Start-up im Porträt

Ein innovativer Sicherheitsgurt für Sprunggelenke

Sport- und Arbeitsverletzungen sind oft schmerzhaft, teuer und langwierig. Das Start-up Betterguards Technology will das Risiko minimieren – mit intelligentem Schutzsystem für Schuhe und Bandagen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Die Gründer des Berliner Start-ups Betterguards (v.l.): Timo Stumper, Vinzenz Bichler und Max Müsele.

Die Gründer des Berliner Start-ups Betterguards (v.l.): Timo Stumper, Vinzenz Bichler und Max Müsele.

© Thomas Koehler/photothek.net

BERLIN. Sonntag der 4. August war für den Flügelstürmer von Manchester City, Leroy Sané, ein schwarzer Tag: In einem Pokalspiel gegen den FC Liverpool riss ihm das Kreuzband im rechten Kniegelenk. „Die Diagnose löste eine Schockwelle aus. Sané wird viele Monate nicht Fußball spielen können“, schrieb „Der Spiegel“. Mitbetroffen: der FC Bayern München, der den Top-Fußballer in sein Team holen wollte.

Bänderrisse an Gelenken sind nicht auf Spitzensportler beschränkt. Ebenfalls betroffen sind Freizeitsportler, aber auch Vertreter der Bauberufe und Lieferanten der Post- und Paketdienste – im Grunde jeder, der sich im Alltag hektisch bewegt und dreht. Schätzungsweise fast drei Millionen Sprunggelenkverletzungen müssen jährlich in Deutschland versorgt werden, neben den unmittelbaren Behandlungskosten entstehen Arbeitsausfall und ein höheres Wiederverletzungsrisiko.

„Ich möchte, dass Bänderrisse in zehn bis 20 Jahren der Vergangenheit angehören und bei Google nur noch als geschichtliches Ereignis aufgeführt werden“, beschreibt Vinzenz Bichler, Gründer von Betterguards Technology in Berlin, seine Vision. Er hat in den vergangenen fünf Jahren mit seinen Co-Foundern Timo Stumper und Max Müseler eine neue Technologie entwickelt, den intelligenten Sicherheitsgurt für Gelenke.

Bewegungsfreiheit muss bleiben

Eigene Erfahrung hat Bichler erfinderisch gemacht: seine Ambitionen als Leistungssportler waren immer wieder begleitet von schwerwiegenden und langwierigen Sprunggelenkverletzungen. Die Sportler-Karriere gab er notgedrungen auf, die Verbundenheit zum Sport blieb. Er studierte Kunststofftechnik und Maschinenbau und machte an der TU Berlin seinen Master in Biomedizinischer Technik. Dabei entdeckte er die sonderbaren Eigenschaften scherverdickender Polymere.

Dieses Fluid ändert schlagartig bei jeder heftigen Bewegung seine Viskosität und wechselt von normaler Flüssigkeit in einen Steifezustand. Aus dem Fluid wird in wenigen Millisekunden ein Festkörper. Im Prinzip wie der Gurtstraffer beim Sicherheitsgurt im Auto, der bei normalen Bewegungen Freiheit lässt, beim Aufprall aber sofort das Rückhaltesystem auslöst. Natürlich könnte man zum Gelenkschutz auch statische Systeme verwenden. Bekannt sind diese beispielsweise als Orthesen, die nach Verletzungen Gelenke vorübergehend ruhigstellen und stabilisieren.

Für den Sport und den Alltag sind solche Sicherheitssysteme aber keine Option, da sie die Bewegungsfreiheit einschränken. Das Betterguards-Technikerteam hat nun in fünfjähriger Entwicklungsarbeit sein intelligentes Schutzsystem zur Marktreife entwickelt. Eingebaut beispielsweise in Sport- und Arbeitsschuhe oder in Kniebandagen, verhält es sich flexibel und stört nicht.

