Hermann Gröhe im Interview
"Wir wollen die Rolle der Hausärzte stärken"
Allgemeinärzte spielen im Konzept der großen Koalition eine tragende Rolle. Im Interview erklärt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), warum Hausarztverträge Pflicht bleiben, ob die Termin-Servicestellen wirklich kommen - und weshalb das neue Qualitätsinstitut gut für Ärzte ist.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Minister Gröhe, wie wichtig sind der Großen Koalition die Hausärzte?
Hermann Gröhe: Die Hausärzte sind das Rückgrat der medizinischen Versorgung nah am Menschen. Wir brauchen sie vor allem in der Fläche, wo sie besonders gefragt sind, um eine gute Versorgung zu steuern.
Wenn Sie sagen, Hausärzte spielen für die Versorgung eine große Rolle, war das ein Zufall, dass in Ihrer Antrittsrede am 30. Januar das Wort Hausarzt nicht vorkam?
Gröhe: Ich habe die Ärzte insgesamt gewürdigt, dazu gehören die Hausärzte genauso wie die Fachärzte. Beide Gruppen leisten ihren Beitrag zu unserer qualitativ hochwertigen Versorgung in Deutschland.
Deshalb ist es mir wichtig, dass die kollegiale Zusammenarbeit der Fach- und Hausärzte in der ärztlichen Selbstverwaltung gut gelingt. Denn es stehen wichtige Aufgaben vor uns. Und im Übrigen hat die Hausarztversorgung schon in meiner zweiten Rede im Deutschen Bundestag eine wichtige Rolle gespielt.
Eines der ersten Gesundheitsgesetze der großen Koalition sieht vor, den Paragrafen 73b weitgehend wieder in seine ursprüngliche Fassung zu bringen. Das heißt, dass die engen Vorgaben für die Wirtschaftlichkeit entfallen sollen. Wann wird die Regelung in Kraft treten, und was bedeutet das mit Blick auf die laufenden Verträge - zum Beispiel den AOK-Vertrag in Baden-Württemberg?
Hermann Gröhe (CDU)
Aktuelle Position: Bundesminister für Gesundheit
Werdegang /Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften
Karriere: gehört seit 1994 dem Bundestag an; 2008/2009 Staatsminister im Kanzleramt; 2009 bis 2013 Generalsekretär der CDU
Privates: geboren 1961 in Uedem, evangelisch, verheiratet, Vater von vier Kindern
Gröhe: Für ältere Hausarztverträge, die vor dem 22. September 2010 geschlossenen wurden, gelten schon heute keine gesetzlichen Vergütungsbeschränkungen. Der Grund dafür ist eine Bestandsschutzregelung, die aber am 30. Juni dieses Jahres ausgelaufen wäre. Deshalb mussten wir schnell handeln.
Mit der Gesetzesänderung schaffen wir Rechtsklarheit über den 30. Juni hinaus. Die Neuregelung tritt am 1. April in Kraft. Damit sind die bisherigen gesetzlichen Vergütungsbeschränkungen mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Die Vertragspartner der bestehenden Verträge haben die Möglichkeit ihre Verträge an die neue Rechtslage anzupassen.
Auch in Zukunft spielen für uns Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung eine Rolle. Dazu muss es nun Vereinbarungen in den Verträgen zwischen den Krankenkassen und Hausärzten geben. Das schafft mehr Gestaltungsspielräume für die Vertragspartner.
Macht es, Herr Minister, aus Ihrer Sicht Sinn, die Krankenkassen dazu zu verpflichten, Verträge nach 73b aufzulegen, oder sollten die Hausarztverträge nicht eher auf freiwilliger Basis als Wettbewerbselement eingesetzt werden?
Gröhe: Wir wollen die Rolle der Hausärzte stärken. Deshalb ist es wichtig, dass Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung zum Pflichtenkatalog der Krankenkassen zählen. Damit schließen wir Wettbewerb gerade nicht aus. Denn es kann ja auch unterschiedliche Hausarztverträge in Konkurrenz zueinander geben.
Die Kassen haben viel Geld auf der hohen Kante. Die Reserve wird auf 30 Milliarden Euro geschätzt. Das spiegelt sich aber nicht in der Zahl innovativer Verträge und Versorgungsformen wider. Werden Sie den Innovationsstau auflösen?
