Telemedizin
Droht das Aus für die E-Card? BMG dementiert energisch
Am Wochenende sind in Bayern Zweifel laut geworden, ob das Projekt der Gesundheitskarte nach den Wahlen weiter betrieben wird. Bundesgesundheitsminister Gröhe dementiert energisch.
Veröffentlicht:BERLIN/MÜNCHEN. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat am Montag Spekulationen zurückgewiesen, die elektronische Gesundheitskarte stehe nach den Wahlen vor dem Aus. Er sehe "für Ausstiegsszenarien keinen Anlass", erklärte Gröhe im MDR.
Auslöser für die Spekulationen war ein Bericht der Nachrichtenagentur dpa gewesen: Demzufolge hätten hochrangige Mitarbeiter von Ärzteverbänden und gesetzlichen Krankenkassen über Pläne in der Bundesregierung berichtet, die eGK nach der Bundestagswahl für gescheitert zu erklären (wir berichteten kurz online). Skeptisch äußerten sich daraufhin auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns Wolfgang Krombholz sowie der Vorstandschef der AOK Bayern Helmut Platzer in den Medien.
Gröhe betonte im MDR-Interview, er könne "die Ungeduld verstehen", und es sei weitere "Überzeugungsarbeit zu leisten". Das Ministerium mache aber weiter Druck, und vom Ärztetag in Freiburg sei ein "klares Signal, die Digitalisierung weiter vorantreiben zu wollen", ausgegangen. Er sei daher "zuversichtlich", dass die Entwicklung weitergehe.
Es gilt, nicht in den Anstrengungen nachzulassen
Auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" betonte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zudem, die Medienberichte entbehrten jeder Grundlage. Vielmehr habe die Bundesregierung "dafür gesorgt, dass nach mehr als 12 Jahren endlich Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens gekommen ist". Jetzt komme es darauf an, in den Anstrengungen nicht nachzulassen, damit den Patientinnen und Patienten die Vorteile der Digitalisierung zugutekomme. Digitale Insellösungen könnten keine Alternative zur sicheren Telematikinfrastruktur darstellen. "Es wäre unverantwortlich, wenn jetzt Einzelne versuchen würden, das gemeinsame Projekt zu blockieren", heißt es weiter.
Auch von den Unternehmen, die am Online-Rollout der eGK beteiligt sind, werden die Berichte zurückgewiesen: "Die Aussagen der AOK Bayern bezüglich der eGK sind in jeder Hinsicht haltlos und unbegründet", so ein Unternehmenssprecher der CompuGroup Medical auf Anfrage. Sie führten "zu einer völlig unnötigen Verunsicherung von Ärzten, Versicherten und Patienten". Ähnlich reagiert die Deutsche Telekom: "Die Industrie entwickelt derzeit die weltweit bestgeschützte öffentliche Infrastruktur für das Gesundheitswesen und ist dabei auf der Zielgeraden", so Sprecher Rainer Knirsch. "Angesichts von inzwischen 150 Spezifikationsänderungen sowie seit Projektbeginn massiv gestiegen Sicherheitsanforderungen etwa gegen Cyberangriffe" sei zudem eine "einseitige Industrieschelte überzogen".
Tatsächlich hat das Projekt bereits 1,7 Milliarden Euro an Kosten verursacht, die Gesundheitskarte kann allerdings immer noch nicht mehr als die alte Krankenversichertenkarte. Das soll sich nun aber bald ändern: Die Betreibergesellschaft gematik hat gerade den Startschuss für den Online-Rollout gegeben. Er soll in den kommenden 18 Monaten einen flächendeckenden Austausch der Versichertenstammdaten zwischen Gesundheitskarte, die in der Praxis ins Lesegerät gesteckt wird, und Kasse bringen.
Weit entfernt vom Zeitplan
Auf mittlere Sicht sind weitere Anwendungen wie ein Notfalldatensatz, ein elektronischer Medikationsplan und eine elektronische Patientenakte geplant. Vom ursprünglichen Zeitplan – Online-Rollout ab 2006 – ist die eGK mit der dahinterliegenden Telematikinfrastruktur weit entfernt, weitere Verzögerungen bei den Online-Anwendungen der Karte werden zum Beispiel für die Patientenakte erwartet.
Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, forderte die Bundesregierung auf, klar Stellung zu nehmen, wie es mit dem Projekt der Gesundheitskarte weitergeht. "Es ist ein Skandal, wenn der Bundesminister die Wähler im Unklaren lässt", so Klein-Schmeink. Die eGK sei bereits reformbedürftig, bevor sie überhaupt gestartet sei. Die Bundesregierung sei mit ihrem E-Health-Gesetz "zu kurz gesprungen", Patientenvertreter seien nie beteiligt worden. Ein Ende des Projekts führe in jedem Fall zu immensen Mehrkosten, Wildwuchs und weiterem Zeitverzug. Klein-Schmeink sprach sich nachdrücklich für eine einheitliche sichere IT-Infrastruktur für das Gesundheitswesen aus: "Alles Gerede von den Chancen der Digitalisierung bleibt heiße Luft, wenn es schon an der grundlegenden Infrastruktur mangelt."
Kritik an der Gesundheitskarte wird teilweise geäußert, weil Patienten nur über Umwege Zugriff auf ihre gespeicherten Daten hätten. Daher sind derzeit mehrere Gesundheitsakten in der Entwicklung oder bereits am Markt, die von Krankenkassen ihren Versicherten angeboten werden (sollen).
So plant die TK, im kommenden Jahr mit ihrer zusammen mit IBM entwickelten Gesundheitsakte ins Rennen zu gehen. Die AOK ist dabei, ein eigenes Gesundheitsnetzwerk für Ärzte und Patienten aufzubauen, und der Online-Dienstleister vitabook bietet ein Gesundheitskonto für Patienten an, das von Krankenkassen direkt eingesetzt werden kann. Allen Projekten ist gemeinsam, dass Patienten Herr über die eigenen Daten bleiben.