Initiative gestartet
Allianz forciert Gesetz zur Gesundheitsdatennutzung
In München ist am Freitag der Startschuss für eine konzertierte Aktion zur Schaffung eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes gefallen. Im Fokus steht dabei die datenschutzkonforme Forschung.
Veröffentlicht:München/Brüssel. Die Zeichen für eine sinnvolle Weiterentwicklung bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens stehen gut – zumindest mit Blick auf den Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Koalition.
Denn dort sei explizit das Vorhaben bekundet, ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz zu schaffen, frohlockte Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, am Freitag beim virtuellen Startschuss der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) für eine „High-Level-Expert-Group“, der „Initiative Gesundheitsdatennutzungsgesetz“. Diese soll die künftige Bundesregierung auf dem Weg zu einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz begleiten.
Den Vorsitz der hochrangigen Sachverständigengruppe, in der neben Gerlach weitere Stakeholder aus dem deutschen Gesundheitswesen vertreten sind, hat der bayerische Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath, der Ausschussvorsitzender für Gesundheit und Pflege sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege der CSU-Landtagsfraktion ist, übernommen.
Zeitgemäßen Datenschutz eingefordert
Gerlach plädiert dafür, sich von einem Verständnis des Datenschutzes zu verabschieden, das, geprägt vom Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes, den Fokus auf Datensparsamkeit und enge Zweckbindung richtet, und wirksamere technische Datensicherheitskonzepte mit verschärften Strafandrohungen bei Verstößen anzustreben.
Verankert werden müsste in dem angepeilten Gesetz zudem ein autonomes Anrecht auf die optimale Verarbeitung eigener Daten zum Schutz von Leben und Gesundheit. Für die vorgesehenen Forschungsdatenzentren fordert Gerlach differenzierte Use-and-Access-Strukturen für die gemeinwohldienliche Forschung.
„Wir unterschätzen das Risiko einer Unterlassung einer sinnvollen Nutzung von Gesundheitsdaten“, mit dieser provokanten Aussage verwies er auf das noch große Potenzial auch einer KI-gestützten Datennutzung in der medizinischen Forschung. Als Beispiel nannte er den Brustkrebs.
Sei man vor nicht allzu langer Zeit davon ausgegangen gewesen, dass es zwei oder drei Subtypen des Mamma-Ca gebe, so sei man inzwischen durch die KI-gestützte Auswertung von Patientendaten soweit, bereits mehr als 60 Subtypen identifiziert zu haben.
Kommentar zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz
Sekundärnutzung ein Gebot der Stunde!
Digitale Zwillinge und MIO als Leuchttürme
Chantal Friebertshäuser, Geschäftsführerin MSD Deutschland und Landesbeauftragte für Bayern des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), apostrophierte ebenfalls die Bedeutung von Versorgungsdaten aus der realen Welt (Real World Data).
So seien digitale Zwillinge Wegbereiter personalisierter Medizin. Auch die in der elektronischen Patientenakte vorgesehenen Medizinischen Informationsobjekte (MIO) versprächen viel Forschungspotenzial, sofern auch die Industrie die Daten nutzen könne.
„Bisher sind erst 30 Prozent der bekannten 30.000 Krankheiten heilbar“, so Friebertshäuser. Initiativen wie Vision Zero, die sich nachdrücklich dafür einsetze, die Zahl der vermeidbaren krebsbedingten Todesfälle gegen Null zu bringen, profitierten ebenfalls von dem KI-gestützten Forschen an RWD.
Holetschek: Pandemie zeigt Handlungsbedarf
Bayerns Gesundheitsminister und derzeitiger Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, Klaus Holetschek (CSU), unterstrich ebenfalls die Notwendigkeit eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes. Zum einen könne Deutschland damit einen Kontrapunkt setzen zu Google und anderen US-Konzernen, die sich zu Gesundheitsdatenkraken gemausert hätten.
Zweitens solle solch ein Gesetz auch ermöglichen, vorliegende Daten bei künftigen Pandemien sinnvoller nutzen können, als das heute möglich sei. Corona führe diesen Handlungsbedarf konkret vor Augen.
Auch EU treibt Nutzung von Gesundheitsdaten zur Forschung voran
Die Informatik-Professorin Ingrid Schneider von der Universität Hamburg verwies darauf, dass auch die EU das Thema Gesundheitsdatennutzung vorantreibe. Just diese Woche haben sich in Brüssel der Rat der EU und das Europäische Parlament auf eine Fassung des Daten-Governance-Gesetzes geeinigt. Das Gesetz soll EU-seitig die Nutzung medizinischer Daten in öffentlicher Hand unter anderem zu Forschungszwecken regeln.
Bis 2025 will die EU-Kommission mit Schaffung des interoperabel ausgelegten europäischen Gesundheitsdatenraums (European Health Data Space/EHDS) für einen effizienten Austausch und direkten Zugriff auf unterschiedliche Gesundheitsdaten sorgen. Und zwar nicht nur in der Gesundheitsversorgung selbst (Primärnutzung), sondern auch in der Gesundheitsforschung (Sekundärnutzung).
Europäische Datenstrategie
Erstes EU-Gesetz zur Datenspende vor Verabschiedung
Stakeholder aus der gesamten Gesundheitswirtschaft
Damit die deutsche Forschung in Wissenschaft, aber auch in der Industrie das Potenzial des EHDS nutzen kann, bedarf es aber aus Sicht der Initiative Gesundheitsdatennutzungsgesetz der Einbindung aller relevanten Stakeholder aus Ärzteschaft, Kliniken, Krankenversicherungen, Gesundheitsverwaltung, Pharma- und Medizintechnikunternehmen, Apotheken, Wissenschaft und Forschung sowie der Politik.
Wie es in einem begleitenden Arbeitspapier der HSS, das Seidenath in München vorstellte, heißt, müsse das Gesundheitsdatennutzungsgesetz Orientierung für folgende offene Fragen bieten:
Das Patientenwohl soll ganzheitlich betrachtet und das Individuum mit seinen Bedürfnissen im Zentrum stehen. „Gesundheitsdatennutzung kann eine wertvolle Grundlage und Ergänzung der bestehenden Gesundheitsversorgung werden.“
Datengetriebene Innovationsprozesse von Präventions-, Diagnose- und Therapieleistungen dürfen sich durch die offene Frage der Finanzierung nicht nachteilig auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit auswirken.
Die Interoperabilität der Daten muss hergestellt werden ohne zunehmende Bürokratisierungseffekte im Zuge der notwendigen Anpassungen. Die hochsensiblen Gesundheitsdaten sollen schnell verfügbar und transparent für die sektorenübergreifende Vernetzung des Gesundheitssystems sein, sie sollen dem Patientenwohl aller dienen, aber sie müssen gleichzeitig den Persönlichkeitsschutz gewährleisten.
Sekundärnutzung: Gesundheitsdaten sollen für menschendienliche und innovationsoffene Sekundärnutzung verfügbar sein, aber gleichzeitig den höchsten Sicherheitsstandards genügen und dem Zugriff Unberechtigter strikt entzogen sein.