Gröhe: Manches haben wir in der vergangenen Legislaturperiode bereits auf den Weg gebracht. Jetzt geht es darum, die neuen Regelungen nach und nach mit Leben zu füllen. Ich denke da zum Beispiel an die ambulante spezialfachärztliche Versorgung. Die zielt ja gerade auf die Vernetzung und Kooperation miteinander.
Auch der Koalitionsvertrag liefert zusätzliche Impulse, mit denen wir die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung für niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser und Medizinische Versorgungszentren erhöhen. Ich erwarte, dass das zunehmend genutzt wird.
Im Übrigen: Ja, wir haben eine erfreulich robuste Situation in der gesetzlichen Krankenversicherung. Klar ist aber auch: Eine Gesellschaft, in der wir alle erfreulicherweise die Chance haben älter zu werden, wird als Ganzes, aber auch individuell eher mehr als weniger für die eigene Gesundheit ausgeben müssen.
Qualität und Wirtschaftlichkeit müssen deshalb immer zusammen gedacht werden. Wir werden nicht umhin kommen auch weiterhin jeden Euro und jeden Cent wohlüberlegt auszugeben.
Integrierte Versorgung kann doch auch Geld zurückspielen an die Kassen...
Gröhe: Ja, das ist eine gute Investition, wenn die Integrierte Versorgung Reibungsverluste mindert, Fehlsteuerung verhindert, die Effizienz erhöht. Das ist genau das, was wir wollen. Wir haben den Kassen und den Ärzten diese Möglichkeiten eingeräumt. Wir beobachten, dass es Zeit braucht, bis sie sich in der Praxis wiederfinden. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Chancen künftig stärker genutzt werden.
Heißt das konkret, dass man von einer stärkeren Förderung der Integrierten Versorgung ausgehen darf?
Gröhe: Wir bekennen uns im Koalitionsvertrag ausdrücklich zur Stärkung der Integrierten Versorgung. Wir werden deshalb die rechtlichen Rahmenbedingungen für die integrierten und selektiven Versorgungsformen angleichen und bestehende Hemmnisse bei der Umsetzung beseitigen.
Auch Druck kann ja ein Anreiz sein. Stichwort Wartezeiten auf Termine bei Fachärzten. Wird es denn bei den KVen angesiedelte Servicestellen geben, oder sind eher freiwillige Vereinbarungen innerhalb der Selbstverwaltung vorgesehen?
Gröhe: Es wird die Servicestellen geben. Wie viel sie zu tun haben werden, liegt in der Hand der Ärzteschaft und der Selbstverwaltung. Das habe ich immer sehr bewusst gesagt. Das fängt bei Verbesserungen im Praxismanagement an und hört bei der Einführung einer "dringlichen Überweisung" auf. Vieles funktioniert ja heute schon gut.
Überlange Wartezeiten sind aber leider keine Einzelfälle. Wir müssen die Sorgen der Menschen vor einer unterschiedlichen Qualität privater und gesetzlicher Versicherungsleistungen überzeugend entkräften. Dabei werden die Servicestellen Hilfe leisten. Sie entsprechen dem Sicherstellungsauftrag der KVen.
Der Innovationsfonds ist 300 Millionen Euro im Jahr schwer. Lässt sich schon konkreter fassen, wie Ärzte oder Ärztenetze an diesen Topf heran kommen können?
Gröhe: Das werden wir mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss festlegen. Was wir bereits festgelegt haben ist, dass 75 Millionen Euro in die Versorgungsforschung fließen sollen. Über die Förderung der Versorgungsforschung bin ich bereits im Gespräch mit meiner Kollegin im Forschungsministerium, Johanna Wanka. Wir müssen sicherstellen, dass es hier nicht zu unnützen Doppelstrukturen kommt.
Deshalb wollen wir sehr konkret unterscheiden, was wo gefördert wird. Wissenschaft und Forschung ist das Eine, Versorgungsforschung und Pilotprojekte in der Versorgung zu fördern das Andere. Deshalb wird man die Kriterien sehr klug wählen müssen. Der größere Teil der Mittel des Innovationsfonds, 225 Millionen Euro, soll in die Förderung innovativer, insbesondere sektorenübergreifender Versorgungsformen fließen.
