Kommentar zur Anti-Corona-Strategie von Ärzten

Wie hältst Du es mit dem Virus, Deutschland?

Ärzte und Wissenschaftler nutzen die Bund-Länder-Gespräche zum Lockdown light, um ein Gegenmodell zu präsentieren.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

Binnen weniger Stunden haben sich große Teile der deutschen Ärzteschaft hinter ein am Mittwoch vorgestelltes Positionspapier von Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Professoren Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit gestellt.

An einem Tag, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungsspitzen der Länder über Beschränkungen des Alltagslebens beraten, haben zahlreiche Ärzteverbände und medizinische Fachgesellschaften Unterstützung für den Imperativ signalisiert, den das Papier im Namen trägt: „Evidenz- und Erfahrungsgewinn im weiteren Management der COVID-19-Pandemie berücksichtigen“. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen schätzt die Zahl der Unterstützer des Papiers auf inzwischen 200.000. Das wäre nicht schlecht.

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Außerparlamentarischer Diskurs

Es geht nicht darum, die Inhalte des Papiers damit schon für unantastbar richtig zu halten. Selbst die Verfasser verstehen ihre Positionen als Diskussionsbeitrag, der im Ziel mit den Vorschlägen der Kanzlerin übereinstimmt (Gassen) und der nicht verharmlosen soll (Streeck).

Es geht darum, dass hier eine außerparlamentarische Opposition gegen möglicherweise überzogene Regeln eines außerparlamentarischen Regelungsgremiums von Bund und Ländern argumentiert.

Sachlich und ohne „Aluhut“

Und das fachlich fundiert, sachlich, ohne vom „Aluhut“ ausgelöste Fehlzündungen. Das ist das Verdienst des Papiers. Implizit stellt es die Corona-Gretchenfrage: Wie willst Du es mit dem Virus halten, Deutschland?

Entweder von Lockdown zu Lockdown springen, je nachdem, ob gerade Weihnachten, Ostern, Sommerferien oder eine Landtags- oder Bundestagswahl anstehen? Oder mit einer nachhaltigen Strategie, die zur Kenntnis nimmt, dass wir vielleicht auf Jahre hinaus mit dem Virus werden leben müssen und uns deshalb die zur Verfügung stehenden Ressourcen sinnvoll einteilen sollten?

Diese Fragen werden die Vertreter von Bund und Ländern heute nicht beantworten. Sie verhielten sich aber ignorant, würden sie die Positionen der Ärzte und der Wissenschaftler auf Dauer völlig aus ihrem Diskurs heraushalten.

Schreiben Sie dem Autor: anno.fricke@springer.com

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 28.10.202020:55 Uhr

Wie passt das zusammen?

Einerseits wird beklagt: Ohne Nachverfolgbarkeit gerät das Infektionsgeschehen bei COVID-19 außer Kontrolle.
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117819/COVID-19-Ohne-Nachverfolgbarkeit-geraet-Infektionsgeschehen-ausser-Kontrolle

Andererseits wird die Abkehr von der individuellen Kontaktperso­nen­nach­verfolgung durch die Gesundheitsämter sowie die Einführung eines bundesweit ein­heitlichen Ampelsystems gefordert.

Wie sollen dann zusätzlich alle relevanten Kennzahlen wie Infektionszahlen, Anzahl der durchgeführten Tests, stationäre und intensivmedizinische Behandlungskapa­zitäten einbezogen werden.

Die letztgenannten Forderungen werden sowohl vom Chef der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), dem orthopädischen Kollegen Dr. med. Andreas Gassen, als auch von Prof. Dr. med. Hendrik Streeck, Prof. Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit und KBV-Vize, Dr. med. Stephan Hofmeister erhoben. Die Gesundheitsämter sollten zudem eine Priorität auf Fälle mit Bezug zu medizinischen und pflegerischen Einrichtungen oder Veranstaltungen mit vielen Infizierten legen. Sie gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sich die Politik offen für ihre Diskussionsanregungen zeigt.

Risikogruppenadaptierte Maßnahmen unterscheiden sich damit aber kaum noch von regierungsamtlichen Bund-Länder-Runden.

Und Prof. Drs. med. Hendrik Streeck/Jonas Schmidt-Chanasit sind nicht die alleinvertretenden, allwissenden Meinungsmacher und -führer in der internationalen CORONA-Debatte. Sie verfolgen mit Blick auf die heutigen Gespräche der Bundes­kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder damit m.E. eher eigene Profilneurosen und zerstören mit ihrer Kakophonie jegliche Reste von Konsens bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Erkrankungen.

Warum sich ärztliche Berufsverbände vor diesen Karren spannen lassen und sich dabei wie unkritische Lemminge verhalten, bleibt mir vollkommen unverständlich.

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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