Patienten als Treiber
Die Videosprechstunde kommt an
Immer mehr Ärzte finden offenbar Gefallen an der Videosprechstunde. Oft wegen der COVID-19-Pandemie aus der Not heraus eingeführt, etabliert sich der Tele-Einsatz nun zunehmend. Im Mai bot bereits jede zweite Arztpraxis eine Videosprechstunde an, offenbart eine repräsentative Ärzte-Befragung.
Veröffentlicht:Hamburg. Ärzte setzen Videosprechstunden seit Beginn der COVID-19-Pandemie deutlich häufiger ein als davor und erwarten auch einen nachhaltigen Effekt. Viele sind überzeugt, dass die Videosprechstunde eine ergänzende Option in der Arzt-Patientenkommunikation bleiben wird.
Dies zeigen die Ergebnisse der Studie „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2020“, die die Nutzung von Videosprechstunden während der COVID-19-Pandemie untersucht hat.
2240 Ärzte und Psychotherapeuten befragt
„Zahlreiche Ärzte haben Videosprechstunden zwar aus der Not heraus eingeführt, erkennen mittlerweile aber das Potenzial dieses Instruments“, heißt es im Fazit der repräsentativen, bundesweiten Befragung der Stiftung Gesundheit in Zusammenarbeit mit dem health innovation hub des Bundesgesundheitsministeriums.
2240 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten hatten sich per Fragebogen und Telefon beteiligt. Aus ihren Antworten wird ersichtlich, dass Patienten vermehrt als Treiber der Entwicklung auftreten: Bei fast einem Drittel der Ärzte, die jetzt Videosprechstunden anbieten, haben Patienten aktiv nachgefragt.
Im Mai boten laut Befragung bereits 52,3 Prozent der Teilnehmer Videosprechstunden an, weitere zehn Prozent beabsichtigen dies in Kürze. 37,6 Prozent der Befragten hat dies nicht vor. Im Vergleich zu einer Befragung aus dem Jahr 2017 ist der Anteil der Nutzer damit deutlich gestiegen (siehe nachfolgende Grafik).
Damals boten nur 1,8 Prozent der befragten Ärzte diese Möglichkeit und 2,7 Prozent hatten dies vor. 57,7 Prozent der Befragten lehnten 2017 die Videosprechstunde noch strikt ab.
Im psychotherapeutischen Bereich besonders genutzt
Interessant ist auch, dass Ärztinnen Videosprechstunden inzwischen – anders als 2017 - häufiger nutzen als ihre männlichen Kollegen. Nur 26,3 Prozent von ihnen lehnen die Videosprechstunde heute ab, bei den Männern im Fach sind es noch 47,8 Prozent.
Erklärbar ist dies mit dem hohen Frauenanteil (70 Prozent der Teilnehmer) im psychologisch-psychotherapeutisch- psychiatrischen Bereich, wo Videosprechstunden eine deutlich größere Rolle spielen als in anderen Fachgebieten:
- In den PPP-Fächern arbeiten bereits 80,5 Prozent mit Videosprechstunde und weitere 5,6 Prozent haben dies kurzfristig vor.
- Bei den nicht-operativ tätigen Fachärzten setzen 35 Prozent Videosprechstunden ein und 13,5 Prozent werden sie in Kürze einführen.
- Unter den Allgemeinmedizinern und praktischen Ärzten setzen 33,9 Prozent die Videosprechstunde ein und 14,4 Prozent wollen in Kürze nachziehen.
- Unter den operativ tätigen Fachärzten setzen derzeit 24,5 Prozent die Videosprechstunde ein und weitere 12,9 Prozent planen dies in Kürze.
Alter der Ärzte für Nutzung ausschlaggebend
Neben der Fachgruppenzugehörigkeit spielen auch das Alter der Ärzte, die Praxisform und der Standort eine Rolle. In der Gruppe der unter 40-Jährigen setzten im Mai 80 Prozent Videosprechstunden ein, und ein Fünftel lehnte sie ab Bei den 41- bis 60-Jährigen lehnte ein Drittel der Befragten die Videosprechstunde ab, bei den über 60-Jährigen waren dies 43 Prozent.