Dabei wird es nicht ausreichen nur eine gute Idee zu haben. Wir wollen, dass möglichst viele innovative Gedanken sich auch in konkreten Versorgungsprojekten niederschlagen, deren Förderung Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Regelversorgung liefern. Im Vordergrund steht bei allen Projekten, dass sie die Versorgung von Patientinnen und Patienten weiter verbessern.
Bis wann könnten die Kriterien stehen? Wann kann der Startschuss für Bewerbungen fallen?
Gröhe: Hier sind noch eine Reihe von Fragen zu klären. Daran arbeiten wir, damit wir den Innovationsfonds zügig auf den Weg bringen können.
Wie stark sehen Sie sich in der Pflicht, hier Tempo zu machen? Schließlich hat sich die Selbstverwaltung bei der Förderung von Innovationen bislang eher als Bremsklotz erwiesen...
Gröhe: Wir wollen das. Und mein Eindruck nach dem Gespräch mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss ist, dass auch die Selbstverwaltung einer stärkeren Förderung von Innovationen durchaus positiv gegenüber steht.
Bei allem Tatendrang muss aber immer gelten: Gründlichkeit ist besser als unüberlegte Schnellschüsse. Wir fördern die Gesundheitsforschung in Deutschland schon jetzt in unterschiedlicher Form. Wir werden uns deshalb sehr genau ansehen müssen, wie wir die zusätzlichen Mittel sinnvoll einsetzen. Schließlich sollen davon starke Innovationsimpulse ausgehen.
Ein wichtiger Punkt, der im Zusammenhang mit neuen Versorgungsformen immer wieder angesprochen wird, ist die Qualitätssicherung. Der GBA soll nun ein fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen gründen. Es gibt doch aber schon ein Institut, mit dem der GBA genau in diesen Punkten zusammenarbeitet. Hat das etwas falsch gemacht? Hat es zu langsam gearbeitet?
Gröhe: Nein. Aber wenn wir das ernst nehmen, was wir uns im Koalitionsvertrag unter dem Stichwort Qualitätssicherung vorgenommen haben, brauchen wir ein Institut, das kontinuierlich und dauerhaft an der Entwicklung von Qualitätskriterien und deren Transparenz arbeitet.
Immer neue Akteure in immer neuen Ausschreibungen mit einzelnen Fragestellungen zu beauftragen geht zu Lasten dieser Kontinuität und bindet Arbeitskraft, die wir anderswo dringend brauchen. Deshalb bringen wir schon jetzt die notwendigen rechtlichen Regelungen auf den Weg, damit das neue Institut schnell seine Arbeit aufnehmen kann - als Stiftung und fachlich unabhängig.
Stiftung Gesundheitstest…?
Gröhe: Die Patientinnen und Patienten wünschen sich zu Recht mehr Transparenz, wenn es um die Qualität ihrer medizinischen Versorgung geht. Momentan folgt aber jedem Ranking in einer Zeitung oder einem Magazin ein Gelehrtenstreit darüber, ob es die richtigen Kriterien waren, nach denen etwa ein Krankenhaus auf den ersten und das andere auf den letzten Platz gesetzt wurde.
Deshalb sage ich: Weil wir Qualitätswettbewerb wollen, brauchen wir auch verlässliche Kriterien für den Vergleich. Das ist gut für die Patienten, aber auch für die Ärzte und Krankenhäuser, die hohe Qualität bringen.
Wie sicher sind Sie, dass wir am Ende der Legislaturperiode für Patienten und Ärzte verständliche und nachvollziehbare Ranking-Listen haben?
Gröhe: Ich bin sicher, dass wir mit entsprechenden Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses bei den Qualitätsberichten der Krankenhäuser schon in dieser Legislaturperiode zu mehr Transparenz kommen können. Jetzt geht es darum, dass wir das neue Qualitätsinstitut zügig aufbauen, damit aus seiner Arbeit weitere Impulse kommen können.
Wie wird sich die Arbeit des neuen Instituts von der Arbeit des IQWiG abgrenzen?
