Hilde Mattheis

"Wir sind uns einig, dass gute Pflege etwas kosten muss"

Mehr Geld für Pflegestellen in Kliniken, bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte und eine Aufwertung der Ausbildung - das kann sich die SPD-Politikerin Hilde Mattheis gut vorstellen. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erläutert sie, wie das umgesetzt werden kann.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Dienstplanbesprechung: In den meisten Kliniken herrscht akuter Personlamangel. Das soll sich ändern.

Dienstplanbesprechung: In den meisten Kliniken herrscht akuter Personlamangel. Das soll sich ändern.

© Dörr / Fotolia.com

Ärzte Zeitung. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag sind auf dem Gleis. Bis 2020 geben Bund, Länder und Sozialversicherungen mindestens 40 Milliarden Euro zusätzlich für kurative Medizin und Pflege aus, 2,5 Milliarden für Prävention. Ist die Unwucht zu rechtfertigen, angesichts der Wellen lebensstilbedingter Krankheiten, die auf uns zurollen?

Hilde Mattheis: Ich bin froh, dass wir mit dem Präventionsgesetz die Mittel für Prävention mehr als verdoppeln konnten. Das ist ein Durchbruch. Dass wir dieses Verhältnis verbessern und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe auffassen müssen, steht außer Frage.

Ein Knackpunkt beim Präventionsgesetz war die so genannte Quersubventionierung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus Beitragsgeld…

Mattheis: Wir begreifen Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die BZgA und ihre Arbeit gehören deshalb aus Steuermitteln finanziert. Wir haben erreicht, dass der Betrag, der an die BZgA geht, etwas gesenkt wurde.

Das ändert aber nichts daran, dass das ein Systembruch ist. Sehr positiv ist, dass wir die Stärkung der Selbsthilfe hinbekommen haben. Diesen Punkt können wir auf unser Habenkonto schreiben.

Beim Thema Krankenhausstrukturgesetz ist es zu einem Disput zwischen Union und SPD gekommen. Sie sind sich uneinig über die finanzielle Ausstattung des Pflegestellenprogramms. Ihr Kollege in der Union, Jens Spahn hat gesagt, die SPD stelle damit das gesamte Gesetzesvorhaben in Frage. Ist das so?

Hilde Mattheis (SPD)

'Wir sind uns einig, dass gute Pflege etwas kosten muss'

© Peter Kneffel / dpa

Aktuelle Position: Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag.

Werdegang/Ausbildung: Mattheis ist studierte Pädagogin und war Lehrerin in Grund- und Hauptschulen.

Karriere: Sie gehört seit 2002 dem Deutschen Bundestag an und vertritt dort den Wahlkreis Ulm/Alb Donau.

Privates: Geboren 1954 in Finnentrop; Hilde Mattheis ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Mattheis: Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Meinung geteilt wird. Ich kann mir eher vorstellen, dass wir uns beim Pflegestellenprogramm alle miteinander darauf verständigen können, dass wir eine Verdoppelung der Mittel auf 1,32 Milliarden Euro wollen.

Wir wollen, dass die Beschäftigten in den Krankenhäusern insbesondere in der Pflege bessere Arbeitsbedingungen haben. Daher ist unser Hauptthema, Personal innerhalb oder außerhalb der DRGs besser abzubilden. Eine Expertenkommission soll Vorschläge erarbeiten. Bis diese umgesetzt werden, soll das Pflegeförderprogramm wirken.

Eine Verdoppelung der Mittel wird in den Krankenhäusern als spürbare Entlastung wahrgenommen werden.Die Krankenhäuser müssen allerdings zehn Prozent selbst tragen und auch nachweisen, dass sie ab 2015 keine Stellen abgebaut haben.

Es ist nicht sicher, dass so viel Geld überhaupt ausgegeben werden kann. Die Krankenhäuser können nicht alle ausgeschriebenen Stellen besetzen, weil zu wenige Bewerber da sind.

Mattheis: Ich glaube, dass das Programm zum Beispiel möglichen Berufsrückkehrerinnen einen Anreiz bietet. Das Programm bedeutet auch, dass sich Teilzeitstellen in Vollzeitstellen wandeln können. Das ist in diesem frauenorientierten Beruf ein wichtiger Punkt.

Es gibt andere Vorschläge. Der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Johann Magnus von Stackelberg, hat Klinikschließungen vorgeschlagen, um Pflegekräfte freizubekommen, die woanders die Lücken füllen könnten. Ist das für Sie ein gangbarer Weg?

Mattheis: Auf den Vorschlag möchte ich nicht näher eingehen. Weder Herr Stackelberg noch ich sind für die Krankenhausplanung zuständig.

Wir haben in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vereinbart, dass die Länder ihre Planungshoheit besser ausüben. Das ist ein Punkt, den wir im Zusammenhang mit dem Krankenhausstrukturgesetz anmahnen. Es ist richtig und wichtig, dass die Länder diesen Auftrag effektiver erfüllen.

Im Gesetz werden Marktaustritte nicht ausgeschlossen…

Mattheis: Dafür haben wir den Strukturfonds mit 500 Millionen Euro aufgelegt, dem dadurch Leben eingehaucht bekommt, dass die anderen 500 Millionen von den Ländern kommen müssen.

Das ist eine wichtige Handreichung des Bundes, solche Versorgungsstrukturelemente anzugehen. Aber dazu müssen die Länder die Planung angehen und diesen Auftrag annehmen.Ich bin überzeugt, dass die Länder das auch tun werden.

Qualität bekommt einen Stellenwert in der Krankenhausplanung. Das war bisher nicht der Fall. Ist es damit leichter für die Länder und Kommunalpolitiker die Schließung eines Krankenhauses anzugehen?

