Cannabis

Wirksame Arznei für Schwerkranke

Sie soll Schmerzen lindern, Übelkeit bekämpfen und Schlafstörungen beheben: Der Droge Cannabis werden zahlreiche medizinische Wirkungen nachgesagt. Was davon belegt ist, haben britische Forscher in einer Metaanalyse untersucht.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:

Medizinalhanf beziehen derzeit - ganz legal und auf Empfehlung ihres Arztes - 449 Patienten in Deutschland. Die Bundesopiumstelle hat ihnen eine Ausnahmeerlaubnis erteilt, die Droge zu verwenden.

Sie soll chronische Schmerzen sowie Lähmungserscheinungen bei Multipler Sklerose (MS) bessern, bei Depressionen, Schlafstörungen, Übelkeit und beim Tourette-Syndrom helfen. Aber inwieweit ist der medizinische Nutzen von Cannabis gesichert?

79 Studien, 6462 Teilnehmer

Im Fachblatt JAMA wurde kürzlich eine Metaanalyse publiziert, in der man erstmals Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabinoiden bei einer großen Bandbreite von Erkrankungen und Beschwerden untersucht hat (JAMA 2015; 313: 2456). Daten aus 79 randomisierten, kontrollierten Studien mit insgesamt 6462 Teilnehmern flossen in die Auswertung ein.

Wie die Autoren um Penny F. Whiting von der University Hospitals Bristol NHS Foundation berichten, mangelte es jedoch den meisten Studien an Qualität; so fand sich in 70 Prozent ein hohes Verzerrungsrisiko.

Insgesamt fanden die Forscher eine "mittlere Evidenz" für die Wirkung von Cannabinoiden bei Schmerzen aufgrund von chronischer Neuropathie oder Krebs sowie bei MS-bedingter Spastik.

Dem chronischen Schmerz widmeten sich 28 Studien mit 2454 Teilnehmern. Im Schnitt reduzierte die Therapie mit Cannabinoiden die Schmerzen um 37 Prozent (Placebo: 31 Prozent). Dabei war die Wahrscheinlichkeit einer Besserung gegenüber Placebo am größten, wenn THC (Tetrahydrocannabinol) geraucht wurde; die Odds Ratio (OR) hierfür lag bei 3,43.

Mit Nabiximols betrug die Reduktion von Schmerzen 0,46 Punkte, gemessen als Weighted Mean Difference (WMD) gegenüber Placebo auf der 10 Punkte umfassenden Numeric Rating Scale (NRS; 0 = kein Schmerz, 10 = stärkster Schmerz). Speziell bei neuropathischen Schmerzen betrug die WMD -3,89.

14 Studien mit insgesamt 2280 Teilnehmern schlossen Patienten mit spastischen Lähmungen aufgrund von MS ein. Untersucht wurden neben Nabiximols auch Dronabinol und THC/CBD (Cannabidiol).

In der Ashworth Scale for Spasticity fand sich zusammengenommen eine Verbesserung um 0,36 WMD gegenüber Placebo. Dronabinol verbesserte die Spastik um 0,92, THC um 0,32. Mit Nabiximols lag der Unterschied zwischen 0,11 und 0,50.

Nur "geringe Evidenz" aufgrund der Qualität der Studien bescheinigen die Autoren dem Effekt von Cannabinoiden auf Übelkeit und Erbrechen während einer Chemotherapie.

In drei Studien betrug die relative Wahrscheinlichkeit eines kompletten Ansprechens unter Nabiximols oder Dronabinol im Vergleich zu Placebo 3,82; dabei hatten 47 Prozent der Cannabinoidnutzer und 20 Prozent der Patienten unter Placebo angesprochen.

Unter Nabilon scheinen sich Schlafstörungen etwas stärker zu verbessern als unter der Vergleichssubstanz Amitriptylin. Auch hierfür ist die Evidenz jedoch gering. Von einer Therapie mit Nabiximols profitierten hinsichtlich ihrer Schlaflosigkeit offenbar besonders Patienten mit chronischen Schmerzen und MS-Symptomen (WMD -0,58).

Geringe Evidenz bei Angststörungen

Mit ebenfalls geringer Evidenz belegt ist, dass Dronabinol HIV-Patienten zu einer Gewichtszunahme verhilft. Ähnliches gilt für das Tourette-Syndrom: Lediglich zwei kleine Studien legen nahe, dass THC in Kapseln möglicherweise eine Besserung der Tic-Stärke bewirkt.

Als "sehr gering" bezeichnen Whiting und Kollegen die Evidenz für den Nutzen von Cannabinoiden bei Angststörungen. Bei Depressionen fand sich in Studien mit sehr geringer Evidenz keinerlei Effekt. Zu ADHS, das vielfach als Indikation für Medizinalhanf angesehen wird, liefert die Metaanalyse keine Daten.

Die Autoren warnen vor akuten Cannabis-Nebenwirkungen: In ihrer Metaanalyse wurden vor allem Orientierungsstörungen, Schwindel, Verwirrtheit und auch Benommenheit berichtet; die Wahrscheinlichkeitsverhältnisse (OR) im Vergleich zu Placebo betrugen 5,41, 5,09, 4,03 und 3,68.

Die Teilnehmer gerieten häufiger in euphorische Zustände (OR 4,08), begannen zu halluzinieren (OR 2,19) oder entwickelten eine Paranoia (OR 2,05).Weit verbreitet waren Mundtrockenheit (OR 3,50) und Übelkeit (2,08). Die Odds Ratio für eine psychiatrische Störung lag insgesamt bei 3,10.

Lesen Sie dazu auch: Cannabis: Dauerstreit um das Recht auf den Rausch

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll

Lesetipps
Eine Frau mit diversen Erkrankungen

© Sebastian / stock.adobe.com / generated AI

Diagnose-Prävalenzen

Wo Autoimmunerkrankungen besonders häufig auftreten

Verpackung des Wirkstoffs Tirzepatid (Mounjaro) mit Aufziehspritze daneben

© Olaf Kunz / stock.adobe.com

SUMMIT-Studie

Tirzepatid auch erfolgreich bei Herzinsuffizienz-Therapie

Physician Assistants und NÄPAs können Hausärzte stark entlasten.

© amedeoemaja / stock.adobe.com

NÄPAS und Physician Assistants

Drei Ärzte, 10.000 Patienten: Delegation macht es möglich