Gröhe: Das IQWiG bewertet wissenschaftlich, inwieweit neue Therapien und Methoden einen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten bringen. Für diese Nutzenbewertung hat es einen speziellen gesetzlichen Auftrag. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das IQWiG erarbeitet, entscheidet der GBA, ob neue Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.
Das geplante Qualitätsinstitut erhält einen anderen Auftrag des Gesetzgebers. Es soll Verfahren und Instrumente entwickeln, die sicherstellen, dass diagnostische und therapeutische Leistungen in sachgerechter Weise und in der erforderlichen Qualität erbracht werden. Bei dieser Qualitätsbewertung soll auch die Sicht der Patientinnen und Patienten stärkeres Gewicht erhalten.
Stichwort Arzneimittelpolitik: Bei den Themen Preismoratorium, Rabatte sowie der Abschaffung des Bestandsmarktaufrufs war sich die große Koalition sehr schnell einig. Jetzt kommt etwas hinzu, das die Industrie etwas verschreckt. Was ist der Grund dafür, dass der Erstattungsbetrag nicht mehr der Rabattierungslogik folgen soll, sondern zum offiziellen Preis werden soll - mit entsprechenden Preissignalen an das Ausland?
Gröhe: Was die Große Koalition in der Arzneimittelpolitik vorhat, ist eine faire Gesamtlösung. Indem wir den Bestandsmarktaufruf abschaffen, beenden wir enormen Aufwand für die Selbstverwaltung und für die Unternehmen. Und wir stellen damit sicher, dass die Patienten die Arzneimittel, auf die sie seit langem gut eingestellt sind, uneingeschränkt weiter nutzen können.
Um einen wirtschaftlichen Ausgleich zu schaffen, verlängern wir gleichzeitig das Preismoratorium, das für Arzneimittel seit 1. August 2010 gilt, bis Ende 2017. Ausgenommen werden Arzneimittel, für die es einen Festbetrag gibt. Und der Herstellerabschlag in Form eines Mengenrabatts wird von sechs auf sieben Prozent für alle Arzneimittel - mit Ausnahme der patentfreien, wirkstoffgleichen Arzneimittel - angehoben.
Bei der Frage nach dem Erstattungsbetrag hat die gesetzliche Regelung eine rechtsklarstellende und nicht eine rechtsverändernde Funktion. Dass darüber diskutiert wird, zeigt, wie wichtig es ist, hier Klarheit zu schaffen. Und was die Auswirkungen auf die Märkte im Ausland angeht gilt: Schon heute reicht doch die Apothekensoftware, um Transparenz über die vereinbarten Erstattungsbeträge herzustellen.
Sind weitere Änderungen im Arzneimittelsektor geplant?
Gröhe: Die Nutzenbewertung und die anschließenden Erstattungsbetragsverhandlungen sind ein lernendes System. Das bedeutet: Immer dann, wenn ein konkreter Bedarf besteht, werden wir auch die notwendigen Änderungen vornehmen.
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung verabredet, dass wir weiterhin ein attraktiver Standort für die forschende pharmazeutische Industrie sein wollen. Das heißt nicht, dass wir uns einseitig den Anliegen der Wirtschaft anschließen werden.
Am Ende muss immer das Wohl der Patientinnen und Patienten entscheidend sein. Es ist aber in unser aller Interesse, wenn wir im Krankheitsfall auf das beste Medikament zugreifen können und wenn wir in der Arzneimittelforschung in der Spitzenklasse mitspielen.
Wird es in dieser Legislaturperiode eine neue Gebührenordnung für Ärzte geben?
Gröhe: Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Ärzteschaft und die privaten Krankenversicherungsunternehmen im November 2013 vereinbart haben, einen gemeinsamen Vorschlag für eine Novelle der GOÄ zu erarbeiten. Sobald uns der Vorschlag vorliegt, das soll Ende 2014 sein, werden wir ihn mit den beteiligten Bundesministerien und den Ländern prüfen.
Das heißt, Sie brauchen den engen Schulterschluss mit den anderen Ressorts und den Ländern...
Gröhe: Ja. Die GOÄ betrifft ja auch Beihilfefragen. Deshalb sind das Bundesministerien des Innern und der Finanzen und die Länder beteiligt. Und als Rechtsverordnung der Bundesregierung bedarf die GOÄ außerdem der Zustimmung des Bundesrates.