Medizinstudenten

Examen in der Tasche, dann Adieu Saarland

In Homburg/Saar fehlt der ärztliche Nachwuchs, weil viele Medizinstudenten das Saarland nach dem Abschluss verlassen. Grund dafür ist die schlechte Qualität der Vorlesungen, wie eine Umfrage ergab.

Andreas KindelVon Andreas Kindel Veröffentlicht:
Luftbild: Universität des Saarlands - der Campus in Homburg.

Luftbild: Universität des Saarlands - der Campus in Homburg.

© Fotostudio Duppe/Universität

HOMBURG/SAAR. Wenn es darum geht, junge Ärzte ins Land zu locken, hat es das Saarland schwer. An der einzigen Uniklinik des Landes, in Homburg/Saar, studieren viele Landeskinder zwar gern.

Wer aus dem Rest der Republik kommt, wurde aber von der "Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen" nicht selten an die Saar "zwangsverschickt".

Obwohl das Saarland zu den wärmsten Regionen der Republik zählt, hier ein schönes Ein-Familien-Häuschen noch für 200 000 Euro zu haben ist und die Zugfahrt nach Paris weniger als zwei Stunden dauert - auch nach dem Studium will kaum ein Nachwuchs-Mediziner an die Saar.

Bei einer bundesweiten Befragung der Universität Trier vom vergangenen Jahr kam heraus: Unter Medizinstudenten ist fast kein Bundesland als künftiger Arbeitsort so unattraktiv wie das Saarland. Nur Sachsen-Anhalt schnitt noch schlechter ab.

Für die Saarländer war das lange kein Problem. Nur jetzt wird es mit dem ärztlichen Nachwuchs langsam eng. Inzwischen gibt es kaum noch einen Vertragsarzt unter 40, von den über 700 Hausärzten hatten schon im vergangenen Jahr rund 100 das Rentenalter von 65 Jahren erreicht.

"Zwei Drittel der demnächst ausscheidenden Kollegen haben Schwierigkeiten, Nachfolger für ihre Praxen zu finden", berichtete der saarländische Ärztekammer-Präsident Dr. Josef Mischo auf einer Diskussionsveranstaltung der "Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen" und der Jungsozialisten an der Uniklinik.

Nur die Hälfte will bleiben

Da die Demografie nirgendwo in Westdeutschland so zuschlägt wie im Saarland und für die immer älter und kränker werdenden Saarländer eigentlich mehr statt weniger Ärzte benötigt werden, hat das Thema hier längst auch die Politik erreicht. Diskutiert wird unter anderem eine Frage: Wie könnte man es schaffen, dass von den jährlich 285 Studienanfängern in Homburg am Ende des Studiums noch mehr im Saarland bleiben?

Eine veröffentlichte Befragung der Saar-Uni unter 1300 Absolventen - darunter 70 Medizinern - ergab: 52 Prozent der Medizin-Absolventen bleiben im Saarland. Das sind mehr als in anderen Fächern.

Doch Ärztekammer-Präsident Mischo reicht das nicht aus. Er will den Anteil erhöhen und dafür die Kriterien bei der Studienplatzvergabe ändern. Seine Forderung: Die Abiturnote dürfe nicht das einzige Kriterium sein.

Vor vielen Jahren durfte die Uni einen Teil der Medizin-Studienplätze schon mal nach dem Ergebnis von Auswahlgesprächen vergeben. "Aber das ist bei zehn Bewerbern auf einen Platz nicht machbar", meinte Studiendekan Professor Dr. Norbert Graf.

Diskutiert werde aber eine andere Idee - nämlich Bewerber zu bevorzugen, die Homburg als erste und zweite Studienort-Wahl angeben. "Die zeigen ja offenbar Interesse an unserem Land", so Graf.

Am einfachsten wäre es, die Landeskinder zu bevorzugen. Denn die Saarländer gelten als besonders heimatverbunden.

"Aber das ist nicht möglich und nach deutschem und europäischem Recht ausgeschlossen", erläuterte die Beauftragte der Saar-Regierung für Hochschulen, Wissenschaft und Technologie, Dr. Susanne Reichrath.

Lehre und Praxis besser verzahnen!

Zwar genießen die Homburger Medizin-Professoren für ihre Forschung durchaus Renommee. Beim Werben um den ärztlichen Nachwuchs gibt es aber wohl noch Nachholbedarf. Damit die Studierenden im Saarland bleiben, müsse ihnen die Lehre an der Uni gefallen, meinte Fachschaftsmitglied Thomas Onken.

Und daran hapere es. Lehre und Praxis müssten besser verzahnt werden, und die Dozenten sich auf ihre Lehrveranstaltungen besser vorbereiten.

Ein Kommilitone aus dem zweiten klinischen Semester pflichtete bei: "Die Vorlesungen werden zum Teil richtig schlecht gehalten". Dass dies keine Einzelmeinungen sind, zeigen die Ergebnisse der Absolventen-Befragung der Saar-Uni: Nur 60 Prozent der Absolventen gaben an, dass sie ihr Medizin-Studium noch mal in Homburg machen würden.

Wichtig ist aber auch die Attraktivität des ersten Jobs nach dem Medizin-Studium. Kammer-Präsident Mischo forderte, die Mediziner durch gut ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte - zum Beispiel bei Hausbesuchen - zu entlasten.

"Wirklich unzufrieden"

Auch mehr Teilzeit- und Angestellten-Jobs müssten für Ärzte geschaffen werden. Im Schnitt arbeiten die jungen Ärzte nach der Absolventen-Befragung im ersten Job 49,8 Stunden pro Woche.

