Organspende
Wird Krebsgefahr überschätzt?
Organe von ehemals krebskranken Spendern können unter bestimmten Bedingungen durchaus für eine Transplantation geeignet sein. In einer britischen Studie wurde die Krebserkrankung in keinem einzigen von 61 untersuchten Fällen übertragen.
Veröffentlicht:BRISTOL. Eines der Risiken einer Organtransplantation ist die mögliche Übertragung einer Krebserkrankung auf den Empfänger. Demgegenüber gilt es, das Risiko zu bedenken, welches der Patient trägt, wenn er weiter auf der Warteliste bleibt.
In Deutschland ist die Zahl der Organspenden nach den jüngsten Transplantationsskandalen stark rückläufig. Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) spendeten 2013 nur noch 876 Menschen ein Organ. Das waren 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Keine Besserung ist auch für 2014 in Sicht, wie aktuelle Zahlen aus den ersten vier Monaten belegen.
In den Richtlinien des Europarats zur "Sicherung der Sicherheit und Qualität von Organen, Geweben und Zellen" sind Kriterien für ein "inakzeptables" Risiko einer Organspende festgehalten (bei dem Regelwerk handelt es sich um ein Zusatzprotokoll zur Konvention über Menschenrechte und Biomedizin von 2002).
Britische Autoren fordern nun, diese Kriterien zu hinterfragen; sie fanden in einer Studie keinen einzigen Fall einer Übertragung eines nachgewiesenen Tumors beim Spender (Br J Surg 2014; online 28. April).
Zehn Jahre nach Transplantation: Kein Empfänger hat selbe Krebsart wie der Spender
Von 17.639 englischen Organspendern, die in der Studie berücksichtigt wurden, hatten 202 (1,1 Prozent) eine Krebserkrankung - zumeist einen Hirntumor - in der Vorgeschichte. Auf 61 von ihnen trafen aufgrund dessen die Kriterien für ein "inakzeptables Risiko" gemäß der europäischen Richtlinien zu.
Dessen ungeachtet wurden diesen 61 Hochrisiko-Spendern zwischen 1990 und 2008 insgesamt 140 Organe entnommen und 133 Empfängern implantiert, darunter 86 Nieren, 22 Lebern, zehn Herzen und acht Lungen. In sieben Fällen wurden jeweils zwei Organe gleichzeitig transplantiert.
Zehn Jahre nach der Transplantation waren acht Empfänger an Krebs erkrankt, keiner von ihnen jedoch an derselben Krebsart wie der jeweilige Spender.
Für die Studienautoren um Dr. Rajeev Desai von der britischen Gesundheitsbehörde NHS (National Health Service), Abteilung "Blood and Transplant", in Bristol spricht diese Tatsache dafür, dass es sich um "De-novo-Krebsfälle" handelte, die unabhängig von der Transplantation aufgetreten waren, also nicht übertragen wurden.
Ein Vergleich zwischen Empfängern von Hochrisiko-Organen und solchen von Organen mit - nach Definition der Richtlinie - "durchschnittlichem" Risiko ergab bezüglich des Sterberisikos innerhalb von zehn Jahren keinen nennenswerten Unterschied.
Nach Transplantation eines Organs von einem krebskranken Spender lebte der einzelne Empfänger im Schnitt noch 7,1 Jahre. Insgesamt hatten die transplantierten Hochrisikoorgane einen Überlebensbenefit von 944 Jahren gebracht.
"Akzeptables Risiko" bei einigen Krebsarten
Nach Desai und Kollegen können Krebspatienten also sehr wohl als Organspender in Erwägung gezogen werden, ohne damit die Lebenserwartung der Empfänger zu beeinträchtigen.
Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Krebserkrankung sei den vorliegenden Daten zufolge sehr gering.
Eine strenge Auslegung der Richtlinien sei wahrscheinlich unangemessen, würden doch damit Spender ausgeschlossen, deren Organe man mit sehr geringem Risiko einer Übertragung transplantieren könnte.
Die Autoren haben nun einen Vorschlag für eine Modifizierung der Richtlinien erarbeitet. Demnach besteht bei folgenden Tumoren ein "akzeptables Risiko" für eine Organtransplantation:
- Superfiziell spreitendes Melanom von unter 1 mm Dicke nach kurativer Chirurgie und mindestens fünf Jahren Rezidivfreiheit
- Hormonrezeptornegativer Brustkrebs im Stadium I nach kurativer Chirurgie und mindestens fünf Jahren Rezidivfreiheit
- Ovarialkarzinom nach kurativer Chirurgie und mindestens zehn Jahren Rezidivfreiheit und
- Kolonkarzinom nach kurativer Chirurgie und mindestens fünf Jahren Rezidivfreiheit.
Den Empfänger sollte man in jedem Fall über das mit der Transplantation verbundene Risiko aufklären. Desai und Mitarbeiter empfehlen hierfür ein zweizeitiges Vorgehen: Das erste Gespräch sollte bei Aufnahme in die Warteliste erfolgen, das zweite, wenn akut ein Organ angeboten wird.