Anhörung im Ausschuss
Widerspruchslösung bei Organspende bleibt unter Sachverständigen umstritten
Neue Vorstöße in der Politik für die Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende lösen unter Ärzten, Ethikern und Juristen ein unterschiedliches Echo aus, wie eine Anhörung im Gesundheitsausschuss zeigte.
Veröffentlicht:Berlin. Die Debatte um eine mögliche Neuorganisation der Organspende bleibt eine hochemotionale. Das wurde auch bei einer Expertenanhörung des Bundestags-Gesundheitsausschusses am Mittwochabend deutlich.
Gegenstand der Anhörung waren zwei fraktionsübergreifende Gesetzesinitiativen zur Einführung der Widerspruchsregelung. Seit 2020 gilt in Deutschland die Entscheidungslösung. Deren Befürworter hatten sich damals im Bundestag knapp gegen die Anhänger der Widerspruchsregelung durchgesetzt.
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) stagniert die Zahl der Spender aber weiterhin. Vergangenes Jahr seien 953 Organspender registriert worden. Im internationalen Vergleich liege Deutschland damit im unteren Drittel. Ende 2024 standen laut DSO rund 8.260 schwer kranke Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
„Zu wenige Organtransplantationen möglich“
Der Regensburger Transplantationsmediziner Professor Bernhard Banas betonte, die wiederholt vorgebrachte Idee, allein durch organisatorische Verbesserungen in Krankenhäusern die Rate an Organspenden zu verbessern, sei gescheitert. Frühere Gesetzesänderungen hätten hier nichts bewirkt. „In Deutschland sind im internationalen beziehungsweise im intereuropäischen Vergleich zu wenige Organtransplantationen möglich.“
Ärztinnen und Ärzte müssten im Aufklärungsgespräch zur Organtransplantation Patienten denn auch regelhaft berichten, dass deren Überlebenschancen im Vergleich zu den Chancen von Patienten in Nachbarländern nur bei 50 Prozent lägen.
Das Bündnis Protransplant, ein Zusammenschluss von Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen, stufte es ebenfalls als dringlich ein, eine Gesetzesänderung herbeizuführen. Weder die 2019 in Kraft getretenen Strukturverbesserungen noch das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft hätten zu mehr Organtransplantationen geführt. Auch die Bundesärztekammer warb in einer Stellungnahme für die Widerspruchslösung.
Mangelnde Meldebereitschaft vieler Kliniken
Die Göttinger Medizinethikerin Professor Claudia Wiesemann nannte die Widerspruchslösung einen „Eingriff in die Selbstbestimmung der Person über ihren eigenen Körper“. Daher müsse die Regelung auch „besonders gerechtfertigt“ sein.
Wichtigstes Argument der Befürworter der Widerspruchslösung sei „die erhoffte deutliche Zunahme der Organspende-Zahlen“. Diese Hoffnung aber lasse sich empirisch nicht belegen, so Wiesemann. „Im Gegenteil muss man sich sorgen, dass die Zahl der Lebendorganspenden parallel zurückgehen wird“. Hauptproblem sei „nachgewiesenermaßen“ die mangelhafte Meldebereitschaft vieler Krankenhäuser.
Ähnlich argumentierte der Theologe und langjährige Vorsitzende des Ethikrats, Professor Peter Dabrock. „Der Flaschenhals im Organgewinnungsprozess ist nicht die Spendebereitschaft der Bevölkerung.“ Entscheidend sei, dass es dem System nicht gelinge, die Zahl der organspendebezogenen Kontakte – also Fälle, in denen sich die Kliniken an die DSO wenden – „signifikant zu steigern“.
Vergleich mit Ländern wie Spanien hinkt
Seit Jahren komme es hier nicht zu wirklich großen Fortschritten, kritisierte Dabrock. Im Jahre 2023 habe es noch immer nur 3421 organspendebezogene Kontakte gegeben. Vor allem Krankenhäuser ohne Neurochirurgie hinkten „dramatisch hinterher“.
Zur Ehrlichkeit der Debatte gehöre aber auch, so Dabrock, darauf hinzuweisen, dass in Ländern wie Spanien, Belgien, der Schweiz oder England auch nach dem Herztod explantiert werde. Diese Form der Organgewinnung sei in Deutschland nicht zulässig, nehme aber in den besagten Ländern einen hohen Anteil ein. „Mit der Widerspruchsregelung ändert sich dieser Nachteil gegenüber den anderen Ländern nicht.“ (hom)