiven Beeinflussung des Konsumentenverhaltens ein Korrektiv entgegenzusetzen, ist keine "Bevormundung", wie manche Politiker meinen, sondern notwendige Gefahrenabwehr und klassische Aufgabe des Gesetzgebers.
Aber würde dann das gute Olivenöl nicht durch minderwertige Fette ersetzt, hört man die Kritiker fragen? Viele Verbraucherstudien zeigen, dass ärmere Haushalte - gezwungenermaßen - äußerst preissensibel sind. Da wird kein teures Olivenöl konsumiert.
Eine entsprechende Steuer würde aber dazu führen, dass insgesamt sparsamer und somit gesünder mit Fett umgegangen wird. Gesundheitsbewusste Haushalte der Mittel- und Oberschicht werden sich auch durch eine Steuer nicht vom Olivenöl abbringen lassen. Auch könnte man, wie die Dänen, nur gesättigte Fettsäuren besteuern.
Adipositas - ein Unterschichten-Phänomen
Wenn Gesundheitspolitiker den Tsunami der chronischen Krankheiten weiterhin allein "mit hilfreichen Informationen" aufhalten wollen, übersehen sie auch, dass die modernen Lebensstilkrankheiten, die wir in den letzten Jahrzehnten durch die massive Einschränkung körperlicher Bewegung und ein stark verändertes Lebensmittelangebot hervorgerufen haben, typische Krankheiten der bildungsfernen Schichten sind.
Fettleibigkeit tritt bei Menschen mit niedriger Bildung doppelt bis dreimal so häufig auf wie bei solchen mit höherem Schulabschluss. Je schlechter die sozioökonomische Situation, desto wahrscheinlicher das Auftreten von Lebensstilkrankheiten. Und das fängt früh an.
In einer Stadt wie Kassel sind laut Schuleingangsuntersuchung 2012 in den wohlhabenden Stadtteilen zwei bis drei Prozent der Kinder übergewichtig, in den ärmeren Stadtteilen 22 bis 23 Prozent!
Diese Problematik gipfelt darin, dass die Lebenserwartung extrem davon abhängig ist, in welche Familie man hineingeboren wird: Die einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung leben zehn Jahre länger als die einkommensschwächsten - ein gesundheitspolitischer Skandal.
Wer hier allein auf den Appell an die Verantwortung des Einzelnen setzt, verkennt die Ursachen oder ist zynisch.