Doch ab einer definierten Krafteinwirkung – einer kritischen oder zu schnellen Bewegung mit dem Risiko eines Bänderrisses – verändert es schlagartig seine Viskosität und stabilisiert das Gelenk so, dass es nicht zu einer Überdehnung kommen kann.

Profihandballer testen

In mehreren Testreihen ist die optimale Positionierung des Systems an einem Schuh ermittelt worden. Haltbarkeit und Funktionstüchtigkeit sind an künstlichen Gelenken getestet worden – mit dem Ergebnis, dass die Schutzwirkung auch nach zwei Millionen Gelenk-Knickungen immer noch gegeben ist. Auf einer Umknick-Plattform wurden die Bewegungen von Probanden simuliert und anschließend ausgewertet. Das Ziel war, einerseits die volle Beweglichkeit zu erhalten, bei kritischen Bewegungen jedoch binnen weniger Millisekunden den Schutzeffekt auszulösen.

In einer doppelblinden Placebo-kontrollierten Studie, die beim Julius-Wolff-Institut der Charité mit 16 Probanden mit einer Fußgelenk-Instabilität durchgeführt wurde, wurde der stabilisierende und protektive Effekt nachgewiesen. Die Studie wurde im Mai 2019 im American Journal of Sports Medicine veröffentlicht (Am J Sports Med 2019; 47(6): 1480-1487).

In der Praxis erprobt wurde das Betterguards-System von den Handballern der Berliner Füchse. Deren Physiotherapeut Carsten Coors resümiert im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“: „Jede Woche ist ein Spieler aufgrund einer Sprunggelenkverletzung bei mir in Behandlung.

Seitdem einige ausgewählte und vorbelastete Spieler das Betterguards-System tragen, haben sie keine Bänderverletzungen mehr. Somit unterstützt die Technologie meine Arbeit – und die Spieler haben sogar deutlich mehr Bewegungsfreiheit als mit herkömmlichen Orthesen.“

Wie kommt der Verbraucher an dieses System? Das wird davon abhängen, ob und inwieweit beispielsweise Sportartikelhersteller die Betterguard-Technik in ihre Produkte einbauen. Wie bei allen Innovationen kommt dafür zunächst das Premiumsegment, beispielsweise auch der Hochleistungssport, in Frage. Aber auch Hersteller von Berufsbekleidung, insbesondere von Arbeitsschuhen, könnten entscheidend zur Verbreitung der neuen Sicherheitstechnologie beitragen. Ein Interesse an Prävention haben naturgemäß Arbeitgeber und Berufsgenossenschaften für solche Beschäftigte, die einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sind. Auch Polizei und Bundeswehr könnten ernsthafte Interessenten sein.

Welche Ziele haben die Unternehmer nun?

Vinzenz Bichler und seine Kollegen planen schon die nächsten Entwicklungsschritte: Ein wichtiges Ziel ist die weitere Miniaturisierung des Sicherheitssystems von derzeit neun auf zunächst fünf und in zwei bis drei Jahren auf nur zwei Millimeter Durchmesser. Das würde mittelfristig den Einbau in feine strukturierte Gewebe ermöglichen und neue Einsatzgebiete erschließen.

Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der eigenen Produktion, die seit 2018 in Hennigsdorf bei Berlin mit einem zunächst zehnköpfigen Team stattfindet. Schrittweise soll die Herstellung automatisiert werden, um die Stückkosten beträchtlich zu senken, was den breiteren Einsatz erleichtern würde.

Ein drittes Ziel: Im nächsten Jahr soll der Break Even erreicht werden. Damit wäre eine bedeutende Hürde genommen, die die Gründer immer wieder vor Herausforderungen gestellt hat: Investoren und Kreditgeber zu finden, die bereit sind, die Entwicklung einer Zukunftstechnologie zu finanzieren. Eine enorme bürokratische Belastung, klagt Bichler, hinter der nach seiner Schätzung in etwa die Arbeitszeit eines Jahres steht.

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