Geld und Arbeitsplatzsicherheit sind für sie okay. Doch bei der Job-Zufriedenheit liegen sie im Vergleich zu anderen Berufen hinten. "Die sind wirklich unzufrieden mit dem Raum für ihr Privatleben", berichtete Soziologin Freya Gassmann, eine der Studien-Autorinnen.

Beim Kampf um den Nachwuchs geht es aber auch ums Geld - spätestens seit die Studierenden im PJ bezahlt werden dürfen.

In Homburg gebe es pro Monat lediglich 150 Euro, berichtete die Vorsitzende des Fachschaftsrats Humanmedizin in Homburg, Ann-Kathrin Asen. In anderen Unikliniken wie Köln, Hamburg oder Heidelberg würden dagegen fast 600 Euro gezahlt. "Wir sind im PJ auf eine Bezahlung angewiesen", so Asen, "von der man auch leben kann".

Asen kommt aus Bayern und studiert seit 2011 Medizin in Homburg. Gefragt, ob sie denn im Saarland bleiben würde, antwortete die Studentin: "Nein, das kann ich mir im Moment nicht vorstellen". Nach sechs Jahren Medizin-Studium möchte sie demnächst im PJ "auch mal Geld verdienen".

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

„ÄrzteTag“-Podcast

Warum brauchen wir Quoten in der Weiterbildung, Antje Bergmann?

Kommentare
Cornelia Dölling 07.08.201509:53 Uhr

Dominik Heider schrieb uns folgenden Leserbrief

Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion der Ärztezeitung!

Bezugnehmend auf den Artikel „Examen in der Tasche, dann Adieu Saarland“ vom 27.07.15 schreibe ich folgenden Leserbrief. Traurig, dass die subjektive Meinung einzelner Einzug in die größte medizinische Tageszeitung Deutschlands erhält und so grund- und haltlos den Ruf einer ganzen Universität in den Dreck zieht.
Über eine Veröffentlichung würde ich mich freuen, ebenso über eine Rückmeldung.


Der Artikel „Examen in der Tasche, dann Adieu Saarland“ hat viele von uns Homburger Medizinstudenten traurig und wütend gemacht. Dass wir an einer solch schlechten Uni studieren, war uns gar nicht bewusst. Die Nachwuchsprobleme sind jedoch aus meiner Sicht mit Sicherheit NICHT auf eine schlechte Lehre zurück zu führen, wie Herr Kindel unvollständig zu argumentieren wagt. Welche Studie ergab denn nun, dass die „schlechten Vorlesungen“ Grund für die Unattraktivität des Saarlandes sind?
Homburg ist eine kleine Stadt mit seinen 43 000 Einwohnern, genauer gesagt die kleinste Stadt der 35 Städte mit medizinischer Fakultät. Der Bürgersteig wird wochentags um 8 und am Wochenende um 10 Uhr hochgeklappt, ein Nachtleben ist quasi kaum existent. Oft fühlen wir uns „ausquartiert“ aus dem schönen Saarbrücken in eine saarländische Exklave irgendwo im Nirgendwo aus Wald und Wiesen. Kein Fluss, kein See weit und breit, kaum junge Leute - das ist für viele „Nicht-Ureinwohner“ schon ein echter Kulturschock. Leider tut die Stadt überhaupt nichts für ihre Studenten. Ein tolles Schwimmbad wird für Fahrradfahrer fast unerreichbar weit außerhalb des Zentrums gebaut, Radwege gesperrt, Feste und Veranstaltungen gestrichen, sogar eine Zweitwohnsitzsteuer für die 12qm Wohnheim-Bude wird fällig. Das alles unter dem Deckmantel des Sparens.
Der Pleitegeier kreist aber auch anderswo: Dass eine PJ-Aufwandsentschädigung von weniger als einem Viertel der Spitzenbeträge nicht ausreichend sein kann und viele Studenten abschreckt, ist klar. Der Sparkurs der Regierung übt Druck auf Studierende aus. Wenn prüfungsvorbereitende Tutorien ausfallen oder zusammengelegt werden, bringt das niemandem etwas.
Wenn einem die Studienzeit so versaut wird, kann man es natürlich nicht erwarten, mit dem „Abschluss in der Tasche – Adieu Saarland“ zu sagen und heimatliche Gefilde, schöne Städte oder Landschaften als Arbeitsplatz zu wählen.
Trotzdem machen wir das Beste daraus und erleben dank engagierter Organisatoren aus Uni den Reihen der KommilitonInnen, einem tollen Unisportangebot und vor allem wegen eines großartigen Zusammenhalts der gesamten Universität – egal ob Prof. oder Erstsemester - eine geile Zeit. Aber im Saarland bleiben? Bisher habe ich fast niemanden kennen gelernt, der nicht von dort kommt und das ernsthaft vorhat.
Bevor irgendjemand grundrechtswidrige Sätze zur Bevorzugung von Einheimischen bei der Studienplatzvergabe von sich gibt, sollte lieber einmal der Landesregierung und der Stadtverwaltung ordentlich in den Hintern getreten werden. Sparen bei Bildung rächt sich – und zwar dann wenn die heutigen Entscheidungsträger selbst alt, gebrechlich und auf ärztliche Hilfe angewiesen sind – dann werden sie hoffentlich verstehen was sie hier gerade verbocken.


Mit freundlichen Grüßen

Dominik Heider

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Sterile Knochenentzündungen

Chronische nicht-bakterielle Osteitis: Erstmals Empfehlungen formuliert

Lesetipps
Dorian Recker

© Stefan Durstewitz

Gegen Verschwendung

Warum ein Kardiologe Kunstwerke aus Müll macht