Bundesversicherungsamt
Zwiespältige Bilanz des Kassen-Wettbewerbs
Das Bundesversicherungsamt seziert in ungewöhnlicher Schärfe den Wettbewerb in der GKV. Das Urteil über Selektivverträge fällt dabei vernichtend aus.
Veröffentlicht:BONN. Das Bundesversicherungsamt (BVA) hat in einem Bericht eine kritische Bilanz des vor 25 Jahren in der GKV eingeführten Kassenwettbewerbs gezogen.
Die wettbewerbliche Ausgestaltung der GKV, die im Dezember 1992 mit dem Gesundheitsstrukturgesetz ihren Anfang nahm, hat die Bonner Behörde in einem 160 Seiten umfassenden Bericht unter die Lupe genommen.
Zwar habe sich die Neuausrichtung "im Wesentlichen bewährt", sagt BVA-Präsident Frank Plate. Häufig aber stehe nicht eine bessere Versorgung der Versicherten im Vordergrund, sondern die "Marktbehauptung" der Kassen.
Und die lassen die Kassen sich etwas kosten: Von 2012 bis 2016 stiegen die Ausgaben der Kassen zu Lasten des "Werbekontos" von 136 auf 172 Millionen Euro, ein Plus von 26 Prozent.
Selektivverträge in der Kritik
Besonders hat das BVA Selektivverträge auf dem Kieker. Viele dieser Verträge "verletzen die gesetzlichen Vorgaben", nur wenige enthielten "einen innovativen Ansatz", resümiert die Aufsichtsbehörde. Sie empfiehlt dem Gesetzgeber, wieder die Anzeigepflicht für diese Verträge einzuführen.
Denn 2015 ist die Vorlagepflicht für Verträge der hausarztzentrierten Versorgung und der besonderen Versorgung entfallen. Zudem sollten alle Selektivverträge, analog zu der Regelung für Modellvorhaben, evaluiert werden, so der Rat des BVA.
Harsch geht die Behörde vor allem mit HzV-Verträgen ins Gericht. Der Gesetzgeber habe sich ursprünglich einen Wettbewerb verschiedener Versorgungsformen versprochen.
Tatsächlich würden HzV-Verträge "auch dazu genutzt, um Einfluss auf ihre Zuweisungen aus dem Morbi-RSA zu nehmen und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen".
"Nicht alles Gold, was glänzt"
Daher hat die Behörde insbesondere ihre Haltung zu den sogenannten Chronikerpauschalen verschärft. Wenn diese Pauschale auch dann von den Kassen vergütet wird, wenn es zu keinem Arzt-Patienten-Kontakt kommt, "ist das nach Auffassung des BVA rechtswidrig".
"Leider" habe man sich mit den Länderaufsichtsbehörden in diesem Punkt nicht einigen können. Die Daumenschrauben anlegen will die Behörde den Kassen auch bei den Vorgaben für die Evaluation.
Diese sollte wissenschaftlich unabhängig erfolgen, weil es sonst "Allein in der Hand der Vertragspartner liegt, wie die Wirtschaftlichkeit der Verträge nachgewiesen wird".
Auch da, wo Kassen wie bei Satzungsleistungen eigene Gestaltungsspielräume gewährt werden, ist nach Ansicht von BVA-Chef Plate "nicht alles Gold, was glänzt".
Seit mit dem Versorgungsstrukturgesetz im Jahr 2012 der gesetzliche Rahmen für Satzungsleistungen liberalisiert wurde, sind die Ausgaben um 568 Prozent auf 340,5 Millionen Euro explodiert.
Im Vordergrund stünden Zusatzleistungen für "die Bindung und Akquise von Versicherten mit guten Risiken", resümiert das BVA.
Da sei es kein Zufall, dass es bisher keine Satzungsleistung im Bereich der Rehabilitation gibt. Die Behörde schlägt vor, der Gesetzgeber solle diese Leistungen auf evidenzbasierte Angebote beschränken.
Wahltarife überdenken
Die Möglichkeit für Wahltarife in der GKV sollte nach Ansicht des BVA "grundsätzlich überdacht" werden.
Regelmäßig werde das Ziel verfehlt, dass nur die in einem Wahltarif eingeschriebenen Versicherten das Risiko dieses Tarifs tragen, nicht aber die Versichertengemeinschaft. 13,9 Millionen Versicherte sind aktuell in einen Wahltarif eingeschrieben.
Auch Bonusprogramme bekommen im BVA-Bericht schlechte Noten. Sie würden "häufig in der Mitgliederwerbung unzulässig eingesetzt". Dagegen habe sich das Ziel des Gesetzgebers, auf diesem Wege gesundheitsbewusstes Verhalten der Versicherten zu stärken, "nicht erfüllt".
Die Vorgaben zur Evaluierung der Wirtschaftlichkeit seien so unbestimmt, dass sich in der Praxis unterschiedliche Bewertungsmodelle durchgesetzt hätten. Das BVA plädiert hier für einen Maximalwert bei den Ausgaben, der für Bonusprogramme einer Kasse zur Verfügung steht.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wettbewerb mit Makel