Implantate & Co
Fortschritt bei Medizinprodukteverordnung
Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich im Rat auf eine gemeinsame Linie bei der anstehenden Novelle der Medizinprodukteverordnung geeinigt - gegen das Votum Deutschlands. Knackpunkt sind unter anderem die Benannten Stellen.
Veröffentlicht:LUXEMBURG/BERLIN. Fünf Jahre nach dem Skandal der zum Teil mit Industriesilikon befüllten Brustimplantate - und damit minderwertigen Medizinprodukte - des ehemaligen französischen Anbieters Poly Implant Prothèse (PIP) haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) vor Kurzem in Luxemburg auf eine gemeinsame Linie für eine neue EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation / MDR) verständigt.
Nach Auskunft des Arztes, CDU-Europaabgeordneten und gesundheitspolitischen Sprechers der EVP-Fraktion, Dr. Peter Liese, hatte Deutschland als einziger EU-Mitgliedsstaat gegen den Kompromiss gestimmt, "weil vor allen Dingen die Frage, ob EU-Behörden in das Zulassungsverfahren, das normalerweise von Benannten Stellen wie dem TÜV durchgeführt wird, eingreifen können, noch nicht klar geregelt ist."
EU strebt Kontrolle nur im Notfall an
"Das Europäische Parlament möchte die Möglichkeit genau wie der Ministerrat offen lassen. Wir wollen aber nur bei einer relativ großen Gruppe von Produkten diese Möglichkeit nur, wenn es wirklich Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Benannten Stellen nicht sorgfältig arbeiten", konkretisiert Liese.
Eine zentrale Frage im PIP-Skandal, der dazu führte, dass sich weltweit mehrere Tausend betroffene Frauen die gesundheitsgefährdenden Brustimplantate auf ärztliches Anraten hin wieder herausnehmen ließen, war die Rolle, die der TÜV Rheinland als Benannte Stelle spielte.
Dagegen hatte ein Gericht in Toulon, vor dem rund 1600 betroffene Frauen und sechs Händler gegen den deutschen Prüfdienstleister geklagt hatten, geurteilt, der TÜV habe seine "Pflicht zur Kontrolle und Wachsamkeit" verletzt. Der TÜV hat beim Berufungsgericht in Aix-en-Provence Einspruch gegen das Urteil eingelegt. Das Verfahren läuft noch.
Ende September 2012 hatte die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Medizinprodukteverordnung gemacht. In der Begründung für die Novelle bezog sie sich explizit auf den PIP-Skandal.
Heftige Kritik am Scrutiny-Verfahren
Heftige Kritik an dem Luxemburger Verhandlungsergebnis hagelt es von Seiten des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed). Die MedTech-Vertreter lehnen das nun in Luxemburg konsensierte so genannte Scrutiny-Verfahren ab, demzufolge für Produkte der höchsten Risikoklasse III - die Klassen sind im Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG festgelegt - die Konformitätsbewertung der Benannten Stellen überprüft werden soll.
Nach Ansicht des BVMed würde das Scrutiny-Verfahren keine zusätzliche Patientensicherheit bringen. Zur Risikoklasse III gehören neben Brustimplantaten zum Beispiel Herzkatheter, künstliche Hüft-, Knie-, oder Schultergelenke, Stents, resorbierbares chirurgisches Nahtmaterial, Intrauterinpessare oder Herzschrittmacher.
Es handelt sich dabei um Medizinprodukte, die unter anderem ein hohes Gefährdungspotenzial und/oder ein besonders hohes methodisches Risiko aufweisen und/oder zur langfristigen Medikamentenabgabe gedacht sind.
Für die Bewertung von Risiken gilt laut BVMed bei Einhalten der harmonisierten Norm ISO 14971:2007 die Konformitätsvermutung. Werde diese Norm nicht eingehalten, sei die Gleichwertigkeit der gewählten Lösung mit der harmonisierten Norm nachzuweisen.
Defizite bei Patientensicherheit?
Kritik an dem Luxemburger Kompromiss übt Christian Zahn, Verbandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen (vdek): "Ein paar mehr Rechte und Kontrollpflichten für die Benannten Stellen wie sie jetzt der Rat vorschlägt, sorgen nicht für mehr Patientensicherheit.
Die Bundesregierung sollte daher ihre bisherige Haltung überdenken und sich für ein sicheres und effektiveres Zulassungsverfahren, angesiedelt bei der EMA, einsetzen."
Gehör fand die Medizintechnikindustrie offenkundig mit ihren Einwänden gegen ursprünglich im Zuge der Novelle angedachte, obligatorische klinische Studien für bestimmte Medizinprodukte.
Die Branche warnte wiederholt vor teuren, langwierigen Verfahren, die teilweise existenzielle Risiken für manch einen mittelständischen Medizintechnik-Anbieter darstellen könnten.
Der AOK-Bundesverband dagegen sieht genau in diesem Punkt eine Schwachstelle der Luxemburger Übereinkunft. "Hochrisikoprodukte werden auch in Zukunft weitgehend ohne klinische Studien auf den Markt kommen.
Es ist unverständlich, warum man erst reagieren will, wenn Patienten durch mangelhafte Produkte zu Schaden gekommen sind, anstatt sie von vornherein davor zu schützen", so der Kommentar von Verbandschef Jürgen Graalmann.