Mattheis: Es ist eine Entscheidungsunterstützung. Denn Häuser, die die Qualitätsanforderungen nicht erfüllen, sind schwer zu rechtfertigen.

Sind Personalschlüssel für Sie eine Option?

Mattheis: Das ist ein zentrales Thema für uns. Deshalb war es uns wichtig, dass man neben dem Pflege-Übergangsprogramm, das jetzt in aller Munde ist und wo wir die Mittel verdoppeln wollen, das Ziel verfolgen, dass wir die Ausgaben für Personal besser abbilden. Und das muss an eine Personalbemessung gekoppelt sein.

Mit den Stärkungsgesetzen pumpen Sie in den kommenden Jahren zig Milliarden in die Pflege. Kommt es jetzt zu dem erhofften Systemwechsel?

Mattheis: Ja. Wir sind uns gesamtgesellschaftlich einig, dass gute Pflege etwas kosten muss. Mit dem Pflegestärkungsgesetz I haben wir schon 1,4 Milliarden Euro in den ambulanten und 1,2 Milliarden Euro jährlich in den stationären Sektor gegeben.

Mehr als eine Milliarde Euro im Jahr fließt in den Vorsorgefonds. Dass uns der nicht gefällt, haben wir immer gesagt. Wir hätten das Geld lieber direkt in die Pflege gegeben.

Die Ausgabensteigerungen dieses Gesetzes waren schon eine indirekte Vorwegnahme von Verbesserungen im Zusammenhang mit der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

Die Leistungsverbesserungen im ambulanten Bereich, die Betreuungs- und Entlastungsleistungen, lassen sich direkt auf die künftigen Bedarfsgrade widerspiegeln.Die Vermittlung dessen, was wir mit dem Pflegestärkungsgesetz II umsetzen, ist der Schritt hin zu einer teilhabeorientierten Pflege.

Dafür ist es wichtig, dass niemand schlechter gestellt sein darf. Und das kostet Geld. Trotzdem werden die 0,2 Prozentpunkte Beitragssteigerung, die wir mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz anstreben, ausreichen, um den Perspektivenwechsel hinzubekommen. Das sagen uns die Studien. Beide Gesetze zusammen werden dann 5,8 Milliarden mehr im Jahr für die Pflege bedeuten.

500.000 Menschen werden erstmals Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung haben. Wenn man sich die Ausweitungen der Leistungen in Arbeitsstunden vorstellt, fragt man sich aber, wer die leisten soll? Rechnen Sie nicht mit Pflegekräftemangel?

Mattheis: Es gibt im Altenpflegebereich Bausteine für Lösungen. Eine davon ist die Reform der Ausbildungsberufe. Hier gibt es den ersten Vorschlag von Familienministerin Manuela Schwesig und Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Die Umwandlung der größtenteils Teilzeitstellen in Vollzeitstellen ist ein weiterer Punkt ebenso wie die Erhöhung der Ausbildungsplätze.

Können Pflegekräfte aus dem Ausland helfen?

Mattheis: Das ist sicherlich ein vierter Baustein. Aber ich warne vor zuviel Euphorie. Allerdings wird es im Hinblick darauf, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland alt werden und an Demenz erkranken, wichtig, dass auch Pflegefachkräfte mit anderer Muttersprache ausgebildet werden. Es gibt gute Beispiele dafür, dass Träger Menschen mit Migrationshintergrund ausbilden.

Ins Versorgungsstrukturgesetz , das am 10. Juli den Bundesrat passieren dürfte, ist auf den letzten Drücker eine Regelung aufgenommen worden, dass junge Ärzte, die fünf Jahre als Landärzte arbeiten, danach auch in als überversorgt geltenden Gebieten eine Praxis eröffnen dürfen. Gleichzeitig bieten manche Länder zum Teil üppige Förderungen an, aufs Land zu gehen. Doppeln sich hier nicht die Anreize?

Mattheis: Die Länder müssen regeln, ob sie die angesprochenen Anreize aufrechterhalten. Viele Länder geben Stipendien, die ich sehr vernünftig finde. Ob diese Länder die Anreize zusätzlich aufrechterhalten, werden sie entscheiden müssen.

Die mit dem E-Health-Gesetz aufgestellten Fristen werden in Frage gestellt. Sie könnten zu Qualitätsmängeln bei der Telematikinfrastruktur führen, heißt es. Werden die Fristen verlängert?

Mattheis: Das Gesetz fällt ja nicht vom Himmel. Die Entwicklung der Telematikinfrastruktur hat einensehr langen Vorlauf. Wir gehen jetzt ins parlamentarische Verfahren, und dann wird man sehen, was von diesen Erstäußerungen noch übrig bleibt.

Also, ich habe den Eindruck, das Gesetz ist überfällig, und ich habe nicht den Eindruck, dass die Verzögerungen darin begründet sind, dass es technische Hürden gibt. Ich finde keine Entschuldigung dafür, das Gesetz hinauszuzögern.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll

Lesetipps
Eine Frau mit diversen Erkrankungen

© Sebastian / stock.adobe.com / generated AI

Diagnose-Prävalenzen

Wo Autoimmunerkrankungen besonders häufig auftreten

Verpackung des Wirkstoffs Tirzepatid (Mounjaro) mit Aufziehspritze daneben

© Olaf Kunz / stock.adobe.com

SUMMIT-Studie

Tirzepatid auch erfolgreich bei Herzinsuffizienz-Therapie

Physician Assistants und NÄPAs können Hausärzte stark entlasten.

© amedeoemaja / stock.adobe.com

NÄPAS und Physician Assistants

Drei Ärzte, 10.000 Patienten: Delegation macht es möglich