Landarztmangel
Arzt stößt bei Kommunen auf taube Ohren
Chirurg Stefan Spieren will die Hausarztpraxis seines Vaters auf dem Land übernehmen. Die Kommunen müssen für Ärztenachwuchs mehr tun, fordert er. Aber die wollen davon oft nichts wissen.
Veröffentlicht:KÖLN. Hausarzt Stefan Spieren ärgert sich. Das jüngste Gutachten des Sachverständigenrats, das sich mit der Hausarztversorgung auf dem Land beschäftigt, geht an der Realität vorbei, findet er.
"Ärzte sollen durch finanzielle Anreize motiviert werden, aufs Land zu ziehen", schimpft Spieren. "Und damit glaubt die Politik, das Problem des Ärztemangels sei gelöst." Regelmäßig greifen Politiker das Thema auf, sie reden von Landarztzuschlag, von Umsatzgarantien und Förderprogrammen.
"Doch diese Maßnahmen werden langfristig nichts bringen", glaubt er. "Denn sie gehen komplett an den Bedürfnissen der jungen Ärzte vorbei."
Spieren weiß, wovon er spricht. Im Januar 2015 will der 37-Jährige die Hausarztpraxis seines Vaters in der kleinen Gemeinde Hünsborn im Siegerland übernehmen. Schon jetzt pendelt er täglich aus Düsseldorf in den 3500-Einwohner großen Ort, wo er in der Praxis seines Vaters Werner Spieren arbeitet.
Der Junior glaubt, dass es vor allem die fehlende Infrastruktur ist, die junge Ärzte davon abhält, sich auf dem Land niederzulassen, nicht zu wenig Geld. "Verkehrsanbindungen sind oft schlecht, die Kinderbetreuung ist nicht ausreichend gewährleistet und das Gravierendste von allen: Die Breitbandinternetverbindung ist in ländlichen Gebieten nur rudimentär vorhanden."
Gerade die sei aber wichtig. Schließlich solle die Telematik der Zukunftsweg für die medizinische Versorgung auf dem Land werden. Junge Mediziner tickten zudem anders als die Generation vor ihr.
Prestige ist für Ärztenachwuchs weniger wichtig
"Für sie spielen nicht Prestige und Verdienst eine wichtige Rolle, sondern Familie und Freizeit", glaubt er. Nicht zuletzt setze der Nachwuchs andere Prioritäten, ein Großteil der Medizinabsolventen weiblich ist.
"Frauen wollen häufig Teilzeit und im Angestelltenverhältnis arbeiten." Dafür müssten aber die Rahmenbedingungen stimmen.
Spieren sieht vor allem die Kommunen und Gemeinden in der Pflicht. "Sie müssen dafür sorgen, dass wir hier attraktive Lebensbedingungen vorfinden", fordert er.
Neben schneller Internetanbindung könnte das unbürokratische Hilfe beim Erwerb eines Grundstücks oder einer passenden Immobilie für eine Praxis sein oder auch die Unterstützung bei der Suche nach einem Betreuungsplatz für die Kinder. Doch mit solchen Forderungen stößt er bei vielen Akteuren auf taube Ohren.
"Wenn ich das anspreche, werde ich immer auf die ärztliche Selbstverwaltung verwiesen", kritisiert er. Vorbildlich sei die Kampagne "Ich will Ihr Nächster sein" der KV Westfalen-Lippe.
Die KV will jungen Medizinern einen konkreten Ansprechpartner zur Seite stellen, der bei der Niederlassung behilflich ist. "Diese Art der Unterstützung vonseiten der Kommunen wäre wünschenswert."
Spieren hat sich trotz aller Widrigkeiten dazu entschieden, zum neuen Jahr die Landarztpraxis seines Vaters zu übernehmen. Etwa 1400 Patienten versorgt er dort. Ihm gefällt, dass ihm die Patienten Vertrauen entgegenbringen und er viele positive Rückmeldungen bekommt.
Praxis weniger stressig als Klinik
"Ich kenne oft die ganze Familie und weiß so, was wo anliegt". Zudem ist der Praxisalltag weniger stressig als die Arbeit in der Klinik, wo er oft 24-Stunden-Bereitschaftsschichten schieben musste.
Von Haus aus Chirurg, will er demnächst seinen Facharzt der Allgemeinmedizin abschließen. Von seinem Vater will er den Schwerpunkt der Praxis auf die Behandlung psychosomatischer Erkrankungen und die Betreuung von zwei Altenheimen in der Region übernehmen.
Der Sohn will aber auch neue Schwerpunkte setzen und sein chirurgisches Know-how einbringen. "Kleinere chirurgische Eingriffe können wir auch hier vornehmen etwa bei Rücken- oder Gelenkbeschwerden".
Mit der Praxisübernahme werden Spieren und seine Familie in die direkt angrenzende Wohnung ziehen, wo jetzt noch die Eltern wohnen. "Das hat mir als Kind gar nicht gefallen", sagt er. "Tag und Nacht standen die Patienten vor der Tür."
Das will er jetzt ändern. Damit Frau und Kinder nicht zu kurz kommen, haben Vater und Sohn Spieren die Praxisorganisation bereits umgestellt. Patienten können online Termine vereinbaren und Rezepte und Überweisungen bestellen.
"Inzwischen haben die Patienten gelernt, dass ich nicht Tag und Nacht zu erreichen bin."