Unterschiede zeigen sich auch zwischen Ärzten in Praxen und in MVZ. Die zweite Gruppe setzt Videosprechstunden deutlich seltener ein – auch dies lässt sich mit dem hohen Anteil der PPP-Fächer in (Einzel)-Praxen erklären.
In städtischen Regionen ist der Anteil der Ärzte, die Videosprechstunden einsetzen, zwar am höchsten. Allerdings sind die aktuellen Unterschiede weniger gravierend als bei den beiden vorgenannten Kriterien. Zudem sehen Ärzte auf dem Land das höchste Entwicklungspotenzial, sodass mit einer weiteren Angleichung zu rechnen ist.
Anteil des Videoeinsatzes steigt
Nicht nur die Zahl der Nutzer, sondern auch der Anteil des Videoeinsatzes an der gesamten Sprechstunde ist gestiegen. 84,3 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass die Videosprechstunde vor der Pandemie keine Rolle gespielt hatte. Bei rund 15 Prozent nahm sie vor der Pandemie bis zu 20 Prozent der Sprechstundenzeit ein.
Während der Pandemie dagegen spielte die Videosprechstunde bei 5,6 Prozent der Befragten gar keine Rolle. Bei mehr als der Hälfte der Befragten nahm sie bis zu 20 Prozent der Sprechzeit ein, bei jedem achten Teilnehmer (11,9 Prozent) sogar zu mehr als 80 Prozent (siehe nachfolgende Grafik).
Nachhaltiger Effekt erwartet
Und nach der Pandemie? Die Antworten zeigen, dass die Praxen mit einem nachhaltigen Effekt rechnen. Rund Dreiviertel erwarten, dass künftig bis zu 20 Prozent der Sprechstundenzeit per Video erfolgen wird, nur 18 Prozent mit keinem Anteil.
Als Gründe für eine Ablehnung nennen 43,5 Prozent, dass sie die Videosprechstunde für keine gute Form der Arzt-Patienten-Interaktion halten. Den organisatorischen und rechtlichen Aufwand nennen 24 Prozent und 21 Prozent geben an, dass sie sich mit der Technik noch nicht auseinandergesetzt hätten. Kostengesichtspunkte führen 16,9 Prozent an, Vertraulichkeit und Datenschutzgründe spielen für elf Prozent eine Rolle.
Gerechnet auf alle Ärzte, die sich an der Befragung beteiligt hatten, entspricht dies nur noch einem Anteil von vier Prozent. 2017 hatte noch mehr als jeder zweite Teilnehmer dieses Argument genannt.
Als Handlungsempfehlungen nennen die Studienautoren:
- Ärzte bei der Einrichtung von Videosprechstunden unterstützen: Diese Empfehlung stützt sich auf den Anteil von einem Viertel der Teilnehmer, die den organisatorischen und rechtlichen Aufwand scheuen.
- Anpassen der Begrenzung: Weil nach der Pandemie voraussichtlich wieder die Regelung in Kraft tritt, wonach Ärzte maximal 20 Prozent ihrer Patientenkontakte per Videosprechstunde über die GKV abrechnen dürfen, wünschen sich die Studienautoren ein Signal der Selbstverwaltung: Die Begrenzung solle ganz aufgehoben oder zumindest deutlich nach oben angehoben werden.
- Leistungsgerechte Vergütung: Diese Empfehlung stützen die Studienautoren vorwiegend auf die zahlreichen Kommentare im Freitextfeld. Danach stufen viele Ärzte die aktuelle Vergütung als unzureichend ein. Sie vermuten aber auch, dass teilweise noch Unklarheit über die erzielbare Vergütung herrscht.